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Einblicke

NATO-Summit in Vilnius

von Dr. Hardy Ostry, Lukas Wick

Ein weiteres neues Kapitel für die Allianz?

Am 11. und 12. Juli 2023 kamen die Staats- und Regierungschefs, der Präsident des Europäischen Rates, die Präsidentin der Europäischen Kommission sowie der Regierungschef Schwedens zum NATO-Gipfel in Vilnius, Litauen zusammen. Dabei standen einige wichtige Punkte auf der Agenda. Unter anderem stand bis kurz vor Beginn des Gipfels nicht fest, ob die Türkei ihre Blockade zum Beitritt Schwedens aufgeben würde. Darüber hinaus hoffte die Ukraine auf einen klaren Zeitrahmen zum Beitritt in das Bündnis, um damit womöglich auch etwaige Sicherheitsgarantien zu erhalten. Zur Debatte standen zudem neue Hilfen für die Ukraine sowie die Frage, wie dem Land in der Zeit nach dem Krieg geholfen werden kann, wenn es um den Wiederaufbau des Verteidigungssektors geht. Der Gipfel sollte sich außerdem mit einer neuen Sicherheitslage in der Arktis befassen, die Volksrepublik China auf einer Skala von Systemrivale bis Partner einordnen und neue Bedrohungen identifizieren. Russland und Terrorismus wurden hierbei als die beiden größten Bedrohungen für das Bündnis definiert. Abschließend fand ein Treffen der NATO mit den Vertretern der indo-pazifischen Partner und der EU im Zeichen der überregionalen Kooperation des Bündnisses statt.

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Ein wenig mehr als ein Jahr nach dem letzten NATO-Summit in Madrid sollten die Alliierten diesmal in Vilnius zusammenkommen, um die letzten 12 Monate zu analysieren und die Zukunft der Allianz zu besprechen. Dabei trafen die Staats- und Regierungschefs sowie die beiden EU-Vertreter aus Kommission und Rat auf eine volle Agenda. Nach fast 18 Monaten des Krieges in der Ukraine wurden zentrale Punkte der Tagesordnung vom Krieg in Osteuropa bestimmt. Die NATO-Führungskräfte werden sich daher mit Fragen zur langfristigen Bewältigung der Folgen des Konflikts und zur Stärkung der Position der NATO in der baltischen Region auseinandersetzen.

Ein zentrales Thema ist die Zustimmung zu einem umfassenden "Ukraine-Paket", das die Einrichtung des NATO-Ukraine-Rates (NUC) umfasst. Alle Mitglieder, einschließlich der Ukraine, sollten gleichermaßen im NUC vertreten sein. Der Gipfel wird behandelte auch das umfassende Unterstützungspaket (CAP), das freiwillige Beiträge der NATO-Mitglieder und -Partner zur nicht-tödlichen Hilfe für die Ukraine umfasst. Doch damit nicht genug: Im Vorfeld des Gipfels - auch schon in den Wochen davor - wurde vor allem diskutiert, was die NATO der Ukraine überhaupt anbieten könne, um sie nachhaltig kurz- sowie langfristig zu unterstützen. Während die Ukraine den Wunsch geäußert hatte, NATO-Mitglied zu werden, gehen die Meinungen innerhalb der NATO hierzu auseinander. Faktisch haben sich hier drei Kerngruppen in der NATO gebildet. Gruppe eins ist der "Ost-Club", bestehend aus den baltischen Staaten, Polen, Tschechien oder auch der Slowakei, Rumänien und Bulgarien. Diese befürworten einen ukrainischen "Weg zur NATO", der die Kontrolle bei den politischen Entscheidungsträgern belässt und keine strengen Bedingungen für die Ukraine vorsieht. Die zweite Gruppe besteht aus den USA und Deutschland, die konkrete Zusagen vermeiden und einen strengen Rahmen für den Beitrittsprozess der Ukraine bevorzugen. In der Zwischenzeit bringt diese Gruppe vor allem immer wieder alternative "Sicherheitsgarantien" ins Spiel.

Die USA haten im Vorfeld des Gipfels sehr deutlich gemacht, dass selbst ein Waffenstillstand mit Russland nicht ausreichen würde, um die Ukraine in das Bündnis aufzunehmen. Letztlich müsse der Krieg mit Russland ein für alle Mal enden, so Präsident Biden. Als Übergangslösung schlägt er nun das "Israel-Modell" vor. Das Modell zeichnet sich dadurch aus, dass auf Grundlage eines Waffenstillstands weiterhin Waffen in die Ukraine geliefert werden, sodass es in die Lage versetzt wird, sich allzeit selbst verteidigen zu können. Aus amerikanischer Sicht bedeutet dies vor allem zweierlei: Erstens wird die finanzielle Unterstützung - zumindest im Falle Israels - größtenteils darauf verwendet, amerikanische Waffen zu kaufen, ein indirektes Subventionsprogramm, und zweitens werden die USA hierdurch weiterhin großen Einfluss in der Region behalten. Ein nicht zu unterschätzender Fakt des Israel-Modells ist das "Qualitative Edge" genannte(?) Abkommen, nach dem die USA sicherstellt, dass Israel stets einen qualitativen Vorsprung in Sachen militärischer Ausrüstung haben wird, wenn man es denn mit anderen Ländern in der Region vergleicht. Für die Ukraine sicherlich ein angenehmer Gedanke. Kurz vor Beginn des Gipfels gingen diese Gedanken dann auch in die Umsetzung. Frankreich, Deutschland, Großbritannien und die USA verhandelten intensiv über den oben beschriebenen Schutzschirm, der es Unterstützern in unterschiedlichen Formaten erlauben würde, der Ukraine auch weiterhin in allen Formen beizustehen. Dies würde vor allem der dritten Gruppe in der NATO die Möglichkeit für einen Mittelweg aufzeigen. Diese besteht aus den übrig gebliebenen Alliierten, deren Meinung zum Umgang mit der Ukraine beständig variiert.

Eine Mitgliedschaft der Ukraine scheint damit erstmal vom Tisch. Ein anderes Land kann sich hingegen wieder stärkere Hoffnungen auf eine baldige Mitgliedschaft in der NATO machen. Während Nachbar Finnland bereits vor einigen Wochen aufgenommen wurde, hatte Schweden vor allem mit einem türkisch-ungarischen Veto zu kämpfen. Nur wenige Tage vor Beginn des Gipfels war nicht ganz klar, ob erneute bilaterale Verhandlungen zwischen der Türkei und Schweden sowie dem NATO-Generalsekretär Stoltenberg, der seinen Vertrag um ein Jahr verlängert hatte, wirklich zu einem Erfolg führen würden. In einem ersten Gespräch am 06. Juli zeigte sich letzterer zwar zuversichtlich, jedoch wartete Präsident Erdogan direkt mit einer weiteren Forderung auf: Sein Land würde einem Beitritt Schwedens in die NATO nur dann zustimmen, wenn die EU ihre Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wieder aufnehmen würde. Zumindest müsse der Türkei ein klarer Weg in die EU aufgezeigt werden. Schließlich gab der Präsident seinen Widerstand gegen die Mitgliedschaft Schwedens aber auf. Bei einem Treffen am 10. Juli, einen Tag vor Beginn des Gipfels, einigten sich beide Lager, und die Türkei versprach, das Beitrittsprotokoll für Schweden schnellstmöglich dem türkischen Parlament zur Ratifizierung vorzulegen. Die Änderung der Position wurde durch die Bemühungen Schwedens um die Bekämpfung des Terrorismus, die Ausweitung der Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung und die Wiederaufnahme der Waffenexporte in die Türkei beeinflusst. Als Teil der Vereinbarung wird die NATO die neue Position eines "Sonderkoordinators für die Terrorismusbekämpfung" schaffen.

Darüber hinaus sollte sich der NATO-Gipfel auf weitere wichtige Themen konzentrieren. Dazu gehört die beschleunigte militärische Anpassung der NATO an die sich wandelnde Sicherheitslandschaft, einschließlich der Entwicklung neuer Verteidigungspläne und der Stärkung der Befehlsstruktur. Hierbei wurde auch das EU-Vorhaben zur Angleichung der Militärbestände und die gemeinsame Beschaffung diskutiert. Zudem stehen auch globale Sicherheitsherausforderungen auf der Agenda, insbesondere in Bezug auf China, sowie die Zusammenarbeit mit der EU und den Indo-Pazifik-Partnern der NATO. Im Hinblick auf die Ostflanke der NATO war eine Bewertung der umgesetzten Verteidigungs- und Abschreckungsmaßnahmen und der Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten gegen mögliche russische Aggressionen vorgesehen, verbunden mit einer qualitativen Einschätzung, welche Vorhaben des Strategischen Konzepts aus dem letztjährigen Gipfel in Madrid bereits umgesetzt wurden. Angesichts der vielfältigen Bedrohungen für Litauen, darunter Russlands Exklave Kaliningrad und Chinas zwanghafte Handlungen in der Region, wurden führende politische Kräfte aus indo-pazifischen Ländern eingeladen, um über Zusammenarbeit in Bereichen wie wirtschaftlicher Zwang, maritime Sicherheit, Cyberbedrohungen und Desinformation zu diskutieren. Eine weitere Region, auf die diese Problematik ebenfalls zutrifft, ist die Arktis, wo ein zunehmender geopolitischer Wettbewerb zwischen dem Westen, Russland und China zu beobachten ist. Die NATO sollte daher auch ihre Sichtweise auf die Arktis und deren strategische Bedeutung für die kritische Infrastruktur, Verteidigung und Abschreckung diskutieren.

 

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