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„Auf beiden Seiten wird jetzt hoch gepokert“

von Michael Mertes

Domradio-Interview von Christian Schlegel mit Michael Mertes

Sind die israelisch-palästinensischen Gespräche gescheitert oder stehen sie kurz davor? In einem mit dem Domradio am 2. April 2014 geführten Interview erklärt Michael Mertes, Leiter der KAS Israel, weshalb es – bei aller berechtigten Skepsis – noch zu früh ist, die Hoffnung auf einen Fortgang der Verhandlungen aufzugeben.

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Quelle: domradio

Dr. Christian Schlegel: Man kann dem amerikanischen Außenminister John Kerry nicht den Vorwurf machen, dass er nicht alles in seiner Macht Stehende getan hat. Doch es hat alles nichts genützt – nicht seine vielen Reisen in die Region, nicht seine zahllosen Gespräche mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Israels Premier Benjamin Netanjahu. Gestern sind die vergangenes Jahr von Kerry neu angeschobenen Friedensgespräche gescheitert, die Palästinenser haben die Aufnahme in 15 UN-Gremien beantragt und haben damit automatisch den Verhandlungen ein Ende gesetzt. Michael Mertes, der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem, hat die Gespräche verfolgt, und mit ihm sprechen wir jetzt über das Thema. Guten Tag!

Michael Mertes: Guten Tag, Shalom!

Schlegel: Warum hat Palästinenserpräsident Abbas denn die Gespräche beendet?

Mertes: Ich glaube, es ist voreilig, davon zu reden, dass die Gespräche „beendet“ wurden, dass sie gescheitert sind. Wir befinden uns im Moment in einer echten Krise der Gespräche – das ist richtig –, und beide Seiten pokern extrem hoch. Ich betrachte den Schachzug von Abbas, jetzt die Mitgliedschaft in verschiedenen internationalen Organisationen zu beantragen, als ein Drohmittel, als ein Druckmittel, um sein aktuelles Ziel zu erreichen, nämlich die Freilassung von palästinensischen Gefangenen – aber ich sehe noch nicht, dass die Gespräche endgültig gescheitert sind.

Schlegel: Wie reagiert denn Israel auf den Antrag der Palästinenser bei den Vereinten Nationen?

Mertes: Israel reagiert darauf mit Sorge. Die Möglichkeit, die sich den Palästinensern durch Mitgliedschaft in solchen internationalen Organisationen eröffnet, besteht vor allem darin – so die israelische Sicht –, Israel in der Weltgemeinschaft anzuschwärzen und zu isolieren. Diese rechtlichen Möglichkeiten werden durchaus ernst genommen, und Abbas’ Schritt wird als ein Akt der schweren Störung der Gespräche wahrgenommen. Insofern nimmt man das in Israel sehr ernst.

Schlegel: Es wird ja immer gerne so ein bisschen Israel die Schuld gegeben, wenn die Friedensgespräche wieder einmal scheitern. Inwiefern kann man denn der Regierung Netanjahu nun die Schuld geben?

Mertes: Zunächst einmal will ich wiederholen, was ich eingangs gesagt habe: Die Gespräche sind noch nicht gescheitert. Sie sind sicher nahe an einem Scheitern – aber, wie gesagt, es ist noch nicht das Ende des Tages erreicht. Wenn es ein Scheitern gibt, dann wird man sehr genau hinschauen müssen, welche Seite welchen Anteil daran hat. Es gibt hier im Nahen Osten einen Spruch, der das sehr schön zum Ausdruck bringt: „Zum Tango gehören immer Zwei“. Auf beiden Seiten gibt es Hardliner, die gar nicht daran interessiert sind, dass es zu einer Einigung kommt. Das sind die nationalreligiösen Rechten in Israel auf der einen Seite, das sind auf der palästinensischen Seite die Radikalislamisten von der Hamas – und diese beiden Gruppen üben einen enormen innenpolitischen Druck auf die jeweiligen politischen Akteure aus. Man sollte also, wenn wir jetzt schon eine vorwegnehmende Analyse eines möglichen Scheiterns machen, auf beiden Seiten nach den Schuldigen suchen.

Schlegel: Sind Netanjahu oder Abbas die richtigen Persönlichkeiten, um einen möglichen Frieden auf den Weg zu bringen zwischen den beiden Völkern?

Mertes: Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, um bei Abbas anzufangen, dass Abbas ernsthaft eine Lösung, eine friedliche Lösung möchte; dass er ein Mann ist, der – anders als sein Vorgänger Arafat – gegen Gewalt eingestellt ist; der aber meines Erachtens irgendwann zu dem Punkt kommen könnte, an dem er sagt „Es hat keinen Zweck mehr – wir geben die ganze Sache auf, wir geben das Ziel der Zwei-Staaten-Lösung auf. Israel, bitte übernehmen!“ Für Israel wäre das eine Katastrophe, weil es nämlich bedeuten würde, dass seine Existenz als jüdischer Staat langfristig gefährdet wäre: In einem bi-nationalen Groß-Israel gäbe es innerhalb weniger Jahre eine arabische Mehrheit – und damit wäre Israel als jüdischer Staat hochgradig gefährdet.

Zur israelischen Seite – Sie sprechen Netanjahu an –: Ich denke, dass Netanjahu es durchaus ernst meint mit der Zwei-Staaten-Lösung. Er hat immer wieder auch genau dieses demographische Argument dafür verwendet. Er hat das Problem, dass innerhalb seiner eigenen Partei, des Likud, diejenigen, die sagen „Es wird kein Quadratzentimeter Boden von Judäa und Samaria preisgegeben“ inzwischen sehr, sehr stark sind; er steht innerhalb seiner eigenen Partei, wenn man so will, auf dem linken Flügel. Und er hat einen Koalitionspartner, die nationalreligiöse Partei (HaBajit HaJehudi), die strikt dagegen ist, auch nur einen Quadratzentimeter dieses Bodens aufzugeben. Die Frage ist also: Wie risikobereit ist Netanjahu? Ist er bereit, unter Umständen auch seine eigene Position und seine eigene Koalition aufs Spiel zu setzen, um zu einem Kompromiss zu kommen?

Schlegel: Was meinen Sie, wie wird es nun weitergehen, wie denken denn die Palästinenser auch über dieses Thema?

Mertes: In den Palästinensischen Gebieten lässt sich in letzter Zeit eine zunehmende Skepsis beobachten. Es lässt sich auch eine zunehmende Kritik an Abbas beobachten. Ihm wird vorgeworfen, dass sein Weg des Kompromisses, sein Weg der Gewaltlosigkeit im Grunde genommen zu nichts führt. Das ist gefährlich, weil es der Hamas in die Hände spielt. Insofern ist Israel, denke ich, gut beraten, Abbas einen Prestigeerfolg zu gönnen. Und der zweite Punkt, den man einfach sehen muss: In den Palästinensischen Gebieten gibt es sehr starke Kräfte – ich habe die Hamas bereits genannt –, die letzten Endes gegen einen Kompromiss sind.

Schlegel: In den Friedensgesprächen zwischen Israelis und Palästinensern wird derzeit hoch gepokert – das sagt Michael Mertes der Leiter der Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem. Ihnen vielen Dank für Ihre Einschätzung!

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