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Leseprobe aus "Leise Revolutionen"

von Dr. Warnfried Dettling
in: Christine Henry-Huthmacher (Hrsg.): Leise Revolutionen. Familien in Zeiten der Modernisierung, Freiburg 2002, S. 113-115.

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(...) Die neuen Realitäten und ihre Folgen für Mütter, Väter und Familien

In Zukunft werden viele Menschen weniger (Erwerbs) Arbeit und mehr Zeit haben. Im negativen Falle bedeutet das unfreiwillige Erwerbslosigkeit, soziale Ausgrenzung und Unsicherheit mit negativen Folgen für die (Gründung von) Familien. Im positiven Falle kann es mehr Zeit für Eigenarbeit und selbstbestimmte Tätigkeiten, mehr Zeit auch für Kinder und Familien bedeuten.

In der Arbeitswelt der Zukunft werden immer mehr Arbeiten und Tätigkeiten immer weniger in großen Organisationen, sondern immer mehr in kleinen Einheiten und Netzwerken, auf dezentrale Weise und immer öfter auch zu Hause am Computer erledigt werden. Lebenswelt und Arbeitswelt werden auch räumlich wieder näher zusammenrücken.

Die Arbeitswelt der Zukunft wird immer häufiger einen neuen Typ von Mitarbeitern hervorbringen, eine Art „Doppelgänger" (Volker Ziehe), der gleichzeitig sein eigener Arbeitgeber und sein eigener Arbeitnehmer ist: Eine Arbeits- und Lebensweise also, bei der das Ergebnis zählt und nicht die körperliche Anwesenheit, bei der Ideen und Produkte und nicht Zeiten belohnt werden. Das kann mehr Freiheit und Selbstbestimmung, aber auch mehr Abhängigkeit und Selbstausbeutung bedeuten.

In die Arbeitswelt der Zukunft werden langsam zwar, aber stetig und konsequent immer mehr Frauen einziehen und mit ihnen auch neue Ansprüche auf mehr Zeit- und Lebenssouveränität, auf eine Organisation der Arbeitswelt, die Rücksicht nimmt auf die Belange der Lebenswelten. Parallel zu dieser Entwicklung werden immer weniger Männer einen Familienlohn mit nach Hause bringen. Die Verlierer der Entwicklung werden die niedrig oder gar nicht qualifizierten jungen Männer sein und jene, die bisher in den alten Industrien (Bergbau, Werften, Stahlindustrie) beschäftigt waren, deren Heirats- und Familienchancen geringer werden. Die Gewinnerinnen werden die (qualifizierten) jungen Frauen sein, die in ihrer formalen Qualifikation an den Männern vorbeiziehen, sich rascher auf neue Situationen und Tätigkeiten ein- und umstellen und näher an den Wachstumsbranchen der Zukunft (z. B. Bildungs- und Beratungsmärkte und personenbezogene soziale Dienstleistungen) sind. Diese Gewinnerinnen des Wandels sind nicht länger auf Heirat und (Versorger)Ehe angewiesen. Die neue Machtverteilung zwischen den Geschlechtern, die nicht mehr auf den Barrikaden erkämpft wird, sondern als Folge der Veränderungen in der Arbeitswelt einfach geschieht, wird Formen und Selbstverständnis der künftigen Familien tiefgreifend verändern. Drastisch formuliert: (Viele) Männer fallen für die Familien aus, weil mit ihnen ökonomisch keine Familie zu machen ist. Frauen fallen für Familien aus, weil sie auch andere Möglichkeiten haben. Das positive Szenario wäre, dass diese Zeit- und Machtumverteilung zwischen den Geschlechtern begleitet wird von einer neuen Verteilung der gesamtgesellschaftlich notwendigen Erwerbs- und Familienarbeit zwischen beiden Geschlechtern: Eine Chance auch und gerade für Kinder und Familien.

Globalisierung und Digitalisierung haben schließlich weitreichende Auswirkungen auch für die Organisation der eigenen persönlichen Biografie. Aus der Perspektive des Einzelnen wird sich die Einheitlichkeit von Raum und Zeit und der klare Aufbau des Lebens und der Gesellschaft (Jugend/Ausbildung - Erwachsene in Beruf oder Familie -Alter als Rückzug und Ruhe) auflösen. Erwartungssicherheiten werden sich verflüchtigen. Freiheitsgewinne und Sicherheitsverluste sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wer früher bei Bosch oder Daimler oder Siemens anfing, konnte ziemlich sicher sein, dass er dort auch sein berufliches Leben beendet. Wer heute in einem der neueren „Berufe" anfängt, der kann sicher sein, dass er sich in seinem Leben ein paar Mal beruflich wird verändern müssen und immer wieder umlernen muss. Früher gab die berufliche Normalbiografie, auch wenn sie in „kleinen Verhältnissen" begann, den Menschen Sicherheit, Perspektive, Orientierung. Diese Erwartungssicherheit war eine gute ökonomische und emotionale Grundlage für Familien und für Kinder: Sie hat die Wahrscheinlichkeit einer Familiengründung erhöht. In der neuen Lage braucht es starke Menschen, die auch angesichts eines unsicheren Lebens und Phasen der räumlichen Trennung Bindungen eingehen und durchhalten können.

In einer solchen sozialhistorischen Lage kommt einer neuen Familienpolitik und einer anders organisierten Arbeitswelt eine herausragende Bedeutung zu. Ob aus dem sozialen Wandel mehr Lebenschancen für mehr Menschen, auch für mehr Kinder werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die sich verändern lassen. Die wichtigsten von ihnen seien im Folgenden wenigstens angedeutet, Skizzen gleichsam für ein Bauhaus der sozialen Architektur der nachindustriellen Gesellschaft. (...)

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Herausgeber

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

verlag

Verlag Herder Freiburg im Breisgau

ISBN

3-451-20302-2

erscheinungsort

Sankt Augustin Deutschland