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Brasiliens makroökonomische Herausforderungen – Fortsetzung der Rezession oder erneuter Boom?

von Dr. Jan Woischnik, Rafael Radischat
Nach den Jahren des großen Booms traf Brasilien von 2015 - 2016 eine zweijährige Phase der Rezession. Das Land durchlebte eine schwere Wirtschaftskrise, konnte sich jedoch seit Anfang 2017 erstmals wieder erholen. Die Karten für Brasiliens Wirtschaft haben sich seither stetig verbessert. Im vergangenen Jahr 2017 konnte bereits ein Wirtschaftswachstum von 1% erreicht werden, was allerdings verglichen zu den Boomzeiten mit über 7% gewissermaßen gering ist. Der Internationale Währungsfonds schätzt das heurige Wachstum auf 2,3% des BIP und erwartet ein stetiges Wachstum auf 2,5% im Jahr 2019.

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Blick auf eine Baustelle in Sao Paulo, Juni 2017 | © Diogo Moreira / governosp / Flickr / CC BY 2.0 © Diogo Moreira / governosp / Flickr / CC BY 2.0
Blick auf eine Baustelle in Sao Paulo, Juni 2017 | © Diogo Moreira / governosp / Flickr / CC BY 2.0

Obwohl die derzeitigen Aussichten vielmals positiver erscheinen als noch vor zwei Jahren während der Rezession, sind vor allem die Senkung der operativen Kosten für Unternehmen sowie ein attraktiveres Investitionsumfeld von hoher Bedeutung, um die dauerhafte Attraktivität des Landes zu sichern. Der Fokus sollte hierbei vor allem auf die Schaffung einer verstärkten Vertrauensbasis von Konsumenten und Unternehmern abzielen, die durch eine strenge Fiskalpolitik, die Vermeidung von einer weiteren Herabstufung der Kreditwürdigkeit des Landes sowie der erfolgreichen Eindämmung der Inflation erreicht werden könnte. Jedoch werden vor allem größere (umstrittenere) Wirtschaftsreformen wie die Rationalisierung des Steuer- und Abgabensystems oder die Rentenreform vermutlich nur sehr schwer in der verbleibenden Amtszeit von Präsident Temer umsetzbar sein.

Aktuelle Wirtschaftslage

Die derzeitige Wirtschaftslage zeichnet sich vor allem durch die niedrige Inflationsrate von 2,76% (Stand: April 2018) sowie einem niedrigen Zinssatz von 6,5% aus. Seit 2017 setzt ein starker Desinflationsprozess ein, der bis heute zu einem Rückgang der Inflation auf ein historisch niedriges Niveau führt. Durch die sehr langsame Erholung von der Wirtschaftskrise in den Jahren 2015-2016 steigen auch die Preise nur sehr schleppend an. Zusätzlich führen Rekordernten zu einer Senkung der Nahrungsmit-telpreise und eine Arbeitslosigkeitsrate von 13,1% hält das allgemeine Preisniveau stabil. Infolge der historisch niedrigen Inflation setzt die brasilianische Zentralbank den Leitzins Selic von ursprünglich 14,25% im Jahr 2016 auf zunächst 7% in 2017 und nun auf 6,5%. Das weitere Zinsniveau wird stark von den Schwankungen des US-Dollars abhängen und könnte durch die Abhängigkeit der brasilianischen Wirtschaft von amerikanischen Industriegütern in Zukunft beträchtlich schwanken. Bereits von März auf Mai 2018 hat die brasilianische Währung Real etwa 10% an Wert gegenüber dem US-Dollar verloren. Laut Experten wird die zukünftige Zinssatzpolitik vor allem von den Reformvorhaben der nächsten Regierung nach den Superwahlen im Oktober 2018 abhängen.

Brasiliens Industrieproduktion sowie das aktuelle Investitionsprogram „Programa de Parceiras de Investimentos (PPI)“ tragen derzeit zusätzlich zu einer weiteren Verbesserung der Wirtschaftslage bei. Durch die niedrigen Inflations- und Zinsraten konnte sich der brasilianische Industriesektor erholen und im Januar 2018 über 5,8% verglichen zum Vorjahr wachsen. Trotz alledem sank die Industriewachstumsrate zuletzt auf 1,3% im April 2018. Hinter diesen starken Schwankungen steckt ein grobes strukturelles Problem der Wirtschaft. Brasilien gehört zu den Ländern mit den niedrigsten Investitionsquoten (16% des BIP), was vor allem auf die hohe politische und wirtschaftliche Unsicherheit zurückzuführen ist. Zusätzlich führen der schwache Außenhandel, der durch protektionistische Maßnahmen stark eingeschränkt ist, sowie ein mangelnder Fokus auf der Außenwirtschaftspolitik zu weiteren Hürden auf dem Weg zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum. Vor allem jedoch werden die niedrige Produktivität und schwache Wettbewerbsfähigkeit eine entscheidende Rolle spielen, um die brasilianische Wirtschaft für die zukünftigen Herausforderungen fit zu machen. Während die Produktivitätssteigerung des Landes in den Jahren 2001-2013 im Durschnitt 1,6% betrug, hatten andere „emerging markets“ wie beispielsweise China, Wachstumsraten von etwa 9%. Erschwerend kommt hinzu, dass 2/3 des Wachstums nicht etwa auf eine gesteigerte Produktivität, sondern auf ein Wachstum im Arbeitsmarkt zurückzuführen sind.

Herausforderungen für die brasilianische Wirtschaft

Starkes Wirtschaftswachstum und die Bildung einer soliden Mittelschicht haben Brasilien in den letzten zwei Dekaden zu einem wichtigen globalen Akteur gemacht. Trotz der Rezession in den vergangen Jahren konnte sich Brasilien durch günstige demografische Entwicklungen und äußere Rah-menbedingungen sowie durch einen starken Zuwachs an privatem und öffentlichem Konsum im Kontext eines soliden Beschäftigungswachstums positiv entwickeln. Ein belebter Arbeitsmarkt gekoppelt mit einer Verbesserung des Zugangs zu Bildung und umfangreichen Bildungsmaßnahmen erlaubten Millionen von Brasilianern einen Aufstieg in die Mittelsicht und die damit einhergehende Verbesserung der individuellen Lebensbedingungen. Etwa 25 Millionen Brasilianer konnten seit 2003 der Armut entfliehen, wodurch das Land einen beträchtlichen Sprung nach vorne getätigt hat. Dennoch steht Brasilien nicht zuletzt durch die bevorstehenden Wahlen im Oktober 2018 vor großen Herausforderungen.

Fokussierend auf der wirtschaftlichen Situation des Landes können laut dem im Februar 2018 veröffentlichten OECD-Bericht die folgenden vier Bereiche als zukünftige Herausforderungen und Risiken identifiziert werden: (1) Verbesserung von makroökonomischen Kennzahlen und der wirtschaftspolitischen Steuerung, (2) Anhebung der Investitionsrate, (3) Förderung einer intensiveren Integration in den Weltmarkt, (4) Stärkung eines „grünen“ Wachstums.

(1) Verbesserung von makroökonomischen Kennzahlen & wirtschaftspolitische Steuerung:

Seit 2014 hat sich die Fiskalsituation des Landes substanziell verschlechtert. Dies ist vor allem durch erhöhte Staatsausgaben sowie eine Stärkung des Dollars gegenüber dem Real zu erklären. Im Dezember 2016 hat der brasilianische Senat der von Präsident Temer vorgelegten Verfassungsänderung PEC 55 zugestimmt, durch die die Staatsausgaben für die kommenden neun bzw. zwanzig Jahre eingefroren werden. Dies bedeutet, dass der Bundeshaushalt bis hin zum Jahr 2038 nur im Rahmen des Inflationsausgleichs wachsen, nicht jedoch mit dem Bevölkerungswachstum mitziehen wird. Die Regierung argumentiert damit, dass der Haushalt dringend saniert werden muss, um das Vertrauen der internationalen Investoren wiederzugewinnen. Kritiker hingegen befürchten eine spürbare Verschlechterung im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich und Einschnitte bis zu 40% sowie eine Verringerung des Mindestlohns. Laut OECD wäre ein BIP-Überschuss von etwa 2% notwendig, um die Staatsverschuldung langfristig zu stabilisieren. Außerdem sieht der Bericht vor allem eine unabhängigere Rolle der brasilianischen Zentralbank als eine essentielle Voraussetzung, um die Geldmarktpolitik effizienter und zielgerichteter zu gestalten. Eine große Hürde hierbei ist die schwierige Konsensfindung in der brasilianischen Politik. Ohne systematische Kontrollen und ein korruptfreies öffentliches Auftragswesen wird vor allem der öffentliche Sektor weiterhin unter einer ineffizienten Amtsführung leiden müssen.

(2) Anhebung der Investitionsrate:

Brasiliens Geschäftsumfeld ist stark geprägt durch hohe Steuerkonformitätskosten und Kapitalkosten sowie große Verwaltungslasten, die die Anlageerträge und Attraktivität des Landes deutlich reduzieren. Gleichzeitig führt die geringe Konkurrenz in vielen Branchen zu einer fehlenden und oftmals suboptimalen Aufteilung von Ressourcen. Der OECD-Bericht rät vor allem zu einer Konsolidierung der verschiedenen Mehrwertsteuern auf Bundes- und Landesebene in eine einheitliche Mehrwertsteuer. Derzeit variiert die MwSt. („ICMS – Imposto sobre cir-culação de mercadorias e serviços) von 0% bis hin zu 35% von Bundestaat zu Bundestaat. Eine weitere Hürde im Bestreben einer Anhebung der Investitionsrate von derzeit 16% des BIP ist der Vergabeprozess von langfristigen Krediten durch die nationale Entwicklungsbank BNDES. Durch die Dominanz der BNDES ist der Wettbewerb im Bereich der privaten Investitionsfinanzierung verzerrt und behindert die Entstehung eines freien und belebten Investitionssektors. Zusätzlich führt eine schwache Projektstruktur und mangelnde Organisation zu geringer privatwirtschaftlicher Teilnahme an größeren öffentlichen Infrastrukturprojekten. Um den zuvor genannten Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, wird Brasilien vor allem eine Umstrukturierung des Abgaben- und Steuersystems benötigen, die gekoppelt mit einer effizienteren Arbeitsweise der Behörden einhergehen muss.

(3) Förderung einer intensiveren Integration in den Weltmarkt:

Exporte und Importe machen insgesamt lediglich ein Viertel des brasilianischen BIPs aus. Damit ist Brasilien signifikant weniger in internationale Handelsströme integriert als andere Schwellenländer mit einer vergleichbaren Größe. Dies ist vor allem ein Resultat der jahrzehntelangen Binnenorientierung Brasiliens. Das Land belegt derzeit Platz 125 von 190 Ländern in dem von der Weltbank publizierten „Ease of doing business“ Messungen. Internationale Unternehmen sehen vor allem die hohen Zölle, ein schwer durchschaubares Zollsystem, hohe Abgabenquoten und ein überlastetes Justizwesen als Barrieren in den brasilianischen Markt. Gleichzeitig versucht man von brasilianischer Seite vor allem durch den „Plano Brasil Maior“ Anreize für nationale Produzenten zu schaffen, indem man ihnen große Steuererleichterungen in Aussicht stellt sowie hohe Zölle und Mindestquoten für eine lokale Wertschöpfung („Buy Brazil“-Programm) von internationalen Unternehmen fordert. Die OECD sieht vor allem durch niedrigere Zölle und den Wegfall von einer verpflichtenden lokalen Wertschöpfungsquote eine Möglichkeit, die brasilianische Wirtschaft in die globalen Märkte besser zu integrieren. Zusätzlich wird ein umfassendes Trainings- und Weiterbildungsprogramm für künftige Umstrukturierungen von großer Bedeutung sein. Durch solche staatlich finanzierten Programme könnte es mit tatkräftiger Unterstützung der Politik gelingen, dem Land zu einer besseren Integrierung in den Weltmarkt zu verhelfen.

(4) Stärkung eines „grünen“ Wachstums:

Brasilien hat bei der Reduzierung seiner Treibhausgasemissionen deutliche Fortschritte gemacht und ist auf gutem Weg, sein Reduktionsziel von -40% des CO2-Ausstoßes bis 2020 zu erreichen. Der größte Teil dieser Verringerung ist auf einen Rückgang der Entwaldung von 82% in den Jahren 2004-2014 zurückzuführen. Gründe für die Fortschritte umfassen die Tatsache, dass weite Naturflächen speziellen Schutz erhalten haben sowie die Verbesserung der Strafverfolgung durch die Implementierung eines neuen Waldgesetzes im Jahr 2012 (Satellitenbilder werden seit jeher zur Beweisaufnahme genutzt). Die Biodiversität der natürlichen Ressourcen Brasiliens, einschließlich des Amazonasregenwaldes, halten große Chancen und Potenzial bereit, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und eine bessere soziale Eingliederung des benachteiligten Nordens Brasiliens zu erzielen. Eine nachhaltige Nutzung dieser natürlichen Ressourcen ist entscheidend, um den Menschen in der Region zu helfen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Obwohl bereits 44% der Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen stammt, steigen die Treibhausgas-Emissionen vor allem in den Bereichen Transport und Landwirtschaft weiter an8. Neuste Daten zeigen, dass sowohl in den Jahren 2015 als auch 2016 eine CO2-Erhöhung von 24% bzw. 29% stattgefunden hat. Laut OECD könnte eine Erhöhung der Steuern auf fossilen Brennstoffen dazu beitragen, den jüngsten Anstieg der CO2-Emissionen wieder umzukehren.

Fazit

Schwache Konsumnachfrage, verlorenes Vertrauen internationaler Investoren, langsames Wachstum und ein immer weniger attraktives externes Umfeld werden sicherlich dazu beitragen, dass das Thema Wirtschaft auch nach den Superwahlen im Oktober 2018 eine hohe Priorität auf der brasilianischen Agenda einnehmen wird. Makroökonomische Faktoren scheinen klare Hinweise darauf zu geben, dass zumindest vorläufig die Rezession überwunden wurde. Jedoch steht die brasilianische Wirtschaft durch ihre groben strukturellen Probleme zunehmend unter Druck. Die herrschende politische Unsicherheit, die weitverbreitete Korruption auf allen Ebenen sowie die zunehmende Gewalt und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit werden auch in Zukunft die Wirtschaft negativ beeinflussen. Das Risiko besteht, dass die prekäre und instabile Wirtschaftslage noch zusätzlich negativ durch die ungewisse politische Lage während des Superwahljahres 2018 beeinflusst wird. Wichtige Reformprojekte und die effektive Durchführung von geplanten Maßnahmen sollten aktiv genutzt werden, um das Land langfristig zu stabilisieren und zurück auf die internationale Bühne der „emerging markets“ zu bringen.

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