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Chilenische Regierung stellt neues Energiekonzept vor

von Dr. Martin F. Meyer, Winfried Jung

Deutlicher Ausbau von Wasserkraftwerken und erneuerbarer Energie geplant

Am Dienstag, 28. Februar 2012, hat Chiles Präsident Sebastián Piñera die neue Energiestrategie der Regierung vorgestellt, mit der in Zukunft die Stromversorgung des Landes angesichts des andauernden Wirtschaftswachstums gewährleistet werden soll. Die Schwerpunkte des Aktionsplans liegen insbesondere auf dem Ausbau der Hydro- sowie anderer erneuerbarer Energien. Verbessert werden soll aber auch das unterentwickelte Leitungsnetz, welches weiterhin die Achillesferse des chilenischen Stromsektors darstellt. Eine Einführung von Atomenergie wird hingegen bis auf weiteres nicht in Erwägung gezogen.

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In den letzten zwanzig Jahren hat Chile eine rasante wirtschaftliche Entwicklung erlebt. Wie in anderen aufstrebenden Schwellenregionen der Welt war dieses dynamische Wachstum jedoch mit einem ebenso rasant ansteigenden Energiebedarf verbunden. Chiles Stromverbrauch wächst gegenwärtig pro Jahr um die 7 Prozent. Seit 1970 hat sich die Energienachfrage alle zehn Jahre verdoppelt. Die hohen Zuwachsraten sollen sich auch in den kommenden Jahren fortsetzen. Bis 2020 wird laut Präsident Piñera ein erheblicher Ausbau der Kraftwerksleistung von gegenwärtig rund 17.000 Megawatt auf 25.000 Megawatt nötig sein, um diesem steigenden Energiebedarf gerecht zu werden.

Erschwert wird diese Ausgangssituation dadurch, dass Chile für seine Energieerzeugung gegenwärtig zum großen Teil auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen ist. Auch aus diesem Grund sind Strom- und Heizungskosten hierzulande fast doppelt so hoch wie in anderen Ländern der Region. Spätestens seit ausbleibenden Gaslieferungen aus Argentinien im Jahre 2004 und den daraus resultierenden Versorgungsengpässen im Stromsektor ist die Reduzierung der internationalen Energieabhängigkeit Chiles ein wichtiges Thema auf der politischen Agenda. Die andauernde Diskussion über die Sicherheit und Nachhaltigkeit des chilenischen Energiesektors haben zu einer neuen energiepolitischen Weichenstellung geführt, in der zukünftig Energieeffizienz und erneuerbare Energien eine deutlich größere Rolle spielen sollen.

Derzeit basiert die Energie-Matrix des Landes noch zu rund 60 Prozent auf fossilen Brennstoffen (Kohle, Erdöl und Erdgas), welche fast komplett aus dem Ausland importiert werden. Aus eigener Wasserkraft werden zwar 34 Prozent erzeugt, aus anderen regenerativen Energiequellen wie Wind oder Solar (die in Chile so genannten „nicht konventionellen erneuerbaren Energien“, ERNC) bisher jedoch nur 3 Prozent. Angesichts seiner geographischen Beschaffenheit und unterschiedlichen Temperaturzonen verfügt Chile jedoch über beachtliche Potenziale zum Ausbau ebendieser Energieträger. Laut GIZ hat die Privatwirtschaft bisher jedoch nur in Einzelfällen in diesen Energiesektor investiert, zumal die Einspeisung in das Stromnetz durch ungeklärte rechtliche und technische Fragen erschwert war. Außerdem wird bemängelt, dass erneuerbare Energien im liberalisierten, vollständig privatisierten Strommarkt bisher noch im direkten Wettbewerb mit konventionellen Energieträgern stehen.

Angesichts dieser Sachlage ist die Förderung von Wasserkraft und anderen erneuerbaren Energien einer von sechs zentralen Schwerpunkten in der neuen Energiestrategie der Regierung. So verkündete Piñera bei der öffentlichen Vorstellung des 40-seitigen Dokuments mit dem Titel „Energie für die Zukunft“, dass der Anteil von Wasserkraft in der Energie-Matrix in den nächsten zwanzig Jahren bis auf 45-50% erhöht werden soll. Als Vorbild dienen Industrie- und Entwicklungsländer wie Norwegen (99%), Brasilien (80%), Venezuela (73%), Kanada (59%) und Schweden (46%), die einen hohen Prozentsatz an Wasserkraft in ihrer Energieerzeugung haben. Gleichzeitig soll bis 2020 der Anteil der nicht konventionellen erneuerbaren Energien in der Stromversorgung ebenfalls deutlich gesteigert werden, von derzeit 3 auf 20 Prozent. Die weitere Nutzung von thermischer Energie und fossilen Brennstoffen möchte Piñera mit höheren Steuerbelastungen entmutigen. Aber auch die Energieeffizienz des Landes soll signifikant verbessert werden. Die Absicht der chilenischen Regierung ist, das Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch „abzukoppeln“ und durch verschiedene Initiativen das Bewusstsein für eine verantwortungsvolle Nutzung von Energie zu fördern. Bis 2020 sollen so bis zu 12% des erwarteten Stromverbrauchs eingespart werden.

Piñera betonte in seiner Rede, dass man durch eine Diversifizierung der Energiequellen und höherer Energieeffizienz nicht nur unabhängiger werden möchte, sondern ebenfalls für den wachsenden Bedarf in den nächsten Jahrzehnten gerüstet sein wolle. Chiles positives Wirtschaftswachstum könne in Zukunft nur durch eine nachhaltige Steigerung der Stromerzeugung und -versorgung gewährleistet werden. „Ohne saubere, günstige und sichere Energie werden wir es nicht schaffen, ein entwickeltes Land zu werden“, so Piñera. Insgesamt müssten bis zum Jahre 2020 zusätzlich rund 8.000 Megawatt geschaffen werden. Das chilenische Staatsoberhaupt gab zu verstehen, dass man bis 2014 mit den bereits vorhandenen Kapazitäten und den sich im Bau befindenden Anlagen keine Engpässe in der Energieversorgung zu befürchten habe. „Wir können jedoch in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, wenn wir heute nicht die nötigen Entscheidungen treffen“, betonte der Präsident.

Auch in die Infrastruktur und Verbesserung der Stromtrassen und -leitungen soll in Zukunft kräftig investiert werden. Das hiesige Übertragungsnetz, welches benötigt wird, um den Strom von den Erzeugern zu den Abnehmern zu leiten, ist eines der großen Schwachpunkte in Chiles Energiesektor. Zuletzt hatte im September 2011 ein massiver Stromausfall große Teile des Landes für mehrere Stunden lahmgelegt. Weitere Schwerpunkte der Regierungsstrategie sind der Aufbau eines transparenten und preisgünstigen Strommarktes durch Maßnahmen wie klarere Ausschreibungsverfahren und umfassendere Einbindung neuer Akteure, ferner eine Verbesserung der Umweltgesetzgebung und Institutionen und schließlich die Förderung der regionalen Integration mittels besserer Stromverbindungen mit den Nachbarstaaten. Bis auf weiteres nicht geplant ist laut Piñera die Einführung von Kernkraft, welche im Land noch reichlich Befürworter findet, selbst nach der jüngsten Reaktorkatastrophe von Fukushima und der Tatsache, dass die Kernenergie in Chile genauso wie in Japan aufgrund der hohen Erdbebengefährdung mit einem überdurchschnittlichen Risiko verbunden wäre.

Dem Aktionsplan waren monatelange Diskussionen einer von der Regierung beauftragten Expertenkommission (CADE) vorausgegangen, deren Empfehlungen maßgeblich in das Regierungskonzept eingeflossen sind. Parallel hatte eine unabhängige Kommission aus Bürgervertretern, Umweltexperten und Abgeordneten (CCTP) ein eigenes, recht kritisches Dokument ausgearbeitet, welches ebenfalls in zentralen Punkten der neuen Energiestrategie entspricht. Daher überrascht es nicht, dass der Regierungsplan von Unternehmern und Umweltexperten fast ausnahmslos positiv aufgenommen wurde. Dennoch dürfte die Realisierung der sechs Schwerpunkte nicht einfach werden.

Zum einen müssen hierzu mehr als 100 konkrete Maßnahmen einschließlich zahlreicher Gesetzesänderungen implementiert werden. Dieser Prozess dürfte durch eine zunehmend kritische und oft nicht umfassend informierte Bürgerschaft weiter erschwert werden. Besonders der Bau von massiven Staudamm-Projekten wie „HidroAysén“ im Süden des Landes ist höchst umstritten, da laut Kritikern hierdurch die Natur maßgeblich in Mitleidenschaft gezogen wird. In den Meinungsumfragen lehnt eine deutliche Mehrheit, nämlich drei von vier chilenischen Bürgern, dieses Großprojekt ab. In den vergangenen Monaten waren an verschiedenen Tagen mehrere tausend Menschen auf die Straße gegangen, um ihren Unmut gegenüber dem Bauvorhaben Luft zu machen. Befürworter argumentieren derweil, dass Chile seinen „komparativen Kostenvorteil“ bei Wasser ausnutzen müsse. Auch Piñera hat das Projekt in der Vergangenheit vehement verteidigt: „Es kann nicht sein, dass wir uns alle einig sind, dass Chile in Zukunft mehr Energie braucht und wir gegenwärtig auch bereit sind, diese Energie großzügig in Anspruch zu nehmen, uns dann aber gegen alle Formen ihrer Erzeugung stellen“, so das Staatsoberhaupt in Hinblick auf die landesweiten Proteste. Bessere Bildung und öffentliche Information werden daher unerlässlich sein, um die Bürger von den Vorzügen der erneuerbaren Energie zu überzeugen, so der Unternehmer Francisco Aguirre in einem Interview mit der Tageszeitung El Mercurio.

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