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Der Stillstand in Israel hat ein Ende

von Dr. Aylin Matlé

Holpriger Weg bis zur Regierungsbildung

Es ist soweit – nach einem Jahr der politischen Instabilität, hat Israel wieder eine Regierung; diese wird einem Rotationsprinzip folgend von Benjamin Netanjahu und Benni Gantz geführt. Der Likud-Vorsitzende Netanjahu wird in den ersten 18 Monaten als Premierminister amtieren, danach ist sein ehemaliger politischer Rivale Gantz am Zug.

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Holpriger Weg bis zur Regierungsbildung

Israel wählte am 2. März dieses Jahres zum dritten Mal in weniger als einem Jahr das Parlament – ein Novum in der Geschichte des Landes. Netanjahu war es nach der ersten Wahl am 9. April 2019 nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. Grund hierfür war der unüberbrückbare Dissens zwischen den beiden an der Regierung beteiligten ultraorthodoxen Parteien einerseits und der rechtsnationalen Partei Israel Beitenu („Unser Haus Israel“) von Avigdor Lieberman andererseits über die Wehrpflicht für ultraorthodoxe Männer. Auch der Ausgang des zweiten erforderlichen Urnengangs am 17. September 2019 führte nicht zur Bildung einer Regierung. Folglich musste Israel zu Beginn dieses Jahres erneut wählen. Der Ausgang der dritten Abstimmung brachte auch keinen eindeutigen Sieger hervor; zwar konnte der Rechtsblock unter der Führung von Netanjahu einen Stimmenzugewinn von vier Knessetmandaten verzeichnen, für die notwendige Mehrheit von 61 in der 120 Sitze umfassenden Knesset reichte es allerdings nicht aus. Das Blau-Weiß-Bündnis unter der Führung von Gantz lag knapp hinter dem Likud und verfügte ebenfalls über keine Mehrheit in der Knesset. Allerdings gelang es dem ehemaligen General, eine ausreichende Anzahl von Knessetabgeordneten davon zu überzeugen, sich für ihn als Premierminister auszusprechen. In der Folge betraute Staatspräsident Reuven Rivlin Gantz mit der Regierungsbildung. In einem ersten Schritt einigten sich Blau-Weiß und die anderen Partner auf die Neuwahl des Knessetsprechers. Der Amtsinhaber, Yuli Edelstein (Likud) weigerte sich jedoch, die Wahl auf die Tagesordnung zu setzen. Mit einem Gefolgsmann als Knessetsprecher und einer Mehrheit im Parlament, hätte das Bündnis von Gantz ein Gesetz verabschieden können, dass dem angeklagten Netanjahu den erneuten Weg zum Premierministerposten versperrt hätte. Auf die Weigerung Edelsteins, die Wahl seiner Nachfolge zuzulassen, reagierte der Oberste Gerichtshof mit dem Urteil, dass den Parlamentssprecher aufforderte, eben jene Wahl abzuhalten. Statt der Aufforderung nachzukommen, trat Edelstein zurück und bezichtigte den Obersten Gerichtshof der Amtsanmaßung.

Gantz‘ Kehrtwende

Gantz nutzte das nun freigewordene Amt jedoch nicht, um eine Koalition ohne den Likud zu auf den Weg zu bringen. Stattdessen gab er Ende März 2020 bekannt, eine Einheitsregierung mit dem noch geschäftsführenden Premierminister Netanjahu bilden zu wollen. Gantz begründete diesen Schritt mit der Verantwortung, der er als Politiker in Zeiten der Corona-Krise gerecht werden müsse. Daraufhin zerbrach das Blau-Weiß-Bündnis, das mit dem erklärten Ziel, Netanjahu abzulösen, ins Leben gerufen worden war. Bis kurz vor Gantz' Kehrtwende hatte auch dieser darauf beharrt, nicht mit dem Likud-Vorsitzenden regieren zu wollen, da der noch amtierende Regierungschef zu Beginn dieses Jahres in drei Fällen wegen Korruption, Vorteilsnahme und Bestechung angeklagt worden ist. Aufgrund der Anklage gegen den Likud-Vorsitzenden, behandelte der Oberste Gerichtshof während der Sondierungsgespräche zwischen Netanjahu und Gantz eine Petition gegen die Rechtmäßigkeit des Premierministers, eine Regierung zu bilden. Ein weiteres Ansuchen richtete sich gegen Teile des vorläufigen Koalitionsvertrags. So sah dieser vor, Regierungsangestellte erst nach Ablauf eines halben Jahres nach Vereidigung der Regierung zu ernennen. Zudem beabsichtigen die Koalitionspartner, in den ersten sechs Monaten ausschließlich Gesetze zuzulassen, die der Bekämpfung von COVID-19 dienen. Die Antragssteller der Petition gegen den Koalitionsvertrag hielten beide Vereinbarungen für anfechtbar, weswegen sie sich an den Obersten Gerichtshof wandten. Die obersten Richter Israels wiesen den Einspruch gegen Netanjahus Eignung als Regierungschef zurück und gaben damit den Weg frei für eine Einheitsregierung. Auf die Petition gegen den Koalitionsvertrag reagierten die obersten Richter des Landes mit dem Aufruf, sowohl die Vereinbarung über die Ernennung von Regierungsangestellten als auch über die Sperrfrist von Gesetzten ohne Corona-Bezug zu überdenken. Die Regierungspartner gaben bekannt, den Aufforderungen des Obersten Gerichts nachzukommen.  Folglich dürfen Regierungsbeamte innerhalb von 100 Tagen nach Aufnahme der Regierungsgeschäfte ernannt und nicht-COVID-19 relevante Gesetze verabschiedet werden.

Größtes Kabinett in Israels Geschichte

Nachdem die Richter den Weg geebnet hatten für eine Rotationsregierung mit Netanjahu und Gantz an deren Spitze, musste das Parlament das Grundgesetz über die Regierung ändern, um es der neuen Koalition zu ermöglichen, bis 2024 zu regieren. Ursprünglich sah die Vereinbarung zwischen Gantz und Netanjahu vor, die Legislaturperiode der im März gewählten Knesset um ein Jahr und fünf Monate zu kürzen, um sowohl Netanjahu als auch Gantz für jeweils 18 Monate an der Spitze der Regierung stehen zu lassen – dieser Absprache zufolge wären 2023 reguläre Wahlen notwendig geworden. Laut der aktuellen Vereinbarung hingegen, kann die Knesset mit einer Mehrheit von 75 Abgeordneten darüber befinden, ob Netanjahus Amtszeit als Premierminister verlängert werden soll. Dem Koalitionsvertrag stimmte eine Mehrheit der Volksvertreter in der Knesset zu, gemäß welchem das Netanjahu-Gantz Kabinett bis zu 36 Minister und 16 Stellvertreter umfasst – damit wird es als größtes in die Geschichte des Landes eingehen. Die Ministerien sollen paritätisch zwischen den Gefolgsleuten von Netanjahu und Gantz aufgeteilt werden. Dem Premierminister folgen neben seiner eigenen Partei, dem Likud, die ultraorthodoxen Parteien Shas und das Vereinigte Thora-Judentum in die Koalition. Blau-Weiß stellt 16 Abgeordnete; zudem gehören zwei weitere ehemalige Mitglieder des Wahlbündnisses der Koalition an. Auch die Arbeiterpartei beteiligt sich mit zwei Abgeordneten an der Regierung. Das Links-Bündnis, mit dem sie zur Wahl angetreten war, ist über den Regierungseintritt ebenso zerbrochen wie Blau-Weiß. Neben dem Posten des Premierministers in spe, ist Gantz neuer Verteidigungsminister, seine Parteikollegen Gabi Ashkenazi und Avi Nissenkorn übernehmen das Außen- bzw. Justizministerium. Auch für die meisten anderen Abgeordneten, die Gantz in die Regierung führt, sind Ministerposten vorgehsehen.

Folgen der Koalitionsvereinbarung

Aus der Regierungsbildung und der ihr zugrundeliegenden Koalitionsvereinbarung lassen sich bislang insbesondere die folgenden Schlüsse für die Innen- wie Außenpolitik Israels ziehen:
1.    Der vor Jahren eingesetzte Niedergang der israelischen Linken setzt sich fort. Die Arbeiterpartei, die von der Gründung des Staates bis 1977 durchgehend den Premierminister gestellt hatte, verliert zunehmend an Bedeutung. Es ist nicht auszuschließen, dass die Partei bei den nächsten Wahlen den Einzug ins Parlament verfehlen wird.  Nachdem Abgeordnete der Arbeiterpartei in die Regierung von Netanjahu eingetreten sind, besteht die Opposition im linken Lager hauptsächlich aus der Meretz-Partei und der Vereinigten Liste der Arabischen Parteien, die allerdings bislang keinen Block gebildet haben.
2.    Das Blau-Weiß-Bündnis, das nach seiner Gründung Anfang 2019 als Hoffnungsträger der politischen Mitte gefeiert wurde, hat sich zugunsten einer Koalition mit Netanjahu aufgelöst. Yair Lapid, der bis vor kurzem als Ko-Vorsitzender dem Blau-Weiß-Bündnis angehörte und sich gegen eine Koalition mit Netanjahu wandte, könnte versucht sein, sich zum Retter der politischen Mitte in Israel aufzuschwingen. Ob ihm das gelingen kann, ist ungewiss. Derzeit zeichnet sich die Gründung einer neuen Partei in der politischen Mitte nicht ab. Mit dem Wechsel eines Teils des ehemaligen Blau-Weiß-Bündnisses und der Arbeiterpartei in die Regierung, hat sich das politische Gravitationszentrum deutlich nach rechts der Mitte verschoben – ein Trend, der sich seit Jahren in Israel beobachten lässt.
3.    Der Koalitionsvertrag verschiebt das Kräfteverhältnis innerhalb der Regierung. Netanjahu und Gantz haben sich darauf verständigt, dass ersterer ein Vetorecht in der Ernennung des nächsten Generalstaatsanwalts und Staatsanwalts haben wird – mit diesem kann er sich gegen die Entscheidung des Justizministers stellen. Damit hätte Netanjahu Einfluss auf das Justizsystem, das über seine Anklage befinden wird. Der Prozess gegen den Premier soll ab 24. Mai dieses Jahres beginnen.
4.    Der Koalitionsvertrag schreibt fest, dass der Premierminister seinem Kabinett Pläne zur Annexion des Westjordanlands ab dem 1. Juli vorlegen darf. Sofern sich das Kabinett für die von Netanjahu vorgestellten Pläne ausspricht, müssen der Auswärtige- sowie der Verteidigungsausschuss der Knesset ebenfalls zustimmen, anschließend das gesamte Parlament. Netanjahu muss sich zwar mit seinem Vize beraten, bevor er seine Pläne im Kabinett präsentiert, Gantz verfügt allerdings nicht über ein Vetorecht, um die Vorhaben des Premiers zu kippen. Sowohl der US-Außenminister Mike Pompeo als auch der amerikanische Botschafter in Israel, David Friedman, haben betont, dass die Entscheidung, Teile des Westjordanlands zu annektieren, alleine Israels Entscheidung sei. Friedman fügte hinzu, dass die USA bereit seien, einen solchen Schritt innerhalb von „wenigen Wochen“ anzuerkennen, sofern dieser mit Israels Bereitschaft verbunden sei, mit den Palästinensern über ihren künftigen Staat zu verhandeln – so wie im US-Friedensplan vorgesehen, den der amerikanische Präsident Donald Trump zu Beginn dieses Jahres vorstellte. Gegen die unilateralen Annexionspläne Israels erheben sich zunehmend international Stimmen; auch im Kreise der EU-Staaten lässt sich zum Teil großer Unmut über das angekündigte Vorhaben der neuen Regierung vernehmen.

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