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Doppelschlag: Griechenland vor Kommunal- und Europawahlen

von Iakovos Dimitriou

Urnengang im Zeichen der Krise

Nach zwei dicht aufeinander folgenden Parlamentswahlgängen 2012 werden am 18. und 25. Mai die griechischen Wähler erneut an die Urnen gerufen. Die Verhältnisse im Land stehen derweil immer noch im Zeichen der Krise: Trotz verbesserter ökonomischer Kennzahlen bleibt die innenpolitische Lage angespannt.

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Knapp zehn Millionen wahlberechtigte Griechen sind an den kommenden beiden Sonntagen aufgerufen, ihrer Wahlpflicht nachzukommen: Zwei Kommunal- und Regionalwahlgänge am 18. und 25. Mai fallen mit der Wahl zum Europäischen Parlament zusammen. Das Votum auf der kommunalen und europäischen Ebene könnte erhebliche Auswirkungen auf die nationale Politik zeitigen – in der die Regierungskoalition unter großem Druck steht.

Aus den Wahlen 2012 ging erstmals in der Geschichte Griechenlands eine Dreiparteienkoalition der konservativen Nea Demokratia (ND) mit der sozialdemokratischen Panellínio Socialistikó Kínima (PASOK) und der gemäßigten Linken Dimar hervor. Nachdem letztere bei einer Regierungskrise im vergangenen Sommer die Koalition verlassen hat und immer wieder im Rahmen von Gesetzesabstimmungen „abtrünnige“ Abgeordnete aus den großen Fraktionen ausgeschlossen wurden, verfügt das Regierungsbündnis nur noch über eine dünne Mehrheit von zwei Sitzen. Die Opposition am rechten und linken Rand des Parteienspektrums sieht mit den Kommunal- und Europawahlen nun ihre Chance für einen Regierungssturz gekommen.

Fortgesetztes Ende des Zweiparteiensystems

Seit 2012 erlebt das über Jahrzehnte äußerst stabile griechische Parteiensystem massive Umbrüche. Das größte Stabilitätsrisiko der bevorstehenden Wahlen ergibt sich aus der Situation der PASOK. Von einer absoluten Mehrheit in 2009 kommend, war die Partei 2012 auf 12 Prozent und in Umfragen anschließend auf rund 5 Prozent Zustimmung abgestürzt. PASOK wird von vielen Griechen für das unprofessionelle Krisenmanagement, insbesondere unter dem früheren Ministerpräsidenten Georgios Papandreou, verantwortlich gemacht. Zudem hat die von der PASOK lange mit populistischen Wahlversprechen und deren Einlösung bediente Klientel im öffentlichen Sektor inzwischen auf viele Privilegien verzichten müssen. Zugleich ist der Partei keinerlei Erneuerung gelungen – inhaltlich, strategisch und vor allem nicht personell. Der sich beharrlich an der Spitze haltende Parteivorsitzende, Vizepremier und Außenminister Evangelos Venizelos, führt seine Partei unbeirrt immer tiefer in die Bedeutungslosigkeit.

Aus der Not dieser Situation heraus ging PASOK im März 2014 ein strategisches Bündnis mit fünf weiteren sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Parteien unter dem Namen Elia (Olivenbaum) – nach italienischem Vorbild – ein, um die Kräfte zu vereinen und eine Destabilisierung der schwachen Regierungskoalition zu verhindern. Dennoch tritt Venizelos nun im Wahlkampf verstärkt mit der Drohung auf, dass ein Stimmenanteil von unter 6 Prozent für Elia das Regierungsbündnis kippen könnte. Für diesen Fall wird über eine mögliche Regierungsumbildung ohne Neuwahlen spekuliert. Denn Parlamentswahlen wären für PASOK derzeit die größte Gefahr – der Wiedereinzug in die Voulí wäre nicht gesichert.

Abgelöst wurde PASOK als zweitstärkste Partei 2012 vom Bündnis der radikalen Linken SYRIZA unter seinem charismatischen Parteiführer Alexis Tsipras. Inzwischen liegt SYRIZA in Umfragen bei rund 21 Prozent gleichauf mit der ND. Entscheidend wird nach den Europawahlen der Stimmenabstand zwischen SYRIZA und ND sein. Er definiert den Druck, den SYRIZA dann für den nationalen Wahlgang aufbauen wird.

Trotz Stimmenverlusten bei den Wahlen 2012 bewahrt die ND unter Ministerpräsident Samaras ein gewisses Maß an Stabilität und Zuspruch seitens der Bevölkerung. Insbesondere die Zustimmungswerte zu Samaras als Ministerpräsident, der seit 2012 als „Krisenmanager“ firmiert, sind mit 44 Prozent beachtlich.

Verlorene Gewissheiten und parteipolitische Fragmentierungen

Für Beunruhigung unter politischen Beobachtern sorgt bei den bevorstehenden Wahlen der Anteil der potenziellen Nichtwähler - rund 16 Prozent nach Umfragen. Zudem wollen knapp 8 Prozent der Befragten bei Umfragen ihre Wahlentscheidung nicht nennen. Die institutionelle und parteipolitische Frustration ist unter der griechischen Bevölkerung über die letzten vier Jahre auf ein Höchstmaß gestiegen. Eurobarometer-Umfragen belegen die fast vollständige Erosion des Vertrauens in Parlament, Parteien und andere politischen Institutionen. Parteipolitische Orientierungslosigkeit plagt viele Wähler, die früher entlang familiärer Parteizugehörigkeiten oder aufgrund von Klientel-Strukturen bestimmte Gruppierungen in selten hinterfragter Logik unterstützten. Diese traditionellen Beziehungsnetze sind in Griechenland in Auflösung begriffen. Eine strategische und vor allem inhaltlich überzeugende Antwort der etablierten Parteien auf diese Situation steht noch aus. Bis dahin wächst die politische Apathie.

In Anbetracht dessen haben neue Parteien und politische Bewegungen gute Chancen, Wähler zu gewinnen. Die griechische Parteienlandschaft blüht – rein quantitativ besehen: ein gutes Dutzend Parteineugründungen hat das Land seit 2012 erlebt. Dazu zählt auch die Initiative von Jorgo Chatzimakakis, deutscher Europaabgeordneter der Liberalen, der seinen Einstieg in die griechische Politik länger vorbereitet hat und nun mit der Neugründung „Griechische Europäische Bürger“ antritt – wenn auch mit schwachen Erfolgsaussichten.

Unter den neuen Parteien und Bewegungen sorgt seit Ende Februar To Potami (der Fluss) mit seinem Gründer Stavros Theodorakis für das größte Aufsehen. Theodorakis hat seine Partei als a-politische Bewegung ohne jegliche Beziehungen zu den etablierten Parteien aufgebaut. Seine 42 Kandidaten zu den Europawahlen weisen Expertise aus den Bereichen Unternehmertum, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Medien auf – sämtlich ohne früheres parteipolitisches Engagement. Mit dieser Strategie, die bei der parteipolitischen Frustration der Wähler ansetzt, konnte er schnell Früchte ernten: Schon nach wenigen Wochen positionierte sich Potami als drittstärkste Partei in den Umfragen, wo sie sich bis heute mit knapp 9 Prozent hält.

Theodorakis hat sich als unabhängiger Journalist vor allem mit der von ihm gegründeten Website protagon.gr und einem wöchentlichen Fernsehmagazin Respekt in der Bevölkerung erarbeitet. Er positioniert sich – vermeintlich – außerhalb des etablierten „Systems“ von engsten Partei- und Medienkontakten. Seine Bewegung stellt er dabei linksliberal und pro-europäisch auf – ohne den konservativen Gesprächspartnern die Tür zu verschließen. Konkrete Inhalte werden nicht geboten, der Erfolg beruht allein auf den Quereinsteiger-Kandidaten. Sollte sich der Zulauf für Potami bestätigen, könnte die Partei bei den nächsten Parlamentswahlen ein wichtiges Zünglein an der Waage sein, wenn es in der fragmentierten Parteienlandschaft um die Regierungsbildung geht.

Verändertes Europawahlrecht

Griechenland entsendet zur neuen Legislaturperiode 21 Abgeordnete in das Europäische Parlament. Eine kurzfristige Veränderung des Europawahlrechts hat die Parteien nur zwei Monate vor dem Termin tief erschüttert: es wurde beschlossen, die starren Parteilisten zugunsten einer personalisierten Direktwahl aufzulösen. Ziel war die Mobilisierung von Kandidaten und Wahlvolk und ein bürgernäherer Wahlkampf. In der Folge verschiebt sich nun der Fokus noch stärker von der ohnehin schwachen Parteiprogrammatik hin zu einer reinen Personenwahl. Dies führte bei allen Parteien zu einer „Popularisierung“ der Kandidatenlisten: sie weisen nun unter anderem Journalisten, Moderatoren, Sportler, Schauspieler und andere Stars und Sternchen auf. In Anbetracht des kurzen Vorlaufs sah sich scheinbar keine Partei auf anderem Wege im Stande, für die Kandidaten zu werben. Kehrseite dieser Praxis: Erfahrene Politiker mit europäischer Expertise sind nur wenige zu finden – keine guten Aussichten für die griechische Stimme in Brüssel. Zudem werden nach Einschätzung von Beobachtern kaum griechische Europaparlamentarierinnen gewählt werden – die meisten Kandidatinnen wurden zur Erfüllung der verpflichtenden Frauenquote von 30 Prozent aufgestellt, verfügen aber in der Regel über ein sehr schwaches Profil.

Populistischer Wahlkampf der Extreme

43 Parteien sind zur Europawahl in Griechenland zulassen. Darunter präsentieren sich mit der kommunistischen Partei KKE, der von der ND abgespalteten nationalistischen Partei „Unabhängige Griechen“ sowie der rechtsextremen Chrysi Avgi (XA, Goldene Morgenröte) prominent Parteien, die die Europäische Union ablehnen. Weitere rechtspopulistische Gruppen wie die „Union für die Heimat und das Volk“ kommen hinzu. In den linksextremen Lagern sind Stimmen für den Austritt aus der EU, einen einseitigen Schuldenschnitt und die Wiedereinführung der Drachme zu hören. Vereinfachte Argumentationen prägen das Bild. Auch Deutschland spielt im Wahlkampf eine Rolle: so werden Forderungen nach Reparationszahlungen an Griechenland immer wieder aufgegriffen. Besondere Bedeutung erhält in diesem Zusammenhang der Spitzenkandidat von SYRIZA, der 91-jährige Manolis Glezos, Nationalheld und Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg. Er propagiert im Wahlkampf, neben Reparationsforderungen an Deutschland, die Aufnahme von internen Krediten über Zwangsabgaben bei griechischen Vermögen von über 100.000 Euro, um „die Hegemonie des Auslands“ durch die internationalen Kreditgeber abzuschütteln.

SYRIZA vollzieht derweil einen schwierigen Spagat, der auch an der Glaubwürdigkeit der Partei nagt: 2012 von einer antieuropäischen Position kommend, möchte die Partei - PASOK in der Wählergunst beerbend – einen europafreundlichen Kurs bei gleichzeitiger Ablehnung der europäischen Politik gegenüber Griechenland abbilden. Tsipras dazu: „Wir wollen diese Katastrophe beenden und Gerechtigkeit wiederherstellen. Wir können nicht versprechen, dass wir die Lage zurück in das Jahr 2009 versetzen können“ – bei aller Irrationalität eine Prise Realismus. Während dessen tourt der Parteivorsitzende als Spitzenkandidat der europäischen Linken durch Europa und macht doch einen thematisch rein national getriebenen Wahlkampf für SYRIZA – im Wortlaut: “Merkel oder Griechenland? Berlin oder Würde? Samaras oder SYRIZA?“ Die Chancen der Partei werden jedoch durch das Glaubwürdigkeits- und Finanzierungsproblem des Wahlprogramms sowie die strategischen Fehler im Vorwahlkampf bei der Aufstellung der Kandidatenlisten und anhaltenden inhaltlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei geschwächt. SYRIZA ist hinter ihrem Parteivorsitzenden Tsipras gespalten und fragmentiert – die tatsächliche Regierungsfähigkeit bleibt fraglich.

Die neofaschistische Chrysi Avgi, von deren 18 Abgeordneten im griechischen Parlament sich derzeit drei wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung in Untersuchungshaft befinden, wurde am 11. Mai per Gerichtsbeschluss zur Europawahl zugelassen. Vorsorglich hatte man bereits die neue Partei „Griechische Morgenröte“ gegründet, um einem Verbot aus dem Wege gehen zu können. Meinungsumfragen sehen XA bei bis zu 8,5 Prozent, allerdings rekrutieren sich die Stimmen vornehmlich aus dem Bereich der Protestwähler, die zum Teil Angaben zum Wahlverhalten bei Umfragen verweigern. Zudem kann XA bei den Kommunalwahlen in den großen Bezirken von Attika und Thessaloniki mit einer Stärkung rechnen. Für den in Haft befindlichen Bürgermeisterkandidaten der XA in Athen, Ilias Kassidiaris – bekannt durch seinen Übergriff auf eine linke Politikerin in einer Talkshow – werden laut Umfragen um die 12 Prozent für möglich gehalten.

Thematisch ist der Europawahlkampf in Griechenland rein innenpolitisch orientiert – noch mehr als in anderen europäischen Staaten. Nirgends sind wohl derzeit direkte Auswirkungen „europäischer“ Politik so unmittelbar im Alltag greifbar wie in Griechenland, das mit zwei Kreditpaketen europäischer und internationaler Geber vor dem Staatsbankrott bewahrt wurde. Griechische Innenpolitik ist reaktive Politik auf die vereinbarten Spar- und Reformmaßnahmen, festgehalten im sogenannten „Memorandum“. In der Folge laufen populistische Wahlkampfmanöver immer noch entlang der Pro- oder Anti-Memorandums-Argumentation.

Personalisierte Kommunalwahlen

Am 18. und 25. Mai werden zudem in 322 Gemeinden und 13 Peripherien, der größten Gliederungseinheit des griechischen Zentralstaats, Kommunal- und Regionalwahlen abgehalten. Von der Kombination des zweiten Wahlgangs der lokalen Wahlen, in denen es um die Stichwahl der Bürgermeisterkandidaten geht, mit den Europawahlen erhofft man sich eine höhere Wahlbeteiligung und eine größere Mobilisierung der breiten Wählerschichten mit demokratischer, pro-europäischer Gesinnung.

Die letzten Kommunalwahlen fanden 2010 bereits unter dem Eindruck des ersten „Memorandums“ statt. Diese Wahlen reflektierten aber mit stabilen Ergebnissen für die traditionellen Parteien der Mitte, ND und PASOK, noch nicht die aktuellen Umbrüche. Insofern sind auch hier erhebliche Veränderungen zu erwarten. Insbesondere wird durch die starke lokale, „volksnahe“ Präsenz von XA eine Radikalisierung in manchen Stadträten zu erwarten sein.

Darüber hinaus lässt sich in Athen und Thessaloniki eine weitere Tendenz beobachten: die jeweils bereits im Amt befindlichen, parteiunabhängigen Bürgermeister - gleichwohl von Parteien des sozialdemokratischen Spektrums unterstützt – stehen mit guten Wiederwahlchancen relativ hoch in der Gunst der Bevölkerung. Abermals lassen sich Elemente der „parteipolitischen Entpolitisierung“ feststellen, die zu einem ausgeprägt personenbezogenen, betont parteifernen Wahlkampf führen.

Sorge um notwendige Stabilität

Das von beiden bevorstehenden Wahlen ausgehende Signal wird in Griechenland rein innenpolitisch gelesen werden – der Wahlkampf bereitet diese Interpretation vor. Mit Sorge blickt man daher auf die Stabilität der Regierungskoalition. Die Fortsetzung der Koalition – wenn eventuell auch mit neuen Partnern – benötigt das Land dringend. Erste positive wirtschaftliche Nachrichten konnten dieses Jahr verzeichnet werden, die Arbeitslosigkeit ist erstmals – wenn auch von sehr hohem Niveau kommend – leicht rückläufig.

Nach wie vor stehen schwierige politische Entscheidungen in zahlreichen strukturellen Reformbereichen aus und auch mit den internatonalen Kreditgebern sind noch Lösungen für viele offene Fragen zu finden – die von Griechenland betonte Nicht-Tragfähigkeit der Schulden ist dabei nur eine von vielen. Sollte das Ergebnis der Wahlen an den kommenden beiden Wochenenden die Regierungskoalition stürzen und Neuwahlen mit sich bringen, stehen dem Land – nach zwei Jahren, in denen eine gewisse Stabilisierung greifen konnte – erneut sehr schwierige Monate bevor.

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