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Länderberichte

Ein neues politisches Panorama?

von Heinrich Meyer

Kolumbien nach dem Referendum vom 25. Oktober 2003 und nach den Gouverneurs- und Kommunalwahlen vom 26. Oktober 2003

Mit Spannung erwartet wurde der erste Wahlgang seit dem überraschenden und überwältigenden Sieg Alvaro Uribes, der am 26. Mai 2002 – im ersten Wahlgang - mit 53,04% der Stimmen zum Staatspräsidenten Kolumbiens gewählt wurde.

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Am 25. Oktober 2003 wurde das von Uribe im Wahlkampf angekündigte Referendum zur politischen Reform und gegen die „Politiquería“, welches am Tag seiner Amtsübernahme von ihm als Gesetzentwurf unterschrieben wurde, der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt. Am 26. Oktober 2003 fanden die regulären Kommunal-, Bürgermeister- und Gouverneurswahlen statt. Obwohl die offiziellen Wahlergebnisse noch nicht vorliegen, können doch schon jetzt erste Trends, Tendenzen und Resultate festgestellt und analysiert werden.

Vor allem von dem Ausgang des Referendums erwartete man Rückschlüsse auf den weiteren Verlauf der Regierung Uribe, der – immer noch mit einer beachtlichen Popularität ausgestattet – damit gewissermaßen sein politisches Schicksal verknüpfte, obwohl durchaus auch „unbequeme“ Reformen zur Abstimmung vorgelegt wurden. Zum anderen dürfte das Ergebnis der Kommunal- und Gouverneurswahlen Hinweise auf die weitere Entwicklung des zersplitterten Parteiensystems Kolumbiens und vor allem auf die Zukunft des traditionellen, immer noch existenten, aber mittlerweile brüchig gewordenen Zwei-Parteien-Systems enthalten.

Eine positive Bilanz nach dem ersten Jahr

“Das Jahr, in dem die Hoffnung zurückkehrte” – so lautete die Titelüberschrift der Wochenzeitung “Semana” zur Bilanz der Regierung von Staatspräsident Alvaro Uribe, die am 7. August 2002 ihre Amtsgeschäfte übernommen hatte. In ähnlicher Weise äußerte sich die Internationale Presse: “Kolumbiens neue Hoffnung” – so die Überschrift eines Kommentars von Michael Shifter in der “Washington Post” am 6. August 2003.

In der Tat: Uribe ist es gelungen, der Kolumbianischen Bevölkerung wieder Zuversicht und Optimismus zu vermitteln. So ist die - für lateinamerikanische Verhältnisse - enorm hohe Popularität von Uribe nicht verwunderlich: Laut repräsentativen Umfragen äußern etwa 70% der Befragten Zustimmung zu seiner Politik. So ist es auch kein Wunder, dass in dieser fast schon überschwänglichen Stimmung über die Wiederwahl Alvaro Uribes nachgedacht wurde. Ein entsprechender verfassungsändernder Gesetzentwurf wurde in den Kongress eingebracht, ist aber nach dem gescheiterten Referendum zurückgezogen worden.

Wie ist die hohe Popularität Uribes zu erklären?

Zum einen ist auf seinen Regierungsstil zu verweisen. Wurde am 7. August 2002 noch seine Aussage belächelt: „Wir sind nicht gekommen, um uns zu beklagen, sondern um zu arbeiten”, scheint jetzt diese Ankündigung erste Erfolge aufzuweisen. In der Tat: Uribe personifiziert die Werte, die für die große Mehrheit der kolumbianischen Bevölkerung wichtig sind: Arbeitsbereitschaft und Einsatzwillen.

Und dabei geht Uribe mit gutem Beispiel voran: seine „Arbeitswut“ ist geradezu sprichwörtlich geworden, sein Tempo enorm, so dass er sogar manchmal seine Ministerriege überfordert. Die Bevölkerung spürt, dass Uribe es ernst meint, dass er das Steuer der Regierungsgeschäfte in festen Händen hält, dass er eine klare Linie vorgibt und dass er der Gesellschaft wieder Halt und Orientierung vermitteln will.

Eingeführt hat er u.a. die sog. “sesiones comunitarias”, Kabinetts-Sitzungen in den verschiedenen “departamentos”, in welchen Bürgermeister, Gouverneure und andere Amtsträger ihre Klagen vortragen und Vorschläge machen können. Man fühlt sich ihm nahe und spürt, dass die öffentlichen Angelegenheiten sich in guten Händen befinden. Außerdem hat er im Juli 2003 eine – vom Fernsehen live übertragene – Evaluation seines Regierungshandelns durchgeführt, in welcher sämtliche Minister einen Bericht über ihr Ressort abgaben.

Zum anderen sprechen erste Erfolge eine eindeutige Sprache. Zunächst hat sich die Sicherheitslage spürbar verbessert. Den Sicherheitskräften ist es gelungen, der Guerilla Paroli zu bieten. So sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums die Überfälle auf Städte und Gemeinden um 78% zurückgegangen, Entführungen um 26%, illegale Straßenüberfälle um 55%, Morde um 16% und Attentate um 24%. In 79 von insgesamt 190 Städten und Kreisen, aus welchen sich die Sicherheitskräfte zurückgezogen haben, ist die Polizei wieder präsent.

15 000 sog. „soldados campesinos“ wurden ausgebildet und auf 458 Städte verteilt, um Sicherheitsaufgaben wahrzunehmen, was die Rückkehr von 143 Bürgermeistern ermöglichte, welche auf Druck der Guerilla oder der Paramilitärs ihre Orte verlassen mussten und ihre Aufgaben dann von Bogotá aus wahrnahmen. 10 000 neue Polizisten wurden ausgebildet, 28 mobile Einsatzkommandos geschaffen sowie zwei Gebirgs-Bataillone und zwei mobile Brigaden eingerichtet.

Seit August 2002 sind in 1630 militärischen Zusammenstößen 1943 Angehörige der illegalen bewaffneten Gruppen gefallen und 8109 Personen gefangengenommen worden.

Mehr als 1600 Angehörige der Guerilla und der Paramilitärs, deren Gesamtstärke auf etwa 30 – 40 000 Personen unter Waffen geschätzt wird, haben sich „demobilisiert“ und ihre Waffen niedergelegt. Allerdings ist es bisher nicht gelungen, die Guerilla wirksam zu schwächen und sie zu bewegen, ihre intransigenten Positionen aufzugeben und an den Verhandlungstisch zu bringen.

Einen großen Erfolg stellt sicher auch das „Abkommen von Santa Fé de Ralito“ vom 15. Juli 2003 dar, in welchem sich der größere Teil der „Autodefensas Unidas de Colombia“ (AUC) – insgesamt 13 000 Mitglieder – verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2005 die Waffen niederzulegen und sich wieder in das zivile Leben zu integrieren.

Schließlich kann von einer ökonomischen Reaktivierung gesprochen werden. So betrug das Wirtschaftswachstum im ersten Vierteljahr 3,8%, was vor allem dem Bausektor und der Klein-Industrie zugeschrieben wird. Die Arbeitslosigkeit ist leicht von 15,3% auf 13% gesunken. Insgesamt sind 1,4 Millionen neue Arbeitsplätze in dem Zeitraum Mai 2002/Mai 2003 neu geschaffen worden. Trotz Einbruchs im Außenhandel mit Venezuela ist es gelungen, die Exporte – vor allem in die USA – zu steigern.

Die Erfolge dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der entscheidende Durchbruch bisher noch nicht gelungen ist, vielleicht auch nicht in der kurzen Zeit erwartet werden konnte. Möglicherweise ist die Guerilla derzeit auch nicht gänzlich militärisch zu besiegen, sondern nur entscheidend zu schwächen.

Außerdem kann man davon ausgehen, dass die Guerilla angesichts des Erstarkens der staatlichen Sicherheitsorgane ihre Strategie ändert, die direkte Konfrontation zu vermeiden sucht und sich anderen Aktivitäten zuwendet: der Werbung und Schulung politischen Nachwuchses – vor allem auch in den Universitäten - , dem Eindringen in verschiedene soziale und ökonomische Sektoren, der Perfektionierung der Informationsbeschaffung sowie der Stärkung der eigenen Finanzen.

Auch gibt es Anzeichen dafür, dass sie weiterhin militärisch und politisch präsent ist und durch terroristische Anschläge und Attacken auf die Infrastruktur fähig ist, die nationale und internationale Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und das Ansehen der Regierung zu schwächen.

Vor allem ist eine Intensivierung des Konflikts zu verzeichnen, weil der Staat nun besser in Lage ist, die Guerilla zurückzudrängen. So ist es zwar gelungen, Boden gutzumachen; aber der entscheidende Durchbruch steht immer noch aus.

Das Referendum vom 25. Oktober 2003

Das Referendum selbst wurde als umstritten eingeschätzt. Auf der einen Seite werden die Anstrengungen anerkannt, der Korruption und negativen Praktiken in der Politik ein Ende zu setzen. Viele Beobachter sehen die vorgeschlagenen Maßnahmen zwar nur als eine “kleine Reform“, aber immerhin als einen „Schritt in die richtige Richtung“ an.

Auf der anderen Seite hat sich eine beachtliche Opposition zu dem Referendum entwickelt: Gewerkschaften, Vertreter der Partei „Polo Democrático Independiente“ und andere soziale Organisationen haben öffentlich aufgerufen, das Referendum abzulehnen. Fundierte Kritik kam außerdem von dem ehemaligen Finanzminister und ehemaligen Präsidentschaftskandidaten der Konservativen Partei, Juan Camilo Restrepo, der ebenfalls eine Kampagne „Nein zum Referendum“ gegründet hatte.

Der Vorstand der Liberalen Partei hatte seine Mitglieder und Anhänger aufgerufen, sich nicht an dem Referendum zu beteiligen – eine Entscheidung, die innerparteilich auf Widerstand stieß und Kritik vor allem von ehemaligen Mandatsträgern auslöste.

Der Ausgang des Referendums war daher nicht nur von entscheidender Bedeutung für die Führungsstärke und das Ansehen des Staatspräsidenten, sondern auch für die institutionelle und makroökonomische Stabilität des Landes. Es handelt sich um das vierte Referendum in der jüngeren Geschichte Kolumbiens, allerdings das erste nach der Verfassung von 1991.

Das Referendum vom Dezember 1957 enthielt 14 verfassungsändernde Artikel, die sich vor allem auf die Gründung und Bestätigung der „Frente Nacional“ sowie auf das Stimmrecht der Frauen bezogen. Bei einer Wahlbeteiligung von 73,2 % wurde es von 95,27% der Wähler angenommen.

Das Referendum vom 27. Mai 1990 wurde bei einer Wahlbeteiligung von 43,2% von 95,79% der Wähler angenommen; es öffnete den Weg zur Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung.

Das dritte Referendum hatte genau diese Aufgabe, zum einen der Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung zuzustimmen und zum anderen deren Mitglieder zu wählen. Bei einer Wahlbeteiligung von 26,06% stimmten 97,58 % der Wähler zu.

Das Referendum vom 25. Oktober 2003 ist umfangreicher als die bisherigen und unterliegt zum ersten Mal einer Mindestbeteiligung von 25% der Wählerschaft, was 6 267 443 Personen entspricht. Diese Beteiligung muss bei sämtlichen 15 Fragen erreicht werden, jede dieser Fragen ist einzeln abzustimmen, da nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichts Kolumbiens das Referendum nicht pauschal bejaht bzw. abgelehnt werden darf.

Außerdem gab es zum ersten Mal eine deutliche Opposition zu einem Referendum, sei es durch die Aufforderung – vor allem gewerkschaftlicher Gruppen und der Partei „Polo Democrático Independiente“ - , mit Nein zu stimmen, oder seitens der Liberalen Partei, sich gar nicht an dem Referendum zu beteiligen. Daher war zunächst die spannende Frage, ob es der Regierung und der sie unterstützenden politischen Kräfte gelingen wird, mehr als 25% der Wähler an die Urnen zu bringen.

Interessant ist, dass ein repräsentative Meinungsumfrage, die zwischen dem 03. und 06. Oktober 2003 durchgeführt wurde, ergab, dass 23% der Wähler bereit waren, an dem Referendum teilzunehmen, und 7% die Möglichkeit ihrer Teilnahme in Aussicht stellten. Die gleiche Umfrage ergab eine weiterhin hohe Zustimmung von 74% zum Regierungshandeln von Staatspräsident Alvaro Uribe. Es handelt sich um eine sehr stabile Zustimmung, die seit September 2002 nie unter den Wert von 68% gefallen ist.

Die Fragen des Referendums lassen sich in 4 Bereiche aufteilen: Sanktionierung von korrupten Praktiken, Sanierung der öffentlichen Finanzen, Poltische Reform und Partizipation sowie Bestimmung von Finanzen für den sozialen Bereich.

Die 15 Fragen, die zur Abstimmung gestellt wurden, sind:

  1. Verlust politischer Rechte, vor allem des passiven Wahlrechts,
  2. Öffentliche und namentliche Abstimmung im Senat, Abgeordnetenkammer und Gemeinderäten
  3. Ende der „suplencia“, d.h. der Vertretung von Volksvertretern durch die nächstfolgende Person auf der jeweiligen Wahlliste, wobei der Stellvertreter dadurch die gleichen Pensionsansprüche wie der gewählte Abgeordnete erhielt
  4. Bürger- Beteiligung bei der Erstellung der öffentlichen Haushalte
  5. Unabhängigkeit der Parlaments-Verwaltung
  6. Reduzierung des Senats von 102 auf 83 Mitglieder und Einführung des Auszählungssystems nach d’Hondt
  7. Mandatsverlust öffentlicher Amtsträger
  8. Änderung der Alterssicherung und Beschränkung der Höchst-Pension auf das 25fache des gesetzlich festegelegten Mindestlohns
  9. Auflösung der kommunalen und regionalen Rechnungshöfe
  10. ./.
  11. Verbot öffentlicher Fonds, die von Abgeordneten verwaltet werden
  12. Investition eingesparter Mittel in den Sektoren Gesundheit und Erziehung
  13. Reform der Subisidien, die von öffentlichen Unternehmen an Städte und „departamentos“ gezahlt werden
  14. Einfrieren der Gehälter und Pensionen im öffentlichen Dienst, welche zwei Mindestlöhne übersteigen, für den Zeitraum von zwei Jahren
  15. Einführung einer Sperrklausel von 2% für Wahlen zum Senat und Abgeordentenkammer
  16. ./.
  17. ./.
  18. ./.
  19. Gültigkeit des Eintretens des Referendums
Die Fragen 10, 16, 17, und 18 wurden vom Verfassungsgericht Kolumbiens in der Entscheidung C-551 vom 9. Juli 2003 für verfassungswidrig erklärt und standen somit nicht zur Abstimmung.

Die Abstimmung des Referendums war nicht von Störungen frei: 87 Wahlurnen mit einem Potential von 34 800 Stimmen wurden verbrannt. 5 Angehörige der Sicherheitskräfte wurden bei einem Angriff der FARC auf eine Garnison in Abagué, in Jamabalá und in Silvia (Cauca) getötet. Bei einem Attentat auf ein Elektrizitätswerk in Colanta starben 6 Zivilisten, und 12 Personen wurden verletzt.

Nach Auszählung von 97,24% der Wahlurnen ist davon auszugehen, dass das Referendum nicht bei allen Fragen die erforderliche Mindestbeteiligung erreichen wird. Nur die Fragen 1, 2, 3, 4 und 8 scheinen noch das Quorum erreichen zu können.

Würde man allerdings die Stimmenthaltungen als Teilnahme an der Wahl werten, würde sich so die Wahlbeteiligung erhöhen und wäre das Quorum schon jetzt übersprungen. ( s. Tabelle 2 ) Über diese Frage ist nach dem Referendum eine heftige Kontroverse entstanden.

Da es bei der Auszählung der Stimmen offensichtlich zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, hat der Leiter des „Consejo Nacional Electoral“ am 29.10.2003 eine Neuzählung angeordnet, die allerdings noch nicht abgeschlossen ist.

Interessant ist das unterschiedliche Wahlverhalten: Während in Bogotá, Antióquia und im Eje Cafetero das Quorum leicht erreicht wurde, nahmen an der Costa Atlántica nur etwa 15% der Wähler am Referendum teil, so dass man fast von zwei politischen Kulturen in Kolumbien sprechen kann – einer modernen mit einem bewussten Wählerverhalten und einer traditionellen mit einem vorherrschenden Klientelismus.

Sicher bedeutet das Scheitern des Referendums einen schweren, auch persönlichen Rückschlag für Staatspräsident Uribe, aber es beeinträchtigt sicher nicht die Regierungsfähigkeit des Landes.Aus diesem Grunde war unmittelbar nach dem 25. Oktober 2003 mit dem Rücktritt des für das Refendum zuständigen Innen- und Justizministers Fernando Londoño Hoyos gerechnet worden, welcher vor allem von der Opposition , aber auch von Teilen des „Uribismus“ gefordert wurde. Am 6. November 2003 trat er schließlich zurück – vermutlich aufgrund kritischer Äußerungen zur innenpolitischen Situation, die nicht mit dem Staatspräsidenten Uribe abgestimmt waren, oder der bevorstehenden Verurteilung in einem Finanzprozess – von seinem Amt zurück

Warum scheiterte das Referendum?

Zunächst handelte es sich nicht um ein Referendum , sondern um „15 Referenden“, da jede Frage einzeln beantwortet werden musste. Darüber hinaus beinhaltete es sich sehr komplizierte Sachverhalte. Man schätzte, dass Personen, die sich nicht vorher ausgiebig informiert hatten, etwa 20 – 30 Minuten benötigen würden, um die Fragen zu lesen und dann eine Entscheidung zu treffen.

Zweitens wurden die Fragen des Referendums von den Wählern offensichtlich als nicht von derart herausragender Bedeutung eingeschätzt; außerdem gab es einige „unbequeme“ Themen, so dass sich die Wähler nicht in größerem Masse mobilisieren ließen.

Hinzu kommt, dass erst in den letzten Wochen eine intensivere Debatte über die Fragen des Referendums geführt wurde und so etwas wie „Wahlkampfstimmung“ aufkam – sicher auch dank der Befürworter des „Nein“- . Vielleicht hat auch die Regierung zu wenig getan, um das Referendum „populär“ zu machen und die Bedeutung der vorgeschlagenen Reformen zu erklären. In der „pedagogía del referendo“ – das wurde schon im Vorfeld von Beobachtern mehrfach angemerkt – gab es offensichtlich Defizite. Geschadet hat sicherlich auch, dass die Führung der Liberalen Partei – allerdings innerparteilich umstritten – zur Wahl- bzw. Stimmenthaltung aufgerufen hat.

Schließlich hat auch die zeitliche Nähe zu den Gouverneurs- und Kommunalwahlen dem Referendum geschadet. Aus verfassungsrechtlichen Gründen konnten beide Abstimmungen nicht gleichzeitig durchgeführt werden, so dass das Referendum dann an einem Samstag, der darüber hinaus für viele ein Arbeitstag war, stattfand. Die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen dürfte fast doppelt so hoch wie beim Referendum gewesen sein, was darauf hindeutet, dass die „politische Klasse“ auf unterer und mittlerer Ebene ihre politische Aufmerksamkeit eben mehr auf die Kommunalwahlen konzentrierte.

Die Kommunal- und Gouverneurswahlen vom 26. Oktober 2003

Erstmals wurden bei den Wahlen am 26. Oktober 2003 neue Regeln angewendet, die vom Kongress Kolumbiens am 19. Juni 2003 verabschiedet wurden:

  1. der „umbral“: eine Sperrklausel, die bei den Kommunal- und Gouverneurswahlen bei 0,5% lag und bei den Wahlen zum Senat demnächst 2% betragen wird.
  2. die „cifra repartidora“: die Auszählung der Stimmen und die Verteilung der Sitze nach d’Hondt
  3. die „listas únicas“: das praktische Verbot von Listen-Verbindungen, d.h. jede Partei oder Bewegung kann nur mit einer Liste antreten.
  4. das „Voto preferente“: die Wähler konnten sich für eine Person auf einer Liste entscheiden und nicht nur eine Partei wählen.
Die Kommunal- und Gouverneurswahlen waren geprägt von Attacken der FARC-Guerilla auf Bürgermeister und Gemeinderäte sowie auf die Kandidaten , die sich am 26. Oktober 2003 zur Wahl stellten, um ein Klima der Unsicherheit und Verunsicherung zu erzeugen und die Demokratie Kolumbiens an einem der schwächsten Punkte zu treffen. Denn der Staat ist noch nicht in der Lage, im ganzen Land Präsenz zu zeigen und die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren.

Staatspräsident Uribe hat zugestanden, dass zum Zeitpunkt seines Amtsantritts etwa 50% des Territoriums nicht vom Staat kontrolliert wurden. Diese Situation hat sich inzwischen zwar erheblich verbessert. Aber immer noch gibt es Sicherheits-Defizite, die angesichts der Größe des Landes, angesichts der geographischen Vielfalt und der – im Vergleich zum Staatsgebiet –geringen Zahl staatlicher Sicherheitskräfte auch nicht von heute auf morgen zu beheben sind.

Ein Bericht der „Defensoría del Pueblo“, welcher im Oktober 2003 veröffentlicht wurde, hat die Dramatik der Kommunalpolitik in Kolumbien aufgezeigt; mit Recht kann von einem Anschlag auf die Demokratie gesprochen werden. Vor allem seit Mitte des Jahres 2002 hat sich die Lage der Bürgermeister und Gemeinderäte dramatisch verschlechtert, als die FARC sie in einem Ultimatum zu „ militärischen Zielen“ erklärten.

198 Bürgermeister – fast 20% der Bürgermeister des Landes – haben auf Druck der Guerilla ihren Rücktritt erklärt. Derzeit üben 166 Bürgermeister ihre Funktionen nicht in ihren Gemeinden, sondern „von außerhalb“ aus.

Zwischen 1998 und 2003 wurden insgesamt 63 Bürgermeister ermordet, davon allein in diesem Jahr 8 Mandatsträger, wobei sich deren Zahl im Jahre 2002 gegenüber dem Vorjahr verdoppelte. In den letzten zwei Jahren wurden 18 Bürgermeister entführt und in Geiselhaft genommen. Nach Angaben der „Federación Nacional de Concejales“ wurden im Zeitraum Mai 2002 – Mai 2003 insgesamt 82 Mitglieder von Gemeinderäten ermordet; mehr als 1800 Personen traten von ihren Ämtern zurück und haben als “interne Flüchtlinge“ ihre Gemeinden verlassen.

So ist es nicht verwunderlich, dass in 20 municipios ( von insgesamt 1098 ), die sich in 11 departamentos befinden, und in zwei departamentos – César und Magdalena – sich nur jeweils 1 Kandidat für die Position des Bürgermeisters bzw. des Gouverneurs bewarb.

Das herausragende Ergebnis ist sicher erstens in dem Wahlerfolg des „Polo Democrático Independiente“(PDI) und damit im Entstehen einer chancenreichen linken Volkspartei oder Sammlungsbewegung zu sehen. Luis Eduardo Garzón – ein ehemaliger Gewerkschaftsführer, der bei den Präsidentschaftswahlen am 25. Mai 2002 noch an dritter Stelle mit 6,17% lag, wurde nun mit 46,59% zum Bürgermeister Bogotás – das zweitwichtigste Wahlamt, das Kolumbien zu vergeben hat – gewählt und wird nun schon von einigen Presseorganen als „Lula Kolumbiens“ gefeiert.

Lange Zeit hatte Juan Lozano, der als „Uribist“ gilt und vom ehemaligen Bürgermeister und Präsidentschafts-Aspiranten Enrique Peñalosa unterstützt wurde, als der sichere Sieger ausgesehen. Entscheidend dürfte dann gewesen sein, dass die Führung der Liberalen Partei 10 Tage vor der Wahl ihrem offiziellen Kandidaten, Dr. Jaime Castro, die Unterstützung entzog, und ihre Anhänger aufrief, für Luis Eduardo Garzón zu stimmen. Auch wenn die Partei in dieser Frage gespalten war, dürften doch viele liberale Wähler diesem Aufruf gefolgt sein.

Erwähnt werden muss außerdem der überzeugende Erfolg von Angelino Garzón, ehemaliger Arbeits- und Sozialminister im Kabinett Pastrana, der mit fast 70% der Stimmen im Valle del Cauca zum Gouverneur gewählt wurde. Außerdem hat der PDI in Wahlallianzen die neu gewählten Bürgermeister von Medellín, Barrancabermeja, Buga, Cartagena und Pasto unterstützt. Der PDI könnte sich somit als erste ernsthafte linke politische Kraft im Parteiensystem Kolumbiens etablieren, wobei aber zum einen auf die bisher noch nicht sehr deutliche ideologische Geschlossenheit hinzuweisen ist und zum anderen der PDI seine politische Problemlösungskompetenz nun unter Beweis stellen muss.

Zweitens hat sich die Krise der traditionellen Parteien Kolumbiens – des Partido Liberal und des Partido Conservador – verschärft. Beide Parteien haben gegenüber den letzten Kommunalwahlen im Jahre 2000 Stimmenverluste hinnehmen müssen.

Die Liberale Partei hat zwar mit 12 Gouverneuren, 7 Bürgermeistern und 4 Bürgermeistern in Allianzen etwas besser als vor 3 Jahren abgeschnitten und stellt etwa 32% der Gemeinderäte, aber intern ist die Partei tief gespalten, wie an ihrer Haltung zum Referendum, zu Kandidaten und zu strategischen Allianzen deutlich wurde.

Die Konservative Partei trat im Wahlkampf nur wenig in Erscheinung und verfügt nicht über ein modernes und kohärentes Programm, das – vor allem neue - Wähler anzieht und Antworten auf die aktuellen Herausforderungen gibt. Sie gewann 4 Gouverneure direkt und drei weitere in Allianzen; etwa 16% der Gemeinderäte gehören der Konservativen Partei an. Allerdings ist dieses Panorama unvollständig, da die anderen Kräfte, die zur „konservativen Familie“ gehören, - vor allem Salvación Nacional, Equipo Colombia, Movimiento Nacional, Nueva Fuerza Democrática – berücksichtigt werden müssten.

Beide Phänomene lassen Beobachter von einem „Wandel der politischen Landkarte Kolumbiens“ sprechen. Das gesamte Ausmaß des Wandels wird aber erst durch die Analyse der Zusammensetzung der Gemeinderäte und der „Juntas Administradoras Locales“ (JAL) – sog. Stadtteil-Vertretungen – deutlich werden. Für Bogotá zeichnet sich jedenfalls ab, dass die Liberale und die Konservative Partei in beiden Gremien in eine Minderheiten-Position geraten sind. Sollte sich dieser Trend bestätigen und in den nächsten Jahren festigen, dann kann in der Tat von dem -Beginn einer „Revolution von unten“ im Wählerverhalten Kolumbiens gesprochen werden.

Ob und in welcher Weise sich die Reformen auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben, lässt sich noch nicht eindeutig feststellen. Sicher ist aber, dass die Sperrklausel und das neue Auszählungsverfahren Wirkung gezeigt haben. Nach einer Berechnung der Zeitung „El Tiempo“ vom 3. November 2003 würden – wenn das Wahlergebnis als „nationale Wahl“ gewertet würde – nur noch 9 Parteien - derzeit sind 74 Parteien registriert - im Senat vertreten sein. ( s. Tabelle 6 )

Ausblick

  1. Das Scheitern des Referendums, von dem auszugehen ist, stellt sicher einen – vor allem auch persönlichen – Rückschlag für Staatspräsident Uribe dar, wodurch aber nicht die Regierungsfähigkeit des Landes beeinträchtigt sein wird. Mittlerweile wird an einem „Plan B“ gearbeitet, um die geplanten Reformen durchzusetzen. Auf der anderen Seite kann das Scheitern des Referendums einen „heilsamen Schock“ darstellen, der Uribe nötigt, die verbleibenden 3 Jahre seiner Regierungszeit erneut zu überdenken und neu zu konzipieren.

  2. Staatspräsident Uribe wurde schmerzlich aufgezeigt, dass ihm eine stabile, institutionalisierte politische Basis im Kongress und in der Gesellschaft Kolumbiens fehlt. Die ihn unterstützenden Parteien und Bewegungen waren offensichtlich doch mehr daran interessiert, bei den Kommunal- und Gouverneurswahlen gut abzuschneiden, als sich für den Erfolg des Referendums einzusetzen.

    Zwar verfügt er über eine - allerdings schwankende – Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses, aber diese Mehrheit muss eben immer wieder - vor allem bei kontroversen Projekten – neu verhandelt und gesichert werden. Die neu gegründeten Parteien, die sich auf den “Uribismus“ berufen, haben noch nicht einen signifikanten Wahlerfolg verzeichnen können.

  3. Es haben sich neue politische Kräfte aufgetan, es wird mehr Wettbewerb unter den politischen Parteien geben, obwohl die Einführung der Sperrklausel – demnächst bei Wahlen zum Senat von 2% - eher die traditionellen Parteien stärkt, die allerdings, was die absolute Zahl der Stimmen betrifft, sich in einem Niedergang befinden. Auch hier könnte man von einem „Dämpfer zur rechten Zeit“ sprechen. Durch die Einführung der 2%-Klausel könnte es aber in Zukunft durchaus zu einem „Einigungsdruck“ auf die den traditionellen Parteien nahestehenden Bewegungen kommen.

  4. Beide Abstimmungen sind eine gute Antwort an die politisch motivierte Gewalt in Kolumbien und stellen eine Stärkung der Demokratie dar.

    Zunächst zeigen sie, dass der Wähler in einer demokratischen Ordnung „das letzte Wort“ hat, dass Wahlergebnisse nicht gänzlich vorhersehbar sind und dass auch einem populären Staatspräsidenten Grenzen gesetzt sind. Es gibt eben keinen „Automatismus“ der Entscheidungen von oben nach unten.

    Zweitens haben die Kommunal- und Gouverneurswahlen verdeutlicht, dass es auch einer linken Partei möglich ist, Einfluss zu gewinnen, mitzugestalten und auf friedlichem Wege einen politischen Wechsel herbeizuführen und politische Änderungen durchzusetzen. Wenn man die Bürgermeisterwahlen von Bogotá als „primaries“ interpretieren würde, dann dürfte mit einer chancenreichen Kandidatur eines linken Bewerbers bei den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2006 zu rechnen sein.

  5. Vor allem in dem Ergebnis der Kommunalwahlen hat sich soziale Unzufriedenheit ausgedrückt. Darin verbirgt sich auch eine „nationale Botschaft“ an Regierung und Kongress, der sozialen Frage in Kolumbien mehr Bedeutung beizumessen. Nach offiziellen Angabenleben 64 % der Bevölkerung Kolumbiens in Armut. Vor allem von dem neu gewählten Bürgermeister von Bogotá, der im Wahlkampf entsprechende Ankündigungen machte, wird eine engagierte Sozialpolitik erwartet.

  6. Es ist aus demokratiepolitischen Gründen tragisch, dass das Referendum knapp am fehlenden Erreichen der Mindest-Wahlbeteiligung gescheitert ist. Es scheiterte nicht an der fehlenden Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger, die abgestimmt haben; denn jede Frage wurde mit mehr als 90% der abgegebenen Stimmen bejaht.

    Vor allem die Parteien und politischen Kräfte, die zur Nicht-Beteiligung aufgerufen hatten und aus diesem Grunde das Scheitern des Referendums provoziert haben, müssen sich daher nach ihrer Verantwortung für die demokratische Ordnung befragen lassen.

    Nach dieser negativen Erfahrung dürfte es außerdem eher unwahrscheinlich sein, dass verfassungsändernde Reformen der Bevölkerung erneut zur Abstimmung vorgelegt werden. Auf der anderen Seite sollte nicht verkannt werden, dass dem Referendum mehr Wähler zustimmten, als Uribe am 26. Mai 2002 zum Staatspräsidenten Kolumbiens gewählt haben.

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