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Länderberichte

Ergebnisse der Europawahl 2019 in Frankreich

von Dr. Nino Galetti, Nele Katharina Wissmann
34 Listen sind in Frankreich am 26. Mai zur Europawahl angetreten - ein neuer Rekord. Somit haben sich 2607 französische Kandidaten um die insgesamt 79 Sitze im Europäischen Parlament beworben. Es galt die Fünf-Prozent-Hürde, die von insgesamt sechs Parteien erreicht wurde.

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Partei

Wahlergebnis

Anzahl der Sitze nach dem EU-Austritt Großbritanniens Anzahl der Sitze vor dem EU-Austritt Großbritanniens

Rassemblement National

23,31 % 23 22
La République en Marche 22,41 % 23 21
Europe Ecologie – Les Verts 13,47 % 13 12
Les Républicains 8,48 % 8 8
La France Insoumise 6,31 % 6 6
Parti Socialiste – Place Publique 6,19 % 6 5

Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zur Europa­wahl 2014 von damals 42,4 Prozent auf 50,1 Prozent erheblich angestiegen, liegt aber weit unter der Wahlbeteiligung bei den Präsident­schaftswahlen 2017, bei der sich 77,8 Prozent der Wähler am ersten Wahlgang beteiligt hatten. Auch das große Angebot von 34 Listen (darunter Tierschützer, Monarchisten oder Befürworter von Esperanto als EU-Amtssprache) konnte nicht mehr Bürger an die Wahlurnen bringen.

Duell zwischen La République en Marche und Rassemblement National

Das Duell zwischen La République en Marche und Rassemblement National (früher Front National) konnte letzterer für sich entscheiden: 23,3 Pro­zent der Wähler gaben der Partei von Marine Le Pen ihre Stimme, 22,4 Prozent der Wähler der Liste von Präsident Macron. Damit liegen beide Parteien ungefähr bei dem Ergebnis, das ihre Kandidaten beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2017 erhalten hatten (Macron 23,9 Prozent, Le Pen 21,4 Prozent). Dennoch ist es eine Niederlage für La République en Marche, die ihr Ziel, die Nationalisten von Platz 1 zu vertreiben, verfehlt hat.

In den zurückliegenden Monaten hatten sich die beiden stärksten Parteien Frankreichs in den Umfragen kaum bewegt: beide hingen zwischen 21 und 24 Prozent fest. Der von Macron konstruierte Gegensatz von Pro- und Anti­europäern verfing bei den Wählern der Mitte nicht in dem Maße, in dem er sich das erhofft hatte. Die Populisten (aber auch die gemäßigte Opposition) nutzten stattdessen die Chance, die Wahl zu einer Abstimmung über Macrons Politik der vergangenen zwei Jahre zu machen. Dabei konnten die Nationalpopulisten von Marine Le Pen am besten das Protestpotential – etwa der seit November 2017 demonstrierenden Gelb­westen – für sich nutzen und in hohem Maße Nichtwähler mobilisieren.

Für den Rassemblement National diente der Wahlkampf zur Festigung des eigenen Lagers. Nach dem verheerenden Auftritt Marine Le Pens bei der letzten TV-Debatte vor der Präsident­schaftswahl am 3. Mai 2017 und einem als Niederlage wahrgenommenen Wahlergebnis, gelang es ihr, die Partei wiederaufzurichten: Mit jungen Kandidaten und einer Abkehr von der Forderung eines „Frexits“ sowie dem Schulter­schluss mit anderen Nationalpopulisten in Europa, insbesondere Italiens Innenminister Matteo Salvini, frischte Marine Le Pen das Image der Nationalisten auf. Ihr 23-jähriger Spitzen­kandidaten Jordan Bardella, Sohn italienischer Zuwanderer aus der benachteiligten Banlieue am Rande von Paris, überraschte mit einem überaus eloquenten Auftreten und verzichtete auf die üblichen rechtsextremistischen Provokationen. Die Nationalisten vermittelten das Bild, gemeinsam mit anderen europäischen Nationalisten die Europäische Union von innen heraus verändern zu wollen. Dies kam, im Vergleich zu früheren Wahlen, bei denen die Vision eines Frankreichs ohne die EU gezeichnet worden war, bei vielen französischen Wählern gut an.

„La République en Marche“ hat hingegen eine erstaunlich blasse Kampagne geliefert. Die Ende März bekanntgegebene Kandidaten-Liste von „La République en Marche“, die bei den Europa­wahlen unter dem Namen „Renaissance“ auftrat, wirkte wenig inspiriert und schaffte es nicht, den Geist von 2017 wiederzubeleben, als ins­besondere Vertreter der Zivilgesellschaft die Bewegung „En Marche“ getragen hatten. Die Spitzenkandidatin und vormalige Europa­ministerin Nathalie Loiseau, eine 54 jährige Berufsdiplomatin, wirkte wenig charismatisch, ihre Auftritte blieben fade und waren anfangs von Fehlern geprägt. Die Liste verfolgte ein Sowohl-Als-Auch: Einerseits wurden bürgerliche Politiker wie der frühere Premierminister Jean-Pierre Raffarin als Unterstützer präsentiert, andererseits wurden grüne Themen in den Vordergrund gestellt. Auch dass sich der Präsident und seine Regierung in den letzten 14 Tagen vor der Wahl in die Wahlschlacht warfen, hat eher die Wähler mobilisiert, die Macron einen Denkzettel verpassen wollten.

Große Überraschung: Die Grünen werden drittstärkste Partei

„Alle reden vom Wetter“ – ob es die Präsenz grüner Themen im Wahlkampf war, die die grüne Partei „Europe Ecologie / Les Verts“ (EELV) mit 13,5 Prozent überraschend auf den dritten Platz brachte, ist unklar. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Partei dies bereits 2009 mit 16,3% gelang und sie damals der Parti Socialiste im Kampf um den zweiten Platz nur sehr knapp unterlag.

Wahrscheinlich wurde die Wahl von zahlreichen Wählern als einzige Möglichkeit, konstruktive Kritik an Macrons Politik zu üben, wahr­genom­men. Dabei ist auch die Wählerwanderung von ehemaligen Anhängern der geschwächten Parti Socialiste nicht zu unterschätzen. Die Partei hatte seit dem Auszug der grünen Minister aus der Regierung von Präsident François Hollande im Jahr 2014 praktisch keine Rolle mehr in der französischen Politik und in der öffentlichen Wahrnehmung gespielt. Bei der Präsidentschafts­wahl 2017 präsentierte EELV keinen eigenen Kandidaten, bei der Parlamentswahl 2017 erlangten sie gerade noch ein Mandat (zuvor 15). Zahlreiche grüne Politiker haben sich inzwischen der Bewegung des Präsidenten angeschlossen (etwa Umweltminister François de Rugy, der Europa-Abgeordnete Pascale Durand oder Daniel Cohn-Bendit). Abgesehen von ihrem Vorsitzen­den Yannick Jadot sind die gegenwärtig aktiven grünen Politiker einer breiten Öffentlichkeit in Frankreich nicht bekannt. Mit der Europawahl etabliert sich EELV jedoch klar als starke Kraft im linken Lager. Mit Blick auf die in drei Jahren stattfindenden Präsidentschaftswahlen wird Yannick Jadot die Rolle der linken Führungsfigur für sich beanspruchen – und den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon in dieser Funktion ablösen.

Großes Entsetzen:Die Républicains kommen auf Platz 4

Großes Entsetzen bei den bürgerlich-konserva­tiven Républicains: sie kommen mit 8,4 Prozent nur auf Platz 4 – und damit auf das schlechteste Ergebnis, das die Gaullisten jemals bei einer Europawahl erhalten haben. Nachdem die Partei um die Jahreswende 2018/19 in Umfragen bereits bei 8 bis10 Prozent lag, hatte es ihr Vorsitzender Laurent Wauquiez durch die Berufung von François-Xavier Bellamy zum Listenführer geschafft, die Zustimmung in den Umfragen auf bis zu 15 Prozent zu steigern. Der 33-jährige Philosophie-Professor aus Versailles überzeugte durch sein freundliches und konstruktives Auftreten sowie seine brillante Rhetorik. Gemeinsam mit der Pariser Regionalpolitikerin Agnes Evren und dem Europaabgeordneten Arnaud Danjean führte er die Liste der Républicains als Spitzen-Trio an und schaffte es, der Partei im Rahmen einer gelungenen Kam­pagne einen neuen Esprit zu verleihen sowie ihre unterschiedlichen Strömungen zu integrieren. In der Endphase der Kampagne gewann Bellamy nicht nur die öffentliche Unterstützung führender Politiker der Républicains, etwa von Senats­präsident Gérard Larcher, der sich zuvor offen skeptisch über die Kandidatur Bellamys geäußert hatte, sondern auch die Unterstützung zahlreicher Bürgermeister der Républicains in ganz Frankreich.

Das magere Ergebnis zeigt jedoch, dass die Républicains ihr Wählerpotential bei weitem nicht ausschöpfen konnten. Sie erreichten weder das Ergebnis der Europawahl 2014 (20,8 Prozent) noch das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2017 (20,0 Prozent). Zahlreiche Wähler aus dem Mitte-Rechts-Spektrum haben offenbar auch diesmal ihre Stimme Macrons Liste gegeben und halten La République en Marche für das bessere bürgerliche Angebot. Manch national­konserva­tiver Wähler ist inzwischen bereit, den Rassemblement National zu unterstützen. Der Vorsitzende Laurent Wauquiez erklärte, seine Partei habe sich aufgrund der Strategie des Präsidenten, die Wählerschaft in Pro- und Anti-Europäer zu polarisieren, kein Gehör verschaffen können. Ob dies als Erklärung ausreichen wird, bleibt fraglich. Derweil rumort es bereits in der Partei und nicht wenige ziehen den Vergleich zum Europawahljahr 1999, als Nicolas Sarkozy infolge des schlechten Wahlergebnisses vom Vorsitz der bürgerlich-konservativen Partei, damals noch RPR, zurücktrat. Die Partei erhielt damals 12,8% der Stimmen und landete auf Platz 3.

Große Enttäuschung: Nur 6,6 Prozent für die Linkspopulisten

Die Linkspopulisten der Protestpartei „La France Insoumise“ haben eine herbe Niederlage ein­stecken müssen. Hatte ihr Vorsitzender Jean-Luc Mélenchon bei den Präsidentschaftswahlen 2017 noch 19,6 Prozent der Stimmen auf sich ver­einigen können, kommt seine Partei nur mehr auf 6,6 Prozent. Seit mehreren Monaten lag die Partei in Umfragen bei knapp 10 Prozent, blieb am Sonntag deutlich hinter den selbst gesteckten Erwartungen zurück. Damit dürfte auch die Führungsrolle, die Mélenchon bislang wahrgenommen hat, an die Grünen übergehen. Die Proteste der Gelbwesten, die Mélenchon aktiv unterstützt hatte, haben sich für die Partei nicht ausgezahlt.

Große Erleichterung:Die Sozialisten sind drin

Die Sozialisten, die bei der Europawahl eine Listenverbindung mit der Bürgerbewegung „Place publique“ eingegangen waren, haben es mit 6,6 Prozent über die in Frankreich geltende Fünf-Prozent-Hürde geschafft. In der letzten Phase des Wahlkampfs hatte die Formation öffentliche Unterstützung früherer sozialistischer Regierungsmitglieder, etwa des als bürgerlich geltenden ehemaligen Premierministers Bernard Cazeneuve und der linken Justizministerin Christiane Taubira, aber auch der sozialistischen Bürgermeisterinnen von Paris und Lille, Anne Hidalgo und Martine Aubry, erhalten. Wenige Tage vor der Wahl sagte auch der frühere Staatspräsident François Hollande den Sozialisten seine Unterstützung zu.

An der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert

Benoît Hamon, Präsidentschaftskandidat der Sozialisten von 2017, war mit einer eigenen Formation namens „Génération.s“ angetreten und hoffte, von der Schwäche der Parti Socialiste profitieren zu können. Zu seiner großen Ent­täuschung blieb die Unterstützung durch prominente sozialistische Ex-Minister aus. Wenige Tage vor der Wahl drohte Hamon damit, im Falle einer Niederlage die aktive Politik zu verlassen. Doch auch das hat die Wähler nicht überzeugen können.

Die Liberal-Konservativen von der UDI und die National-Konservativen von „Débout la France“ hofften, von der Schwäche der Républicains bzw. des Front National profitieren zu können und sind ohne Verbündete zur Europawahl an­getreten – und gescheitert. Die UDI war 2014 noch mit der Zentrumspartei MoDem eine Listenverbindung eingegangen und bisher mit drei Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten. Die Partei kommt nunmehr auf 2,5 Prozent und entsendet damit keinen Abgeordneten nach Straßburg. Der Plan von „Débout la France“, eine national-konservative Kraft zwischen Rassemblement National und Républicains zu etablieren ist ebenfalls gescheitert. Die Partei erhielt 3,5 Prozent.

Auch die Listen, die im Namen der Protest­bewegung der Gelbwesten angetreten waren, sind am 26. Mai erfolglos geblieben. Zusammen erhielten sie weniger als 1 Prozent der Stimmen.

Ausblick

Eine wichtigere Rolle als bisher dürften Frankreichs Europaabgeordnete in Zukunft spielen: Seit dem 26. Mai ist die Zusammenarbeit zwischen LREM und ALDE offiziell bestätigt: Die ALDE-Fraktion, angeführt vom ehemaligen belgischen Premierminister Guy Verhofstadt, „hat offiziell beantragt, dass ihr bei der Auswertung der Ergebnisse die Sitze […] der französischen Renaissance-Liste zugeschrieben werden", so ein Sprecher des Europäischen Parlaments. Mit 21 bzw. 23 Sitzen (nach dem vollzogenen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union) wird LREM voraussichtlich die größte nationale Delegation innerhalb des liberalen Spektrums bilden. Auch bei den Grünen werden die 12 bzw. 13 Ab­geordneten von EELV erheblichen Einfluss nehmen können. Sie werden nach den deutschen Grünen die größte nationale Delegation sein.

Sollte es zu einer gemeinsamen Fraktion der Nationalpopulisten kommen, wäre auch hier der Einfluss der französischen Abgeordneten groß: Mit ihren 22 bzw. 23 Abgeordneten wäre der Rassemblement National die zweitgrößte nationale Delegation nach der Lega aus Italien.

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Dr. Nino Galetti

Dr

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