Das „Agentengesetz“
Hintergrund der Proteste ist die Verabschiedung eines sogenannten Agentengesetzes, das die Regierungspartei, der Georgische Traum, am 07. März in erster Lesung durch das Parlament peitschte. Das Gesetz war im Februar von einer rechten Splittergruppe der Regierungspartei eingebracht worden und sah vor, dass Nichtregierungsorganisationen, Medien und sogar Individuen, die mindestens 20 % ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten, sich künftig als „ausländische Einflussagenten“ registrieren müssten. Zahlreiche georgische Medien und Nichtregierungsorganisationen hatten im Vorfeld angekündigt, dem geplanten Rechtsakt keine Folge leisten zu wollen. An dem Gesetz hatte es in den letzten Wochen auch breite internationale Kritik gegeben. Die EU, der Europarat, zahlreiche Botschaften, sogar die UN erklärten, das Vorhaben sei schädlich für die internationale Entwicklungszusammenarbeit in Georgien, laufe den im letzten Jahr erklärten Ambitionen des Landes zuwider, ein Beitrittskandidat der EU zu werden, es sei Ausdruck sich verstärkender autoritärer Tendenzen und als solcher ein großer demokratischer Rückschritt. „Wenn in Georgien Nichtregierungsorganisationen als ausländische Agenten stigmatisiert werden, dann bleiben viele Menschen mit Behinderungen, Binnenvertriebene, Minderheiten, ältere Menschen, Opfer häuslicher Gewalt oder andere schutzbedürftige Gruppen ohne effektive Unterstützung“, hieß es etwa in einer Erklärung der UN.
In Antwort auf die internationale Kritik versuchte die Regierung, das Gesetz als „westlich inspiriert“ darzustellen. In den USA etwa gebe es FARA, den „Foreign Agents Registrations Act“, der eine analoge rechtliche Regelung sei und im EU-Mitgliedsstaat Ungarn sei ebenfalls ein vergleichbares Gesetz in Kraft. Überhaupt gehe es bei der Initiative nur um legitime Transparenz, insbesondere innerhalb des regierungskritischen, vom Ausland gesteuerten Teils der Zivilgesellschaft.
„No to the Russian law!”
Diese Lesart verfing allerdings nicht, und Anfang der Woche kam der internationale Protest dann auch in der breiten georgischen Gesellschaft an. Zahlreiche Künstler, Wissenschaftler und Sportler schlossen sich der Kritik an. Chwitscha Kwarazchelia, Stürmerstar beim SSC Neapel und gegenwärtig einer der prominentesten Georgier, postete auf Facebook, Georgiens Zukunft sei in Europa. Dafür erntete er binnen weniger Stunden über 60.000 Likes. In den sozialen Medien wurde die Initiative der Regierung dann als das „russische Agentengesetz“ diskutiert. „No to the Russian law!“ entwickelte sich zum dominierenden Slogan. Damit wird Bezug genommen auf ein Gesetz, das der frisch für eine dritte Amtszeit gewählte Präsident Putin 2012 in Russland annehmen ließ und das in den Folgejahren die rechtliche Grundlage für eine schrittweise Schließung praktisch aller unabhängiger NGOs im Land bildete. Die Proteste in Tiflis können somit auch in einem übergeordneten pro-europäischen bzw. anti-russischen Rahmen gesehen werden. Während führende Vertreter der europäischen Politik in Statements den Mut und die Haltung der georgischen Bevölkerung lobten, kritisierte die Sprecherin des russischen Außenministeriums wenig überraschend die EU dafür, im Zusammenhang mit dem Agentengesetz in Georgien „die Grenzen des Anstandes zu überschreiten“ und „Druck auf georgische Bürger auszuüben“.
Eskalation der Proteste durch Polizeigewalt
Ursprünglich hatte das Gesetz am Donnerstag in erster Lesung verabschiedet werden sollen, doch nachdem die Zivilgesellschaft für diesen Tag zu einer Großdemonstration aufgerufen hatte, zog die Regierung die Abstimmung kurzfristig auf Dienstag vor und signalisierte damit, dass sie in großer Eile sei, das Gesetz in Kraft zu setzen. Bereits während der Abstimmung am Dienstag kam es zu einer spontanen Demonstration vor dem Parlament, die am späten Abend mit Wasserwerfern und Tränengas gewaltsam aufgelöst wurde. Das Bild einer Frau, die im Wasserstrahl entschlossen eine Europafahne schwenkt, ging viral. Die Demonstrationen setzten sich am nächsten Tag in noch größerem Umfang fort. Jetzt waren es vor allem junge Menschen, die erklärten, ihre Zukunft sei Europa und Georgien sei nicht Russland. Trotz der großen Anspannung und Unzufriedenheit blieben die Protestierenden dabei friedlich. Nachdem die georgische Nationalhymne und die Europahymne gespielt worden waren, forderte die Polizei die Demonstrierenden auf, die Kundgebung zu beenden, und als das nicht passierte, wurde die Versammlung unter Einsatz massiver Gewalt aufgelöst. Amnesty International konstatierte im Nachhinein unter anderem den großflächigen Einsatz von Tränengas, Blendgranaten und Wasserwerfern. Dieses Verhalten der georgischen Polizei sei „in vielen Fällen weder verhältnismäßig noch sinnvoll“ gewesen. Bei den Auseinandersetzungen wurden an den ersten beiden Protesttagen laut dem Innenministerium insgesamt 133 Demonstrierende festgenommen.
Regierungspartei zieht das Gesetz zurück
Unter dem Eindruck des Ausmaßes der Proteste erklärte die Regierungspartei am Donnerstagmorgen, sie werde das Gesetz zurückziehen. Die EU und weitere internationale Institutionen begrüßten diesen Schritt. Doch die Erklärung der Regierung scheint ein Spiel auf Zeit. Man wolle das Gesetz besser erklären, hieß es. Das klingt jedoch so, als ob an der Substanz nichts geändert werden solle. Zudem war ein „Zurückziehen“ des in erster Lesung verabschiedeten Gesetzes formaljuristisch nicht möglich. Am Freitagmorgen votierten deshalb die Parlamentsabgeordneten in zweiter Lesung mit den Stimmen der Opposition mehrheitlich gegen das Gesetz. Bezeichnend war hierbei das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten der Regierungspartei: Sie stimmten nicht geschlossen gegen das Gesetz, sondern enthielten sich. Ein Vertreter des Georgischen Traums stimmte sogar erneut für das Gesetz.
Ob die georgische Bevölkerung den Erklärungen des Georgischen Traums daher Glauben schenken wird, bleibt abzuwarten. Auch am Abend nach dem angekündigten Zurückziehen des Gesetzes demonstrierten wieder Tausende vor dem Parlament. Bemerkenswert ist, dass die Massenproteste ganz überwiegend von Jugendlichen getragen werden. Die zersplitterte politische Opposition hingegen spielt bei der Mobilisierung und Organisation der Proteste kaum eine Rolle.
Es ist somit noch gänzlich offen, ob das Kalkül der Regierung, den Massenprotesten durch ein vermeintliches Entgegenkommen das „Momentum“ zu nehmen, erfolgreich sein wird. Die Menschen haben jedenfalls einen weiteren Grund zum Protestieren: Nicht nur gegen das russische Agentengesetz, sondern auch noch gegen exzessive Polizeigewalt. Für die kommenden Tage sind weitere Demonstrationen angekündigt.
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