Nach dem ersten Wahlgang der rumänischen Präsidentenwahl am 4. Mai 2025 trat der damalige Premierminister Marcel Ciolacu (PSD, dt. Sozialdemokratische Partei) zurück. Er begründete diesen Schritt damit, dass das schlechte Abschneiden des Kandidaten der Regierungskoalition zeige, dass die Regierung kein Vertrauen mehr in der Bevölkerung genieße. Nicușor Dan (parteilos) setzte sich nach einem nervenaufreibenden Wahlkampfendspurt anschließend im zweiten Wahlgang am 18. Mai 2025 gegen seinen rechtsextremen Kontrahenten George Simion (AUR, dt. „Bündnis für die Union der Rumänen“) durch und wurde kurz darauf als neuer rumänischer Staatspräsident vereidigt. Nach zähen Verhandlungen konnte nun auch eine neue Regierung gebildet werden.
Kein einfacher Weg
Gemäß der rumänischen Verfassung nominiert der Staatspräsident den Premierminister und beauftragt ihn zugleich mit der politischen Mehrheitsbildung für die Regierung. Die Kandidaten für ein Ministeramt werden anschließend in den Fachausschüssen des Parlaments angehört. Die Stellungnahme der Ausschüsse ist zwar nur beratend, muss jedoch abgeschlossen sein, damit der nächste Schritt der Regierungsbildung erfolgen kann: Die Vorlage des Regierungsprogramms durch den designierten Ministerpräsidenten im gemeinsamen Plenum der Abgeordnetenkammer und des Senats. Anschließend stimmen die Parlamentarier in geheimer Wahl über die Amtseinführung der Regierung ab.
Dieser klare Fahrplan erwies sich in den letzten Wochen als schwierig umzusetzen. Grund dafür ist das Ergebnis der letzten Parlamentswahl im Dezember 2024, bei dem die Kräfte der politischen Mitte zersplittert sind und die extreme Rechte erstarkt ist. Um den rechtsextremen Kräften im Parlament keine Regierungsbeteiligung zukommen zu lassen, mussten sich nun alle anderen Parteien in einer Koalitionsregierung zusammenfinden. Sämtliche Beteiligte mussten etliche politische Kröten schlucken, bis Kompromisse für Positionen gefunden waren, die zu Beginn noch unvereinbar schienen. Unter Vermittlung des Staatspräsidenten fanden die Parteien PSD, PNL, USR (dt. „Union Rettet Rumänien“), UDMR (dt. „Demokratische Union der Ungarn in Rumänien“) und die Vertreter der Minderheitenfraktion im rumänischen Parlament letztlich zusammen und bilden nun eine Koalitionsregierung mit Premierminister Ilie Bolojan (PNL) an der Spitze.
Ein neuer Premierminister
Ilie Gavril Bolojan stammt aus dem Nordwesten Rumäniens. Nach einem Studium von Mechanik und Mathematik, fand er seinen Weg über den Stadtrat von Aleșd in die Politik. Als Bürgermeister der nordrumänischen Stadt Oradea (2008-2020) beeindruckte er durch die Schaffung einer effizienten Stadtverwaltung, die Förderung guter Nachwuchskräfte und qualifizierter Mitarbeiter sowie die Zurückdrängung von Klientelismus und Korruption. Ilie Bolojan weitete dieses Konzept als Kreisratsvorsitzender von Bihor (2020-2024) auf den gesamten Kreis aus. Er gilt als der erfolgreichste Reformer und Manager in der politischen Landschaft Rumäniens. Nach dem Rücktritt von Nicolae Ciucă als Parteivorsitzender der PNL, übernahm Ilie Bolojan interimsweise den Parteivorsitz. Nach der Parlamentswahl im Dezember 2024 wurde er zum Senatspräsidenten gewählt. Der Rücktritt von Staatspräsident Klaus Iohannis machte Senatspräsident Ilie Bolojan gemäß der rumänischen Verfassung zum interimistischen Staatspräsidenten Rumäniens (Feb-Mai 2025).
Reform oder drohendes Ende
Trotz seines hohen Ansehens im breiten liberalen Bürgertum und damit weiten Wählerschichten, stehen einige Kräfte in der PNL gegen Ilie Bolojan. Zum Teil aus machtpolitischen Bestrebungen, aber auch, weil manche die Reformen fürchten, die Ilie Bolojan auch innerhalb der PNL umsetzen dürfte. Dabei ist klar: Die rumänischen Wählerinnen und Wähler haben während der letzten Wahlen deutlich gemacht, dass sie von ihren politischen Parteien schwer enttäuscht sind: Verschwendung, Ineffizienz, Klientelismus und Selbstbedienungsmentalität werden einfach nicht mehr akzeptiert. Gefragt sind professionell geführte, bürgerorientierte, transparente Parteien, die bei der Besetzung von Ämtern und Posten das Leistungsprinzip setzen. Ilie Bolojan ist zuzutrauen, dass er genau dies liefern könnte. Allerdings muss er zunächst am 12. Juli 2025 beim nächsten ordentlichen Parteitag der PNL zum Vorsitzenden gewählt werden und anschließend die Partei hinter sich einen.
Deutlich schwieriger dürfte der PSD ein innerer Umbau fallen. Ihr „politisches Geschäftsmodell“ beruht schlichtweg eher auf Klientelismus und weit weniger auf sozialdemokratischen Überzeugungen, wie der Parteiname vermuten lassen könnte. Gerade einmal zwei Handvoll Politikerinnen und Politiker konnten sich vor der zweiten Runde der Präsidentenwahlen öffentlich dazu durchringen, sich klar hinter den pro-europäischen Kandidaten Nicusor Dan zu stellen. Offensichtlich liebäugelte die Mehrheit der Parteiführung mit der rechtsextremen Option George Simion. Wie dies von einer sozialdemokratischen Partei auch nur in Betracht gezogen werden kann, fragte man sich nicht nur bei der europäischen S&D-Fraktion. Dass auch viele Wählerinnen und Wähler der PSD nicht unbedingt sozialdemokratischen Ansichten anhängen, zeigt sich darin, dass besonders viele ehemalige PSD-Wähler bei den letzten Wahlen zu den rechtsradikalen Alternativen abgewandert sind. Der Weg hin zu einer modernen sozialdemokratischen Partei mit kohärenten sozialpolitischen Konzepten scheint weit.
Auch wenn die USR als glaubhaft reformorientiert wahrgenommen wird, gilt sie doch als programmatisch zerfasert und von endlosem Streit ihres Führungspersonals gelähmt. Es gelang der Partei bislang nicht, aus ihrer städtisch geprägten Nische herauszuwachsen. Der rumänische Staatspräsident Nicușor Dan hatte die USR mitbegründet, war aber später frustriert ausgeschieden. Die USR wiederum trat im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl noch mit einer eigenen Kandidatin an, obwohl früh absehbar war, dass die Umfragen hierfür kein erfolgreiches Ende prognostizierten. Man hätte Nicușor Dan den Einzug in die zweite Runde komfortabler gestalten können. Die UDMR schließlich wird als Vertretung der Interessen der ungarischen Minderheit auch nicht weit über ihr aktuelles Wählerpotential hinauswachsen können.
Ohne einen tiefgreifenden inneren Wandel in den Parteien, die bisher die politische Landschaft von der Mitte her dominierten, wird es in Rumänien also nicht gehen. Die Parteien, denen dieser Wandel nicht gelingt, werden weiter schrumpfen und Raum für neue politische Kräfte machen. Bislang wurde dieser Raum von rechtsradikalen und rechtspopulistischen politischen Angeboten gefüllt. Sehr zur Freude Russlands, das die Schlüsselposition Rumänien für die Stabilität bzw. Instabilität des gesamten südosteuropäisch-osteuropäischen Raums genau kennt. Der Reformdruck auf die rumänische Parteienlandschaft bleibt damit hoch.
Schwer zu lösende Gleichungen
Schwierig bleiben auch die Mehrheitsverhältnisse im rumänischen Parlament. Nur durch die Einbindung der PSD, die vom bürgerlich-liberalen Lager und auch von reformorientierten Rumäninnen und Rumänen als „Wurzel allen Übels“ (zumindest aber von Klientelismus und Korruption) gesehen wird, ist eine Regierungsbildung überhaupt möglich. Die PSD in die Regierung einzubinden und ihr zahlreiche Ministerposten zu überlassen, ist eine Hypothek für die Regierung Bolojan. Nur ein Teil des reformorientierten Lagers kann akzeptieren, dass es bei diesem Wahlergebnis einfach nicht anders geht. Um das Vertrauen der rumänischen Bevölkerung zurückzugewinnen, müssen Präsident und Premierminister Klientelismus und Korruption zurückdrängen und gute Regierungsführung liefern. Damit die Regierung nicht zerbricht, muss gleichzeitig die PSD im Boot gehalten werden, die jedoch weiter ihr politisches Geschäftsmodell scheint verfolgen zu wollen. Dieser Balanceakt wird kritisch beäugt von der USR, die bereits die letzte Regierungskoalition, an der sie beteiligt war, hat platzen lassen.
Hinzu kommt, dass sich Rumänien in einer manifesten Haushaltskrise befindet (Defizit 9,5%) und schmerzhafte Reformen auf das Land und die Bevölkerung warten. Staatspräsident Dan und Premierminister Bolojan bereiten die Bevölkerung seit Tagen auf harte Sparmaßnahmen vor. Das veröffentliche Regierungsprogramm enthält auch bereits eine lange Liste an „Grausamkeiten“: Eine durchschnittliche Reduzierung der Mitarbeiterzahl in der zentralen öffentlichen Verwaltung um 20 %; Deutliche Reduzierung der Aufsichtsräte, Verwaltungsräte, Ausschüsse und Vorstände in den staatlichen Unternehmen; Die Schließung staatlicher Unternehmen mit dauerhaften Verlusten, was unter anderem die staatliche Fluggesellschaft TAROM, den Güterschienenverkehr CFR Marfă, den Rüstungskonzern Romarm, und das Fernwärmenetz Complexul Energetic Oltenia betreffen könnte; Eine Ausweitung der Steuerzahlerbasis für die Rentenbeiträge um 20%, indem opt-out Möglichkeiten für hohe Einkommen gestrichen werden; Die Besteuerung „übermäßiger“ Aktiengewinne für einen begrenzten Zeitraum. Wer sich ähnliche Reformen für Deutschland vorstellt, bekommt eine Idee davon, was in den nächsten Monaten auf die neue rumänische Regierung an Protesten, Demonstrationen und politischem Gegenwind wartet.
In diesem Klima die fragile Koalition zusammen zu halten, grundlegende Umbauten im Inneren des Parteisystems vorzunehmen und dem hohen Druck der aktuellen sicherheitspolitischen Krisen standzuhalten: Aktuell sind die rumänischen Spitzenpolitiker wirklich nicht zu beneiden. Als Lichtblick bleibt, dass mit Staatspräsident Nicușor Dan und Ilie Bolojan gleich zwei Mathematiker an der Spitze Rumäniens stehen, die es gewohnt sind, schwierige Gleichungen aufzulösen und mit unbekannten Variablen umzugehen. Wünschen wir Rumänien, dass die Rechnung am Ende aufgeht!
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