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Mongolische Volkspartei (Монгол Ардын Нам)

Länderberichte

Sieger ohne Gegner

von Johann C. Fuhrmann, Max Duckstein

Erdrutschsieg der Mongolischen Volkspartei bei den Präsidentschaftswahlen

Eine herbe Niederlage musste die Demokratische Partei (DP) bei der Präsidentschaftswahl am 9. Juni hinnehmen: Seit 2009 hatten Politiker der heutigen Oppositionspartei mit Ts. Elbegdorj und Kh. Battulga durchgehend das höchste Staatsamt bekleidet. Der umstrittene Kandidat der Partei, S. Erdene, landete bei den jüngsten Wahlen mit nur sechs Prozent der abgegebenen Stimmen abgeschlagen auf dem dritten Platz. U. Khurelsukh, der für die regierende Mongolische Volkspartei (MVP) ins Rennen ging, ist mit einem Stimmanteil von 68 Prozent mit deutlicher Mehrheit zum künftigen Staatsoberhaupt des Landes gewählt worden. Damit wird die Partei neben dem mit einer Zweidrittelmehrheit regierenden Premierminister L. Oyun-Erdene zukünftig auch das Präsidentenamt übernehmen. Die chancenlose Opposition warnte schon vor den Abstimmungen vor Gefahren für die junge Demokratie.

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Die Ergebnisse im Überblick

Kandidat Stimmenanteil
U. Khurelsukh, MVP 67,8 Prozent
D. Enkhbat, HUN-Partei 20,3 Prozent
S. Erdene, DP 6,0 Prozent
Weißer Stimmzettel 5,9 Prozent

 

Ein unerwünschter Oppositionskandidat

Nachdem der amtierende Präsident Kh. Battulga nach einem umstrittenen Urteil des Verfassungsgerichts nicht wieder antreten durfte, hatte ein Großteil der Demokratischen Partei (DP) den ehemaligen Premierminister N. Altanhujag für eine Kandidatur favorisiert. Alle Parlamentarier der Oppositionspartei und sämtliche Regionalverbände sprachen ihre Unterstützung für den erfahrenen Spitzenpolitiker aus. Stattdessen registrierte die von der MVP dominierte zentrale Wahlkommission jedoch den ehemaligen DP-Vorsitzenden Erdene, der von einer Splittergruppe innerhalb der Partei nominiert worden war. Da das mongolische Wahlgesetz nur einen Kandidaten pro im Parlament vertretender Partei zulässt, konnte die Wahlkommission so den wesentlich prominenteren Altanhujag von der Wahl ausschließen[1]. Beobachter sahen in Erdenes Kandidatur einen Rachefeldzug gegen innerparteiliche Rivalen, die nach seinem Machtverlust die Partei dominieren. Nach seinem Rücktritt in Folge der verlorenen Parlamentswahlen im Juni 2020 übernahmen dem jetzigen Präsidenten Kh. Battulga nahestehende Politiker die Führung der Partei. Innerhalb der DP wird sogar ein gemeinsames Komplott Erdenes mit der regierenden MVP vermutet.

 

Wahlkampf im Sparmodus

In dem knapp dreiwöchigen Wahlkampf konnte Erdene dementsprechend nicht auf die Unterstützung der Partei zurückgreifen. Bis auf in der Provinz Archangai und in seinem in Ulan Bator gelegenen Stammwahlkreis Bajangol eröffnete er keinerlei Kampagnenbüros. Anders als in der Mongolei üblich, weigerte er sich außerdem einen Großteil der 21 Provinzen des Landes zu besuchen. Plakate oder Werbung für seine Kandidatur suchte man in der Hauptstadt vergebens. Dies war überraschend, denn eigentlich verfügen er selbst und sein einziger mächtiger Unterstützer, der ehemalige Präsident Ts. Elbegdorj, über weitreichende Finanzmittel. Trotzdem wurde Erdenes Wahlkampf fast ohne jedwede Ressourcen geführt. Denn mit einer Chance auf den Wahlsieg rechnete auch in seinem Hauptquartier im Zentrum der Stadt niemand. Der Slogan „Mongolei ohne Diktatur“ wurde in der Bevölkerung bestenfalls als uninspiriert aufgenommen. Auch öffentlich arbeitete sich Erdene vor allem an seinen innerparteilichen Gegnern ab.

Kritik an der regierenden MVP beschränkte sich zu großen Teilen auf obskure Vorwürfe einer angeblich geplanten Wahlbeeinflussung. So verbreiteten er und sein Team Verschwörungstheorien, die eine technische Manipulation der Abstimmungen durch die Regierung belegen sollten. Auch am Tag nach der Wahl verkündete Erdenes Vertrauter Ch. Unurbayar prompt nicht weiter spezifizierte Vorwürfe gegenüber den bei der Wahl benutzten Zählmaschinen. Diese sogenannten „schwarzen Maschinen“ sind in der Mongolei nach jeder Wahl Gegenstand weitverbreiteter Spekulationen. Auch wenn die Zuverlässigkeit mongolischer Wahl-Technik bei weitem nicht über alle Zweifel erhaben ist, gab es bisher keine belegten Eingriffe seitens Dritter. Letztlich erscheint auch der Nutzen einer Wahlmanipulation zweifelhaft. Die durch den Ausschluss zweier potenzieller DP-Kandidaten erreichte Handlungsunfähigkeit der größten mongolischen Oppositionspartei sorgte schon im Vorfeld der Abstimmungen für eindeutige Prognosen.

 

Strategische Zurückhaltung bei der DP

In den Wochen vor der Wahl hielten sich die innerparteilichen Gegner Erdenes mit Kritik am ehemaligen Vorsitzenden zurück. Stattdessen wurde ihm schlicht die Unterstützung seitens der Partei verweigert. Doch öffentlich ließ man sich nicht auf eine Schlammschlacht ein. Die einflussreichen DP-Parlamentarier Altanhujag, Ts. Tsogtgerel und J. Batsuurj gaben kaum Interviews. Auch auf Pressemitteilungen verzichtete man. Der Gedanke dahinter: Das Narrativ eines innerparteilichen Konflikts zu füttern, würde der Partei auch über die Präsidentschaftswahlen hinaus weiter schaden. Die Sorge war groß, dass Erdene die DP-Parlamentarier für seine Niederlage an der Wahlurne verantwortlich machen würde. Lediglich zwei Parlamentsmitglieder, Erdenes langjährige Vertraute S. Odontuya und der Fraktionsvorsitzende D. Ganbat, scherten aus dieser Koalition aus. Sie traten trotz ihrer vorherigen Opposition gegenüber seiner Kandidatur einige Male zusammen mit dem Präsidentschaftsanwärter auf. Während Odontuya ihre Karriere teilweise der Förderung Erdenes verdankt, bleiben die Gründe für Ganbats halbherzigen Einsatz für den geschassten Ex-Vorsitzenden unklar. Nur zwei Wochen zuvor hatte er sich noch an einem Hungerstreik gegen Erdenes Kandidatur beteiligt.

Auch wenn man innerhalb der DP mit einem schwachen Ergebnis gerechnet hatte, überraschte die Deutlichkeit selbst erfahrene Wahlkämpfer: Nur etwas mehr als 70.000 Wahlberechtige entschieden sich an der Wahlurne für den in den letzten Wochen manchmal fast apathisch wirkenden Erdene. Damit lag er nur wenige hundert Stimmen vor den „weißen Stimmzetteln“, die in der Mongolei mitgezählt werden[2]. In den Sozialen Netzwerken witzelte man, dass ihm wenigstens dieser „Sieg“ gelungen sei. Doch sind diese Zahlen selbst in einem Land mit nur drei Millionen Einwohnern blamabel.

 

Die Wahlkampfmaschine der MVP

Khurelsukh verhalf nicht nur die Schwäche seiner Gegenkandidaten zu diesem Erdrutschsieg. Die MVP verfügt über ein hundert Jahre lang gewachsenes enges Netzwerk an Ortsverbänden. Nicht selten haben lokale Parteigranden einen Parteiausweis in der fünften Generation. Das so gewachsene Netzwerk ist die Grundlage für jeden Wahlkampf der ehemaligen sozialistischen Staatspartei. So bekamen Mitglieder im Vorfeld der Wahl beispielsweise den Auftrag, zehn oder zwanzig Bekannte im persönlichen Gespräch von der Wahl Khurelsukhs zu überzeugen. Von dieser Fähigkeit zur dezentralen Wahlkampfführung profitierte die Partei bereits bei vergangenen Wahlen. In den letzten Jahren wurde durch die Einrichtung von ständigen Callcentern die Pflege dieser Struktur sogar noch bewusst ausgebaut. Regelmäßig verteilt die Partei Hilfsangebote und führt telefonische Stimmungstests unter ihren Mitgliedern durch. Am Wahltag wurden der MVP geneigte Rentnerinnen und Rentner mit einem eigenen Fahrdienst zu den Wahllokalen gebracht. An den Wahlstationen achteten die lokalen MVP-Vorsitzenden darauf, dass ihre lokalen Parteimitglieder und Unterstützer auch tatsächlich zur Stimmabgabe erschienen. Darüber hinaus können die Strategen in der Parteizentrale über riesige Geldmengen verfügen. Durch den Einkauf prominenter mongolischer Influencer, Musiker und Sportler versuchte man so, im Vorfeld der Wahl Aufmerksamkeit in den Sozialen Medien zu generieren. Im Gegensatz dazu stand die Entscheidung, auf weitreichende Plakatkampagnen zu verzichten. Zu groß war Sorge, so die eigene Übermacht im öffentlichen Raum zu stark hervorzuheben.

Dabei gilt Khurelsukh nicht als unumstritten. Ende Januar war er nach einem Skandal im Gesundheitswesen von seinem Posten als Premierminister zurückgetreten[3]. In der Öffentlichkeit wurde dies als machtpolitische Finte gedeutet, um sich rechtzeitig vor einer Eskalation der COVID-19-Pandemie im Land aus der politischen Verantwortung zu stehlen. Sein zunehmend martialisches Auftreten hatte gerade in der Hauptstadt gebildete Wählerinnen und Wähler beunruhigt. Auch innerhalb der MVP konnte der Ex-Offizier in den letzten Jahren oft nur mit Mühe seine Gegner in Schach halten. Parlamentarier wie der einflussreiche Su. Batbold gelten als Strippenzieher hinter den Kulissen, ohne deren Unterstützung Khurelsukh bisher Entscheidungen innerhalb der Partei nicht durchsetzen konnte. Das eindeutige Wahlergebnis wird seine Kritiker in den eigenen Linien jedoch vorerst zum Schweigen bringen.

 

Ein Underdog mit Achtungserfolg

Als zweiter Gewinner des Wahlabends kann sicherlich der von der HUN-Partei aufgestellte D. Enkhbat gelten. Der IT-Unternehmer war noch vor zwei Monaten höchstens politischen Insidern bekannt. Von der Kleinstpartei nominiert, startete er als Underdog ins Rennen. Mit über 20 Prozent der Stimmen belegt er klar den zweiten Platz. Seine Unterstützer sind vor allem in der gebildeten, urbanen Mittelschicht zu finden. Sein Wahlkampf war genau auf diese Zielgruppe zugeschnitten. Sein ruhiges Auftreten und seine eher abstrakten Reden bieten einen starken Kontrast zum oftmals polternden Männlichkeitsgebaren vieler mongolischer Politiker. In der Hauptstadt vermochte er es damit, bei jungen, gut ausgebildeten Wählerinnen und Wählern Unterstützung zu sammeln. Viele Bewohner des Jurtenviertels und die Landbevölkerung sahen sich jedoch nicht in ihm repräsentiert. Auch verfügte die relativ neue HUN-Partei nicht über die Strukturen, um einen weiträumigen Wahlkampf zu organisieren. Es fehlte an politischer Erfahrung, Freiwilligen, Finanzmitteln und Bekanntheit. Versuche, eine Grasswurzelkampagne für Enkhbat zu starten, erzielten allenfalls mittelmäßige Erfolge. Gerade nach den Parlaments- und Lokalwahlen im letzten Jahr ist die Politikmüdigkeit groß. Das belegt auch die ungewohnt niedrige Wahlbeteiligung von unter 60 Prozent.

 

Ein-Parteien-Staat ohne Opposition?

Für die DP wird sich das Ausmaß der Wahlniederlage erst noch zeigen. Wenn es rasch gelingt, den Konflikt mit Erdene zu beenden, können die nächsten drei Jahre bis zu den Parlamentswahlen für einen Wiederaufbau der Partei genutzt werden. Noch ist unklar, welche Schlüsse Erdene aus seiner deutlichen Niederlage ziehen wird. Doch ein Zur-Ruhe-Setzen ist für den alternden Politiker nicht leicht. Seine politische Bekanntheit schützt ihn auch vor möglicher Strafverfolgung. Als Minister für soziale Sicherheit war er vor Jahren in einen Skandal um Fehlinvestitionen des nationalen Pensionsfonds involviert. Trotzdem ist es verfrüht, vom Untergang der traditionsreichsten mongolischen Oppositionspartei zu sprechen. Mit mittlerweile zwölf Parlamentariern und Regionalregierungen in acht der 21 Provinzen bietet sich der Partei eine solide Basis für den Wiederaufbau. Von den ca. 200.000 Mitgliedern und unzähligen erfahrenen DP-Politikern ist die HUN-Partei weit entfernt. Gerade außerhalb Ulan Bators ist und bleibt die DP die einzige Partei, die in ihrer Bekanntheit und ihrer Struktur der MVP Paroli bieten kann.

Voraussichtlich wird die mongolische Politik für die nächsten sechs Jahre seiner Amtszeit entscheidend durch Khurelsukh geprägt werden. Auch wenn die Ernennungskompetenzen des neuen Präsidenten durch eine 2019 erfolgte Verfassungsänderung beschränkt wurden, kommt dem Staatsoberhaupt immer noch eine zentrale Funktion im politischen System der Mongolei zu[4]. Neben einem Veto- und Initiativrecht in Gesetzgebungsverfahren hat das Wort des Staatsoberhaupts in der Öffentlichkeit Gewicht. Die Präsidialadministration kann außerdem Druck auf Ministerien und Behörden ausüben. Doch vor allem Khurelsukhs innerparteiliche Macht eröffnet ihm viele informelle Wege, direkten Einfluss auf die MVP-Regierung auszuüben. Anders als im Falle mongolischer Premierminister kam es historisch noch nie zu einem Rücktritt des Staatspräsidenten – zu unabhängig von parlamentarischen Entscheidungen ist dessen Amt. Khurelsukh kann somit künftig aus einer sicheren Position heraus seinen Einfluss geltend machen. Die eigentlich vorgesehene Kontrollfunktion des Amtes gegenüber der Regierung wird wahrscheinlich in den Hintergrund treten. Mit einer Eindämmung der ohnehin häufigen Korruptionsskandale innerhalb der MVP-Regierung ist folglich nicht zu rechnen[5]. Mit der gestärkten Machtposition Khurelsukhs sehen sich nun allerdings auch seine innerparteilichen Gegner konfrontiert. Ob sie Übergriffe des Präsidenten auf die MVP-Regierung hinnehmen werden, ist ungewiss. Dies gilt gerade, wenn ein einigender Gegner außerhalb der Partei fehlen wird. Die auch für sie ungewohnte absolute Macht, die die MVP am 9. Juni gewonnen hat, könnte sich bald in eine Last für die Regierung sowie die mongolische Demokratie verwandeln.

 


 

[1] Für mehr siehe: Duckstein, Max (2021): An Election with Handpicked Candidates?, in Mongolia Focus, zuletzt geprüft am 10.06.2021.

[2] Für mehr siehe: Duckstein, Max; Fuhrmann, Johann (2021: Drei Kandidaten und ein weißer Stimmzettel, in KAS-Länderberichte, zuletzt geprüft am 10.06.2021.

[3] Für mehr siehe: Fuhrmann, Johann; Duckstein, Max (2021): Mongolische Regierung tritt zurück, in KAS-Länderberichte, zuletzt geprüft am 10.06.2021.

[4] Odonkhuu, Munkhsaikhan (2020): Mongolia’s Long, Participatory Route to Constitutional Reforms, in: Constitutionnet 20.01.2020, zuletzt geprüft am 10.06.2021.

[5] Für mehr siehe: Fuhrmann, Johann (2018): Regierungskrise in der Mongolei, in KAS-Länderberichte, zuletzt geprüft am 10.06.2021.

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