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Slowakei - zehn Jahre Eigenstaatlichkeit am Vorabend des EU-Beitritts

von Frank Spengler, Gabriela Tibenská
„Ich bin glücklich“. Selten zeigte ein Regierungschef nach einer wichtigen politischen Entscheidung so offen seine Gefühle wie der slowakische Premierminister Mikuláš Dzurinda nach der Bekanntgabe des Endergebnisses des EU-Referendums seines Landes. 92,46% der abgegeben Stimmen für den EU-Beitritt.

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So deutlich wie die Slowakei hatte zuvor noch kein EU-Beitrittskandidatenland für eine Zukunft in Europa votiert. Dzurindas Stimmung dürfte allerdings schon wenige Tage später einen herben Dämpfer erhalten haben. Dem slowakischen Vizepremierminister für EU-Integration Pál Csáky wurde in Brüssel am 26. Mai 2003 von einem Generaldirektor der EU offiziell mitgeteilt, das die Slowakei wohl noch nicht reif für geplanten EU-Beitritt sei. Laut eines Berichts der Tageszeitung „Pravda“ hätten sich die Probleme in der Slowakei akkumuliert und das Land sei nun der am schlechtesten vorbereitete EU-Beitrittskandidat.

  • Die Zweifel scheinen vordergründig berechtigt, die Kritikpunkte sind seit langem bekannt: Unzureichende Bekämpfung der Korruption,
  • Ineffizienz der Justiz,
  • beachtliche regionale Strukturunterschiede,
  • hohes Haushaltsdefizit und
  • große Arbeitslosigkeit.
Ferner werden die Diskriminierung der Roma-Minderheit und zunehmend die unzureichende Vorbereitung zur Beantragung und Verwaltung der EU-Mittel problematisiert.

Dabei hat der junge Staat im Herzen Europas eine erstaunliche Aufholjagd hinter sich. Nach dem der Christdemokrat Dzurinda vor viereinhalb Jahren die Regierung übernommen hatte, wurde die Slowakische Republik mit ihren rund fünfeinhalb Millionen Einwohnern zum Musterschüler der EU. Das Land war noch bis 1998 unter der damaligen autoritären Regierung des Populisten Vladimir Meciar ein aus politischen Gründen abgelehnter Außenseiter des EU-Erweiterungsprozesses. Die Slowakei hat aber ihren Verhandlungsrückstand von zwei Jahren gegenüber den Nachbarländern weitgehend aufgeholt.

So stellte der amerikanische Botschafter in der Slowakei, Roland Weiser, seinem Gastland vor kurzem ein hervorragendes Zeugnis bei der Bekämpfung der Korruption aus: „Vor fünf Jahren hätten wir nirgendwo öffentlich über dieses Problem reden können, obwohl alle davon wussten und die Investoren deswegen fern blieben. Heute ist die Korruption schon kein Schreckgespenst mehr und wir sehen, wie entschieden der Justizminister dagegen vorgeht, auch wenn natürlich noch viel zu tun übrig bleibt. Einen derartigen Wandel habe ich sonst noch nirgendwo erlebt“.

Die Aussicht auf die Zugehörigkeit zum stärksten Wirtschaftsblock der Welt hat also offenbar in den Slowaken erstaunliche Kräfte - nicht nur bei der Bekämpfung der Korruption - freigesetzt. Wie zuletzt bei der Vorlage der Steuerreform überrascht die Mitte-Rechts-Regierung immer wieder mit einer fortschrittlichen Gesetzgebung. Ein weitgehend einheitlicher Steuersatz von 19% auf Einkommen, Gewinne, Umsatz und Verbrauch, bei gleichzeitiger Aufhebung vieler Bestandssteuern, soll mit Beginn des kommenden Jahres zusätzliche ausländische Investoren in das Land locken. In den vergangenen 20 Jahren konnten nur wenige Staaten eine so grundlegende Steuerreform so schnell und so umfassend vorlegen.

Das geographisch kleine Land liefert so auch einen eindeutigen Beleg dafür, dass schon die mögliche Zugehörigkeit zur EU ein Motor zur Verwirklichung von grundlegenden Reformen in einem Land sein kann. Den Willen zur Integration in das vereinte Europa und das transatlantische Bündnis kann den Slowaken nach dem letzten Volksentscheid nun niemand mehr absprechen.

Das Streben von Premierminister Dzurinda das Land in die euroatlantischen Strukturen zu integrieren, wurde jedoch von den oppositionellen Nationalisten und Populisten heftig kritisiert: Dzurinda vergesse bei all seinen außenpolitischen Bemühungen die Interessen und Sorgen seiner Mitbürger, die ja erst seit einem Jahrzehnt in einem Staat zusammen leben dürfen. Dieser Umstand wird in der slowakischen Öffentlichkeit selten offen diskutiert, spielt unterschwellig jedoch durchaus eine Rolle. Slowakische Intellektuelle begründen so auch das oft übermäßige Desinteresse der Bevölkerung an Europa. Einige politische Beobachter befürchteten in der Vergangenheit, dass der Beitritt zu EU und NATO in letzter Sekunde doch noch an der Angst vor der Aufgabe nationaler Souveränität scheitern könnte.

Dahinter verbirgt sich vor allem die Frage nach der eigenen staatlichen Identität. Einerseits sind einige Slowaken der Ansicht, das die späte Eigenstaatlichkeit im Jahre 1993 den entscheidenden Vorteil habe, dass das Land nun völlig unbedarft in die kommenden Zeitabläufe eintauchen könne. Andererseits sind viele Slowaken zurzeit sehr daran interessiert zu erfahren, welche Rolle ihr Land in der europäischen Geschichte spielte. So lud das Zentrum für Europäische Politik, eine Partnerorganisation der Konrad-Adenauer-Stfitung, Anfang März 2003 anlässlich des 500. Geburtstags von Kaiser Ferdinand I. Historiker aus der Slowakei, Tschechien, Ungarn, Polen und Österreich zu einem dreitägigen Kongress ein, um die Verdienste des Bruders Karls V. für die Völker Mitteleuropas zu erörtern. Mitteleuropa – der Begriff ist den Slowaken schon fast lieber als die Namensbezeichnung ihres Landes. Die Slowaken sind zwar bisher weitgehend ohne eine spezifische eigene Geschichtsschreibung ausgekommen, verfügen aber über ein reiches Kulturerbe, das sie mit Stolz pflegen und in die EU einbringen wollen.

Dazu zählen auch die tiefe Religiosität und sicherlich auch die Kirchenschätze. An einem Sonntagmorgen stehen vor allem in den ländlichen Gebieten der Slowakei vor den überfüllten Gotteshäusern oft viele Gläubige, die sich mit einer Lautsprecherübertragung zufrieden geben müssen. Nicht wenige Kirchen in der Slowakei zählen zum UNESCO-Weltkulturerbe. Neben der Sprache war es vor allem der gemeinsame Glaube, der in den Jahrhunderten ohne eigene Staatlichkeit für die Slowaken Grundlage und geistiges Band der nationalen Identität war. Die Gläubigkeit der Slowaken ist ferner die wesentliche Basis einer noch immer dominierenden Wertorientierung in der Bevölkerung, deren zunehmende Bedeutungslosigkeit hingegen im westlichen Europa bitter beklagt wird. An oberster Stelle steht dabei die Rolle der Familie.

Sicherlich nicht ganz unberechtigt kritisieren daher slowakische Intellektuelle die Westeuropäer, weil sie sich immer noch nicht darüber verständigt hätten, was unter der europäischen Wertegemeinschaft letztlich zu verstehen sei. Wichtige Fragen in diesem Zusammenhang sollten daher im Rahmen der Verhandlungen für die zukünftige Verfassung Europas geklärt werden. Im Mittelpunkt steht für die Slowaken - zehn Jahre nach der Staatsgründung - dabei die Frage nach der Berücksichtigung der eigenen Identität und nach dem Verhältnis der Mitgliedsstaaten zur EU.

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Matthias Barner

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Leiter des Auslandsbüros Vereinigtes Königreich und Irland

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6. Mai 2003
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