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Venezuela an der Schwelle zur Diktatur?

von Michael Lingenthal
Steht Venezuela an der Schwelle zur Diktatur? Diese Frage wird von der Opposition positiv beantwortet, sollte das Referendum gegen Präsident Chávez nicht stattfinden. Die Opposition wirft der Revolution vor, mit „Tricks und Änderung der Spielregeln im laufenden Verfahren“ ihren Erfolg bei der Unterschriftenaktion vom 28.11. – 01.12.03 vernichten zu wollen. Präsident Chávez und seine Anhänger sehen dagegen den „Riesenbetrug“ (megafraude) auf Seiten der Opposition und setzten nicht nur diese, sondern auch alle Institutionen, besonders aber die Oberste Wahlbehörde unter Druck. Parallel verstärkt Präsident Chávez die Ankündigung seiner Sozialprogramme und führt seinen Dauerwahlkampf weiter. Die Abwertung des „Bolívar“ könnte der Privatwirtschaft einen weiteren Rückschlag bringen und die Inflation anheizen.

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Woche der Entscheidung – Machtkampf in der Wahlbehörde

Stichtag für die Feststellung der Obersten Wahlbehörde (C.N.E.), ob das Abberufungsreferendum gegen Präsident Chávez stattfindet oder nicht, ist der 13. Februar 2004. Doch bereits beim Gespräch des Bundestagsabgeordneten Peter Weiß (CDU/CSU-Fraktion) mit dem C.N.E.-Präsidenten am 5. Februar, räumte Präsident Carrasquero ein, dass eine Entscheidung frühestens Ende Februar ergeht. Carrasquero betonte, dass nicht die umstrittene technische Kommission der C.N.E. die Ablehnung von Unterschriften entscheidet, sondern letztlich das 5-köpfige C.N.E.-Direktorium.

Sollten genügend Unterschriften (Mindestnorm 2,5 Millionen, von der Opposition am 19. Dezember 2003 3,4 Millionen Unterschriften eingereicht) anerkannt werden, könnte das erste Referendum zur Entfernung eines Präsidenten Venezuelas aus dem Amt bis Ende Mai gestartet werden. Präsident Carrasquero versuchte, Objektivität, Transparenz und Gründlichkeit seiner Behörde zu vermitteln, um In- und Ausland zu beruhigen.

48 Stunden später jedoch brach der Konflikt innerhalb des C.N.E.-Direktoriums offen aus. Sobella Meías, einzige Frau im Direktorium, erklärte öffentlich, die Grundsätze und Normen nicht zu kennen, die ihr Direktoriumskollege,Jorge Rodriguez, verkündet hatte und die nach Meinung der Opposition eine Verschärfung der Bestimmungen im laufenden Verfahren, einseitig zu Lasten der Opposition, bedeuten würden.

C.N.E.-Vizepräsident Ezequiel Zamora, zog sich ebenfalls den Zorn des C.N.E.-Präsidenten zu, der Mejías und Zamora indirekt vorwarf, Schwierigkeiten und Verzögerungen zu produzieren.

Nicht genug der internen Auseinandersetzungen. Der Minister für Infrastruktur und Telekommunikation und enger Vertrauter von PräsidentChávez, Diosdado Caballo, erklärte öffentlich, dass –wenn notwendig- auch 2 Millionen Unterschriften aberkannt würden, damit kein Referendum gegen Chávez zu Stande kommt. Und Informationsminister Jesse Chacón fügte noch ein Verschärfung an, es werde kein Referendum geben.

Diese Mitteilungen, die von der Opposition als „Weisungen“ der Revolution an ihre Direktoriumsmitglieder und Angestellten in der C.N.E. verstanden werden, provozierten eine erregte Pressekonferenz von C.N.E. Vizepräsident Zamora. Er verlangte von der Regierung die Respektierung der Unabhängigkeit der Wahlbehörde, die ja schließlich nach Chávez‘ Willen mit der Verfassung von 1999 eine der fünf unabhängigen Gewalten Venezuelas sei.

Außerdem beklagte Zamora seine Überwachung von DISIP (politische Geheimpolizei) und DIM (Militärischer Geheimdienst) sowie die Überwachung seiner Kommunikation. „Ich werde ja verfolgt, interveniert und wir haben keine Angst. Weder bin ich Verbrecher, noch akzeptiere ich diese Behandlung, jeder Druck stärkt mich in meiner Position, die ich in der Führung dieser Organisation (C.N.E. d.Verf.) eingenommen habe“, so Zamora wörtlich. Er wird seine Klagen gegenüber OAS und Carter-Zentrum vorbringen.

Nicht genug der verbalen gegenseitigen Attacken. Der AD-Abgeordnete Edgard Zamora und C.N.E.-Mitglied Mejías beschuldigen den General der „Guardia Nacional“ (Berufsheer, in seinen Aufgaben dem BGS vergleichbar), Marcos Rojas Figueroa, am vergangenen Sonntag zugelassen haben, dass beide von Angehörigen der G.N. bei Präsenz des Generals verprügelt wurden. General Rojas dementierte entschieden. Er kenne die beiden Kläger nicht, argumentierte er. Und im Internet der Revolutionsanhänger wurde verbreitet, dass Diputado Zamora seine „blauen Flecken“ erst am Montag aufgetragen habe. Am Sonntag sei nichts zu sehen gewesen, als Zamora sich zum ersten Mal erklärte.

Opposition drängt auf Einhaltung des Zeitplanes zum Referendum

Die Opposition ist nicht länger bereit, Verzögerungen im von der C.N.E. selbst festgelegten Zeitplan hinzunehmen. Sie will unbedingt am 13. Februar die Entscheidung der C.N.E. haben. Man befürchtet noch weitere Zeitverzögerungen und damit, dass man ab Mitte August, selbst bei erfolgreichem Referendum, um den politischen Erfolg gebracht wird. Ab dem 19. August führt der Vizepräsident in jedem Fall die Amtsperiode bis Anfang 2007 zu Ende. Egal, aus welchem Grund der amtierende Präsident aus dem Amt scheidet.

Die Opposition solidarisiert sich mit Zamora und Mejías und plant Massenkundgebungen vor dem Sitz der C.N.E. zur Einhaltung des Zeitplanes. Mehr noch aber beschäftigt sie sich mit sich selbst. In der Frage eines einzigen Oppositionskandidaten, der bei erfolgter Abwahl von Präsident Chávez dann vier Wochen später beim Kampf um den Einzug nach „Miraflores“ (Amtssitz des Präsidenten) antreten müsste, ist keine klare Linie in Sicht. „Vorwahlen“ (primarias) will man realisieren.

Doch fast alle wichtigen Einzelfragen sind ungeklärt. Die Meinungen stehen sich diametral gegenüber. Termin vor oder nach dem Referendum, Stichwahl oder nicht, einheitliches Programm für das Land oder Wettbewerb vieler Oppositionsvorschläge, Abstimmungsberechtigt alle Wahlberechtigten Venezuelas (was Chávez die Gelegenheit bieten würde über den Oppositionskandidaten mitzubestimmen) oder nur die, die bei den Unterschriftenaktionen der Opposition sich zu ihr bekannt hatten, das alles ist noch nicht geklärt. Schon die Benennung eines politischen Führungsgremiums für die entscheidende Kampagne vor dem Referendum, zieht sich seit drei Wochen hin. Während dieser Zeit „punktet“ Chávez, setzt die Opposition unter Druck und verstärkt seine Versprechen.

Militante Regierungsanhänger formieren sich in neuer Partei

Vor allem aber sammelt er seine Kräfte und organisiert sie neu.Lina Ron, Anführerin militanter Unterstützungsgruppen für Chávezund mehrfach mit ihren Gruppen an Gewaltaktionen gegen friedliche Oppositionsdemos beteiligt, gründet eine eigene Partei, „Unión Popular Venezolana“ (UPV) und steigt in das „Comando Ayacucho“ auf. Dieses Kommando ist die Führungszelle der „Bolivarianischen Revolution“ für die anstehenden Referenden.

Über ihren Kurs lässt Lina Ron keinen Zweifel. Wenn festgestellt würde, dass die Unterschriften zählen, auch wenn sie selbst weiß, dass dem nicht so ist, wird sie das nicht akzeptieren. Sie prophezeit Gewaltanwendung, wenn es zum Referendum kommen sollte. Außerdem unterstreicht sie, dass sie das Image der „Radikalen, der Harten, der Gewaltbereiten und der Kriegsbereiten“ weiterverfolgen wird. Wie hatte Präsident sinngemäß über sie schon vor Jahresfrist geurteilt: „legitime Verteidigung der Revolution“.

Fortdauer des unsäglichen Machtkampfes in der Opposition

Angesichts dieser Szenarien ist die interne Auseinandersetzung der Opposition unverständlich. Vorwahlen zu organisieren, würde enorme Kraft und Finanzen erfordern und den internen Kräfteverschleiß fördern. Es bliebe zu wenig Zeit und Kraft für die eigentliche Auseinandersetzung mit Präsident Chávez und seiner „Bolivarianischen Revolution“. „Über den internen Machtkampf in der Opposition, hat sie die entscheidenden politischen Felder aus dem Aktionskreis verloren“ urteilt ein Analyst.

Und in der Tat. Wenn es zu einem Wechsel kommen sollte, haben Militär, Oberstes Gericht (TSJ) und Oberste Wahlbehörde (C.N.E.) eine herausragende Verantwortung und Bedeutung. Wie aber sollen diese Institutionen Vertrauen in einen möglichen Wechsel gewinnen, wenn sich die Opposition nicht als geeinte Gegenkraft zeigt? Wird dann am Ende Anpassung an die Revolution der Vorzug gegeben, bestenfalls „Armekreuzen“ und Schweigen?

Angesichts der internen personellen Machtkämpfe wird völlig aus den Augen verloren, dass die „Coordinadora Democrática“ Fortschritte in der konzeptionellen, kurz- und mittelfristigen Programmentwicklung gemacht hat. Doch wer will etwas vom „Plan Consenso País“ (Konsensentwurf für das Land) wissen, wenn Sachpolitik ins Hintertreffen gerät?

Präsident Chávez erhöht den politischen Druck auf seine Gegner

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Der Druck von Präsident Chávez wächst. Er hat General Acosta, von der Presse hier „General Rülps“ genannt, weil er während des Generalausstandes zur Jahreswende 2002/2003 Getränkelager der Privatwirtschaft konfiszierte, Flaschen öffnete und sie laut rülpsend leerte, als „neuen“ Kandidaten für die Gouverneurswahlen im Bundesstaat Carabobo benannt. Sein bisheriger „Kronprinz“ Oteisa wird für die Revolution noch anderweitig gebraucht.

General Acosta dankte für die Nominierung und stellte im Staatsfernsehen klar, dass er nicht „Kandidat“ sei, sondern „Gobernador del hecho“ (Gouverneur de facto). Sein Verfassungsverständnis wurde deutlich, als er in „Aló Presidente“ am Sonntag verkündigte „Ich bin nicht der nächste Gouverneur von Carabobo, ich möchte ganz Venezuela sagen, dass ich der Gouverneur von Carabobo de facto bin, Herr Präsident“.

In dieser Sendung hatte Präsident Chávez zudem SUMATE (Organisation zur Verifizierung der Oppositionsunterschriften sowie zur organisatorischen Wahlunterstützung für die „Coordinadora Democrática“) und die „nationale Versammlung der Erzieher“ denunziert, weil diese Nichtregierungsorganisationen Fördermittel der USA erhalten hätten. Nicht bekannt gemacht hatte er die Abwertung des „Bolívar“ gegenüber dem US-$ von der Parität 1:1.600 zu 1:1.920.

Die Abwertung wird einen weiteren Inflationsschub bringen, erwarten Wirtschaftsexperten. Anders aber scheint die Regierung ihrer immens gestiegenen Inlandsverschuldung (in den 5 Jahren der Regierung Chávez Steigerung um rund 1.000%) und ihrem Schuldendienst im nationalen Haushalt von inzwischen 57% nicht Herr werden zu können. Analysten befürchten, dass die Politik der „stillen Enteignung“ sowie der „Vernichtung der Privatwirtschaft“ mit subtilen Mitteln fortgesetzt wird, um Privatwirtschaft durch Staatswirtschaft ersetzen zu können.

Präsident Chávez sieht eine von den USA geführte Destabilisierungskampagne gegen sich. Aber er muss sich auch fragen lassen, wer im In- und Ausland seine Befürworter sind. „Man sieht bei uns mit Aufmerksamkeit, dass Präsident Chávez dem Castro-Regime in Kuba bescheinigt, keine Diktatur zu sein, und dass in Deutschland PDS und Sarah Wagenknecht zu den Verbündeten von Präsident Chávez zählen“, erklärte Bundestagsabgeordneter Klaus-Jürgen Hedrich von der CDU/CSU-Fraktion in einem offenen Meinungsaustausch mit MVR-Angehörigen.

Wochen der Entscheidung zwischen Demokratie und Diktatur

Dies alles wertet der Rektor der katholischen Universität „Andrés Bello“, Jesuitenpater Luís Ugalde, in seinem Zeitungsartikel „Venezuela – was steht auf dem Spiel?“ mit einem einzigen Wort: „Alles“. Weiter führt er aus, dass die Opposition aufhören sollte, sich an Meinungsumfragen zu orientieren. Stattdessen sei endlich konsequente Sachpolitik notwendig. Ugalde warnt mit der geschichtlichen Erfahrung, dass viele Diktaturen sich durch demokratische Abstimmungen und systematischem Betrug an die Macht gebracht hatten und ihr ideologisches Konzept festigten. Rektor Ugalde: „Entweder verteidigen wir das demokratische System, oder es wird uns ein diktatorisches verpasst“.

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9. Februar 2004
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