„Alterung und Schrumpfung unserer Gesellschaft zählen zu den wichtigsten Transformationsprozessen, die wir meistern müssen“, sagte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), Dr. Hans-Gert Pöttering MdEP, in seiner Eröffnungsrede. Im Rahmen der diesjährigen Rechtspolitischen Konferenz wolle die KAS daher auch an die Verpflichtung von Regierenden, Gesetzgebern und anderen Entscheidungsträgern gegenüber der jüngeren Generation erinnern. Dabei verwies der KAS-Vorsitzende und Präsident des Europäischen Parlaments a.D. auf „Perspektiven der Jugend“, das als Leitmotiv für die Stiftungsarbeit 2013 die Bedürfnisse, Reche und Interessen der Jungen stärker in den Blickpunkt der öffentlichen Debatte rücken soll.
Mittlerweile gebe es zwar zahlreiche Demographieinitiativen und –projekte, Enquetekommissionen und Studien zu den demographischen Folgen. Größere Aufmerksamkeit verdienten allerdings noch juristische Fragestellungen, so Pöttering. „Welche Rolle spielen verfassungsrechtliche Vorgaben, wenn wir über Generationengerechtigkeit diskutieren?“, gab der KAS-Vorsitzende zu bedenken. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an Bedenken des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, der anlässlich des 60jährigen Jubiläums des Karlsruher Gerichts gemahnte hatte, die demographische Entwicklung habe schwer absehbare Konsequenzen für die sozialen Sicherungssysteme und führe zu regionalen Verschiebungen, die das verfassungsrechtliche Versprechen der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ zunehmend in Frage stellten.
„Generationenvertrag“ – ein problematischer Begriff
Vizepräsident Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof sagte auf der Rechtspolitischen Konferenz, ihm bereite die Suche nach einer ‚Generalformel’ Sorge, die vermeintlich alle demographischen Probleme lösen könne. Da sei zum einen der problematische Begriff des ‚Generationenvertrags’, der Gerechtigkeit und Akzeptanz schaffen solle. Dieser Idee lege zwar ein gutes Ziel zugrunde, aber die praktische Umsetzung sei schwierig. „Denn der Generationenvertrag regelt nicht das Verhältnis von zwei Generationen, deren jeweilige Leistung heute erbracht wird“. Sein Eindruck sei, so Kirchhof, dass der Generationenvertrag in der aktuellen Debatte in erster Linie bemüht werde, um Rechte der Älteren herzuleiten, ohne dass berechtigte Ansprüche der Jüngeren, etwa zur Bildungspolitik, gebührend berücksichtigt würden. Dadurch entstünde eine fragwürdige Schräglage.
Grundsätzlich sei eine geschrumpfte Bevölkerung kein Unglück an sich, fuhr Kirchhof fort. Probleme bereite aber die Übergangphase von 80 auf 60 Millionen Menschen, in der sich die Schere zwischen erwerbstätiger und zu versorgender Bevölkerung öffne. Während dieses Transformationsprozesses müsse eine wirtschaftlich verkraftbare und demokratisch ausgewogene Balance zwischen dem Bedürfnis der älteren Generation nach Absicherung und den Erwartungen der jüngeren Generation an Lebenschancen gefunden werden. Zugespitzt formuliert könne man fragen: „Ist es gerecht, wenn die Jüngeren die Älteren füttern?“ Der Schrumpfungsprozess biete aber auch Chancen, etwa wenn man an den Umweltschutz und geringeren Landschaftsverbrauch, an die Perspektive der Vollbeschäftigung sowie an neue Entwicklungen zur Erhaltung von Gesundheit und Fitness denke, betonte Kirchhof.
Kritisch sieht der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts die öffentliche Meinung zu kinderlosen Paaren. Es bestehe der Eindruck, als seien sie oft dem Vorwurf ausgesetzt, ihrer Verantwortung für das Gemeinwesen nicht nachzukommen. „Der Sozialstaat muss zwar einen familienbegünstigenden Rahmen schaffen, aber eine gezielte Einmischung in die persönliche Lebensplanung ist ihm untersagt", mahnte Kirchhof. Nach Art. 6 GG seien Ehe und Familie zwar besonders schützenswert. Aber dieser Schutz gelte für „bestehende“ und nicht für „zu bildende“ Ehen und Familien. In der gegenwärtigen politischen Diskussion habe es zuweilen den Anschein, als drohten diese klaren verfassungsrechtlichen Vorgaben unterzugehen.
Mögliche Auswirkungen
Die demographische Entwicklung Deutschlands werde weitreichende Auswirkungen auf staatliche und gesellschaftliche Strukturen haben, prophezeite Kirchhof. „Die Kommunen werden als Leistungsträger der Daseinsvorsorge und der Infrastruktur an Einfluss gewinnen, denn sie müssen die Probleme vor Ort lösen.“ Gleichzeitig werde eine verstärkte Landflucht einsetzen, um die besserer Versorgung in den Ballungsgebieten zu nutzen. Der Flug- und Bahnverkehr sowie der öffentliche Nahverkehr werde schrumpfen , während der private Autoverkehr zunehmen werde, sagte Kirchhof mit Hinweis auf die Prognosen von Fachleuten für Infrastruktur voraus.
Was die Sorge um überlastete Sozialkassen angeht, mahnt der Jurist zur Differenzierung. Die seit den 50er Jahren vorherrschende umlagefinanzierte Rente stellt sich heute zwar als großer Fehler heraus, denn sie funktioniere nur mit einer wachsenden Bevölkerung. Arbeits- und Unfallversicherung würden bei Vollbeschäftigung hingegen günstiger werden. Unterschiedliche Einschätzungen, so Kirchhof, äußerten Fachleute zu den künftigen Belastungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Der erhöhte Bedarf an medizinischem Personal und der medizinische Fortschritt verursachten zweifellos zusätzliche Kosten. Wenn aber zuträfe, dass unabhängig von der zunehmenden Alterung die letzten zwei Lebensjahre besonders kostenintensiv seien, dann seien ähnliche Ausschläge wie in der Rentenversicherung wohl eher nicht zu erwarten.
Aufgaben für die Politik
Handlungsbedarf sieht der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts beim Arbeitsrecht. Denn im Wirtschafts- und Arbeitsleben werde es bei der Erwerbsbiografie und beim Rentenalter Veränderungen geben. „Wir werden nicht mehr den klassischen Dreiklang von Ausbildung, Arbeit und Rente haben, sondern zunehmend Mischformen im Übergang“, sagte Kirchhof. Dafür brauche es ein neues Arbeitsrecht mit flexiblen Verträgen und Arbeitsvolumina. „Die Arbeitsleistung wird künftig viel stärker vom Arbeitsnehmer bestimmt“, sagte der Vizepräsident des Verfassungsgerichts mit Blick auf die längere Einbindung Älterer ins Berufsleben. Der Geburtenrückgang werde außerdem dazu führen, dass Minderqualifizierte eher eine Beschäftigung bekommen. Es sei zu erwarten, dass sich das Thema Hart IV „erheblich entspannen werde“.
Abschließend verwies Kirchhof darauf, dass für die Politik und damit auch für künftige Wahlen das wachsende Sicherheitsbedürfnis einer älter werdenden Bevölkerung eine maßgebliche Rolle spielen dürfte. Dabei gehe es nicht nur um den Schutz vor Kriminalität und Gewalt, sondern auch um Bedürfnisse Älterer nach finanzieller Absicherung sowie nach Sicherstellung medizinischer Versorgung und der Bereitstellung von Leistungen bei eingeschränkter Mobilität. In einer alternden Bevölkerung würden sich zunehmend auch alternative Formen des Zusammenlebens herausbilden und neue Formen des betreuten und organisierten Wohnens notwendig machen. „Die Politik wäre gut beraten, ihr Augenmerk auf diese Themen zu richten."
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