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Veranstaltungsberichte

Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Ende des Kalten Krieges

Von der Landesverteidigung zur Interventionsarmee?

Da die archivarischen Quellen für die Zeit seit 1990 in aller Regel noch nicht freigegeben sind, steht der Historiker der jüngsten Militärgeschichte vor besonderen rechtlichen und methodischen Herausforderungen. Ein Ziel des Workshops, den das ACDP in Kooperation mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) vom 17.-18. Oktober 2017 in Berlin durchführte war es, Möglichkeiten eines interdisziplinären Zugangs zur jüngsten Militärgeschichte auszuloten und einen Dialog zwischen Historikern, Politologen und Sozialwissenschaftlern in Gang zu setzen.

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Am Tag der deutschen Einheit 1990 richtete Bundeskanzler Helmut Kohl eine bemerkenswerte Botschaft an die Regierungen der Welt. Die Wiedererlangung der vollen Souveränität bedeute für die Bundesrepublik die Übernahme neuer Aufgaben auf den Gebieten der Außen- und Sicherheitspolitik: „Wir wissen, dass wir mit der Vereinigung auch größere Verantwortung in der Völkergemeinschaft insgesamt übernehmen. Unsere Außenpolitik bleibt deshalb ausgerichtet auf weltweite Partnerschaft, enge Zusammenarbeit und friedlichen Interessenausgleich.“ An diese Positionsbestimmung und Weichenstellung Kohls erinnerte Dr. Michael Borchard, stellvertretender Hauptabteilungsleiter Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad Adenauer-Stiftung zum Auftakt eines militärhistorischen Workshops zur „Deutschen Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Ende des Kalten Krieges“, den die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) am 17./18. Oktober 2017 in Berlin durchführte. Zugleich betonte Borchard, dass der Blick auf die Zukunft der Bundeswehr und ihre Auslandseinsätze deutlich von einer Defizitperspektive geprägt sei, während der historische Blick zeige, dass Deutschland einen Paradigmenwechsel und die Bundeswehr einen bemerkenswerten und nicht einfachen Wandel vollzogen habe. Auch das gehöre im Sinne eines „robusten Dialoges“ zur Wahrheit. Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann, der Kommandeur des ZMSBw, stellte in seinem Impulsvortrag die Veranstaltung in den Kontext der aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Debatten und verwies auf das zunehmende Bedrohungsgefühl der Deutschen angesichts terroristischer Anschläge und neuer weltpolitischer Bedrohungslagen. Die Deutschen, so Hillmann, müssten lernen, die Bundeswehr „mehr als Mittel der Außenpolitik zu verstehen“. Die essenzielle Aufgabe der Militärgeschichte in diesem Kontext sei es, den Prozess des „Wandels der Außen- und Sicherheitspolitik seit den 1990er Jahren“ aufzuarbeiten.

Da die archivarischen Quellen für die Zeit seit 1990 jedoch in aller Regel noch nicht freigegeben sind, steht der Historiker der jüngsten Militärgeschichte vor besonderen rechtlichen und methodischen Herausforderungen. Ein Ziel des Workshops war es deshalb, Möglichkeiten eines interdisziplinären Zugangs auszuloten und einen Dialog zwischen Historikern, Politologen und Sozialwissenschaftlern in Gang zu setzen. Daneben diskutierten die Teilnehmer Möglichkeiten des Quellenzugangs vor dem Ablauf der 30-jährigen Archivsperrfristen. Dr. Ineke Deserno (NATO-Archives Brüssel), Dr. Andreas Kunz (Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg i.Br.) sowie Michael Hansmann M.A. (Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.) informierten über die Zugangsmöglichkeiten zu ihren Archiven und den Stand der jeweiligen Überlieferungsbildung.

Ein wiederkehrendes Thema im Laufe der Tagung war die Feststellung, dass die Beschäftigung mit militärhistorischen Themen in besonderem Maße Kenntnisse der Organisationsstrukturen der Bundeswehr und ihrer Streitkräfte sowie der militärischen Fachtermini und Abläufe erfordert. Angesichts der zahlreichen inneren Reformen der Bundeswehr in den letzten 25 Jahren lassen sich diese für Nicht-Militärangehörige nicht immer einfach nachvollziehen. In den Referaten wurde deutlich, dass der Wandel der außen- und sicherheitspolitischen Koordinaten seit dem Ende des Kalten Krieges das gesellschaftliche Subsystem „Bundeswehr“ einem erhöhten Anpassungsdruck ausgesetzt hat. Stichworte hierzu sind neben der Integration von Soldaten der ehemaligen NVA in die Bundeswehr die Entwicklung der deutschen Streitkräfte von der Verteidigungs- zur Einsatzarmee, die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht 2011 sowie zunehmende Ökonomisierung, technischer Wandel und die Digitalisierung.

Der Stellenwert der innenpolitische Motive, die seit 1990 die Debatten um Auslandseinsätze der Bundeswehr bestimmten, wurde von mehreren Referenten hervorgehoben. Umstritten war dabei die Frage, ob die Wiedervereinigung tatsächlich eine tiefe Zäsur bedeutete, oder ob die Debatten um die Rolle der Streitkräfte für die Außen und Sicherheitspolitik nicht eher in den Kontext längerfristiger Kontinuitätslinien einzuordnen ist. In diesem Sinne argumentierte etwa Marc Chaouali (Universität Marburg). Die Auswertung publizistischer Quellen zeige deutlich, dass bereits in der Debatte um eine Beteiligung der Bundeswehr an friedenserhaltenden Maßnahmen im Rahmen des UN-Beitrittes der Bundesrepublik 1973 die gleichen Argumente die öffentlichen Debatten bestimmten, wie dies nach 1990 der Fall war. Insbesondere der Rekurs auf die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs sowie die Betonung der moralischen Verantwortung Deutschlands angesichts der NS-Vergangenheit sind bis heute substanzielle Elemente des politischen Diskurses. Unter Verweis darauf, dass „Auschwitz“ sich nie wieder ereignen dürfe, hat etwa auch die rot-grüne Bundesregierung 1999 den ersten Kampfeinsatz deutscher Streitkräfte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Kosovo befürwortet.

Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive heraus trug Dr. Ina Kraft (ZMSBw Potsdam) zu einer Ausdifferenzierung dieser These bei. Kraft unterstrich ebenfalls Kontinuitätslinien in den politischen Debatten um Auslandseinsätze der Bundeswehr, sie beobachtete dabei jedoch eine allmähliche Entwicklung von einem rein normorientierten Diskurs (Regierung Helmut Kohl) zu sowohl norm- als auch interessengeleiteten Motiven (Regierung Angela Merkel). Bereits in der Phase der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder sei ein Wandel der Argumentationsmuster zu beobachten.

Major Peter Kriemann (ZMSBw) betonte ebenfalls die Bedeutung innenpolitischer Motive für die Beschlüsse zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr in den 1990er Jahren. Nicht die Forderungen der transatlantischen Bündnispartner seien handlungsleitend für Parlament und Regierung gewesen. Diese hätten in erster Linie nur eine Legitimationsbasis, die Deutschland eine Beteiligung an den internationalen Einsätzen in Bosnien und im Kosovo ermöglichte, geboten.

Für die Zukunft steht zu erwarten, dass der Zugang zu neueren Quellen Möglichkeiten eröffnet, die der militärhistorischen Forschung zur jüngsten Zeitgeschichte eine größere Tiefenschärfe ermöglicht und damit zu einer Ausdifferenzierung der wissenschaftlichen Debatte beiträgt. Themen, wie z.B. der Prozess der Vereinigung von Bundeswehr und Nationaler Volksarmee in den 1990er Jahren, lassen sich beim jetzigen Verzeichnungsstand und angesichts der Sperrfristen für die Freigabe für Archivgut nur eingeschränkt bearbeiten (Major Dr. Jochen Maurer, ZMSBw).

Letztlich sind die politischen Entscheidungsträger angehalten, die Bedingungen zu schaffen, die eine zeitnahe quellengesättigte Beschäftigung der Militärgeschichte mit Aspekten der jüngsten Zeitgeschichte ermöglicht. Dies ist umso wichtiger, da Politiker die Rahmenbedingungen für die Arbeit des Militärs vorgeben und dazu aufgefordert sind, angesichts ihrer Verantwortung für Wohl und Leben der einzelnen Soldaten ihre Entscheidungen sehr gründlich und ernsthaft zu reflektieren. Insofern sind Politik und Wissenschaft im Themenfeld „Militärgeschichte“ in besonderem Maße auf gegenseitige Beachtung und Gedankenaustauch angewiesen.

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