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Country Reports

Vor einem Machtwechsel?

by Dr. habil. Klaus Paehler
"Im Jahre 2000 ist Indonesien ein Industrieland" (Weltbank, Anfang der 90er Jahre)"Seit der Unabhängigkeit 1945 war Indonesien noch nie in so großen Schwierigkeiten" (Vizepräsidentin Megawati, Anfang 2001)

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Indonesien ist ein Land der Superlative am Rande des Abgrunds - es hat große strategische Bedeutung und ein erhebliches wirtschaftliches Potential. Seine Stabilität und Prosperität liegen damit auch im politischen und wirtschaftlichen Interesse Deutschlands und Europas. Trotzdem ist es außerhalb der Fachkreise weitgehend eine unbekannte Größe, erscheint seine oft mit einem javanischen Schattenspiel verglichene Politik westlicher Analyse meist nur begrenzt verständlich.

Mit über 200 Millionen Einwohnern in Hunderten von Ethnien ist es der viertvolkreichste Staat und nach dem Sturz Soehartos nach Indien und den USA auch die drittvolkreichste Demokratie. Etwa 80% der Indonesier sind Moslems, damit ist es das größte islamische Land. Sein Staatsgebiet hat eine Landfläche von 1,9 Mio. qkm, verteilt auf 17.000 Inseln. Einschließlich seiner Hoheitsgewässer und Wirtschaftszonen beansprucht es ein Gebiet von 7,9 Mio. qkm und ist somit praktisch ein maritimer Kontinent. (Zum Vergleich: Australien 7,7 Mio. qkm, USA 9,6 Mio. qkm.)

Es verfügt über reichliche und wertvolle natürliche Ressourcen von Erdöl und -gas, über Zinn, Kupfer, Nickel und Gold bis hin zu Nutzholz und landwirtschaftlichen Produkten aller Art. Und es liegt an einer geostrategisch außerordentlich wichtigen Stelle zwischen dem asiatischen Festland und Australien: Es grenzt den Indischen Ozean vom Pazifischen Ozean ab und beherrscht somit wichtige Seewege, zusammen mit Malaysia zum Beispiel die Straße von Malakka, mit etwa 600 Schiffen pro Tag eine der meistbefahrenen Seestraßen der Welt.

So groß wie die Bedeutung des Landes sind aber auch seine Probleme. Sein durch die asiatische Wirtschaftskrise ausgelöster Zusammenbruch ist der schnellste und größte wirtschaftliche Niedergang der bekannten Geschichte. Etwa 100 Mio. der über 200 Mio. Indonesier leben von weniger als zwei US-Dollar pro Tag, 50 Mio. unter der Armutsgrenze, 40 Mio. sind nach offiziellen Angaben arbeitslos.

Die Währung des Landes, die Rupiah, ist allein seit Anfang 2000 von ca. 7500 pro US $ auf Werte zwischen 11000 und 12000 pro US $ gesunken. Zusammen mit steigenden Zinsen entsteht dadurch das Risiko, dass das gegenwärtige Haushaltsdefizit auf 8 Mrd. US $ oder gefährliche 6% des Bruttoinlandsproduktes steigt, anstatt wie geplant auf 5,8 Mrd. oder 3,7 %. Die Grundannahmen des Budgets müssen revidiert werden, um den IMF zur Zahlung der bisher verzögerten nächsten Tranche von 400 Mio. US $ zu bewegen: Der erwartete Wechselkurs zum Dollar ist jetzt 9600 statt 7200, die Inflationsrate 9,3 statt 7,2, die Wachstumsrate 3,5 statt 5, der Zinssatz (SBI der Bank of Indonesia) 16,26 statt 11,5%. All dies treibt Indonesien an den Rand des Staatsbankrotts: Wie sollen zu solchen Wechselkursen und Zinssätzen Schulden bedient werden? Umstritten bleibt jedoch, ob die dem Land vom IMF verordnete Politik des knappen Geldes in dieser Situation wirklich die richtige Therapie ist.

Auch die geläufigen Indizes diagnostizieren Indonesiens Schwachpunkte in aller Deutlichkeit. Der "Corruption Perception Index" von "Transparency International" stuft es als eines der korruptesten Länder der Welt zusammen mit Azerbaijan auf Platz 96 ein. Nur Nigeria und Kamerun sind noch schlechter (Plätze 98 und 99). Zum Vergleich: Russland Platz 82, China 58, Italien 38, Malaysia 32, Deutschland 14.

Als "mostly unfree", Platz 110 von 161, stuft der "Index of Economic Freedom" von "Heritage Foundation" und "Wall Street Journal" Indonesien ein, noch nach China, Pakistan, Algerien, aber vor der Ukraine, Albanien, Indien, Libyen, Irak und Nordkorea. Besonders die Handelspolitik mit Importhemmnissen, die Geldpolitik, die Regulierungen des Bankensektors sowie die durchgängige Korruption der Behörden und ein riesiger Schwarzmarkt für Arbeitskräfte (einschließlich Kindern) haben zu dieser Einstufung geführt.

Im "Human Development Index" 2000 von UNDP findet sich Indonesien auf Platz 109, in der Gesellschaft von Usbekistan, Algerien, Vietnam, Tadschikistan, Syrien, etc. Malaysia liegt auf Platz 61, mit Russland, Lettland, Bulgarien und Panama. Die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt betrug 1998 65,6 Jahre. Im ethnisch, klimatisch, kulturell (Ernährungsgewohnheiten) etc. sehr ähnlichen Nachbarland Malaysia betrug sie 72,2 Jahre. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betrug 1998 US$ 2.651, in Malaysia US$ 8.137 (Kaufkraftparität). Die Luftverschmutzung Jakartas ist im Weltmaßstab kaum mehr zu überbieten.

Mit der Erziehung steht es nicht besser: Indonesiens Universitäten erscheinen im Ranking von "Asia Week" für asiatische Universitäten erst auf Platz 61 von 77 bewerteten, unter den technischen Hochschulen und Universitäten erscheint es immerhin schon auf Platz 21 von 39. Die beste malaysische Universität liegt immerhin auf Platz 47. Ein internationaler Vergleich des Ausbildungsstandes von Schülern in Mathematik und Naturwissenschaften sah kürzlich die jungen Indonesier ebenfalls ganz hinten. Humankapital ist aber für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes besonders wichtig, mit billigen Arbeitskräften und Rohstoffen allein ist nachhaltige Entwicklung unmöglich.

Der wichtigste Einzelfaktor zur Erklärung der gegenwärtigen Situation des Landes ist die bisherige politische und wirtschaftliche Ordnung ("Autoritarismus" und "Günstlingskapitalismus"). Die alte Ordnung hatte aber immerhin innere und äußere Stabilität garantiert und das Land für Investoren berechenbar und damit attraktiv gemacht. Diese Ordnung ist ersatzlos zusammengebrochen. Indonesien ist bemüht, sie durch eine adäquatere zu ersetzen und befindet sich dementsprechend in einem voraussichtlich langwierigen und mühsamen Transformationsprozess, in dem es aber an politischer "Leadership" fehlt.

"Würde einer von Ihnen bitte das Land regieren?" fragte denn auch der angesehene ECONOMIST kürzlich auf seinem Titelblatt, und zeigte ein Foto des indonesischen Präsidenten Abdurrahman "Gus Dur" Wahid und seiner Stellvertreterin Megawati Sukarnoputri. Yusuf Wanandi, ein angesehener politischer Kommentator, sprach davon, das Land habe auf "Autopilot" umgeschaltet. Ob fliegender Holländer, Titanic, schwerfälliger Öltanker oder welche Metapher man auch immer für diesen maritimen Kontinent bevorzugt, in der Tat scheint das indonesische Staatsschiff weitgehend steuerlos vor sich hin zu treiben. Die Regierung regiert nicht mehr, das Volk folgt nicht mehr (den Gesetzen), die Wirtschaft erwirtschaftet nichts mehr, die Gerichte richten nichts mehr aus und die Bürokratie vervollkommnet die Kunst, das Mögliche unmöglich zu machen. Natürlich stimmt dies nicht in allen Fällen immer, aber in zu vielen Fällen zu oft. Immerhin opponiert die Opposition noch, und zwar kräftig.

Der Präsident gerät in der öffentlichen Meinung immer mehr unter Druck, seine vorzeitige Ablösung rückt immer mehr in den Bereich des Wahrscheinlichen. Der Anteil seiner Fehleinschätzungen nimmt zu, Erfolge bleiben aus.

Den Vorwurf der Korruption musste sich der Präsident ja auch selbst gefallen lassen. Das Parlament rügte ihn zum erstenmal im Februar wegen seiner unbefriedigenden Amtsführung und seiner mutmaßlichen Verwicklung in die Skandale "Bulogate" und "Bruneigate". Wie schon früher berichtet, handelt es sich bei "Bulogate" um den geradezu märchenhaft anmutenden Fall, dass der Masseur (!) des Präsidenten unter mündlicher Berufung auf seinen Chef etwa 3 Mio. US $ aus einem staatlichen Pensionsfonds abgehoben hat und untergetaucht ist.

Im Fall "Bruneigate" hatte der Präsident vom Sultan von Brunei etwa 2 Mio. US $ erhalten, die ihrem Bestimmungszweck - humanitärer Hilfe für die Krisenprovinz Aceh - nur teilweise zugeflossen, teilweise aber verschwunden sind. Der Präsident hatte zwei Monate Zeit, auf die Rüge zu reagieren und besonders auch seine Regierungsleistung und seinen Führungsstil zu verbessern. Seine Antwort an das Parlament wurde von diesem als sachlich unbefriedigend und noch dazu im Stil düpierend empfunden. Ein tiefer, kaum zu schlichtender Konflikt zwischen diesen beiden Verfassungsorganen ist die Folge.

Wie allgemein erwartet, rügte das Parlament folglich in seiner Sitzung am 30. April den indonesischen Präsidenten Abdurrahman "Gus Dur" Wahid zum zweiten Mal, wodurch ein Machtwechsel in Indonesien wahrscheinlicher wird. Diesmal hat er nur noch einen Monat Zeit, die Skandale aufzuklären und vor allem seine Regierungsleistung zu verbessern, danach kann eine Sondersitzung der Beratenden Volksversammlung einberufen werden, die mit seiner Amtsenthebung etwa im Sommer enden könnte. Dies könnte eine weitere, krisenhafte Phase in der Entwicklung Indonesiens einleiten, denn nach den landesweiten Bombenanschlägen auf Kirchen zu Weihnachten und den Massakern an den 500 Maduresern spitzte sich die politische Lage schon im Vorfeld dieser jüngsten Parlamentsentscheidung wieder einmal kritisch zu.

Zu sichtbaren Spannungen zwischen dem Präsidenten und seinem Koordinierungsminister für Sicherheit war es in den kritischen Tagen vor der Abstimmung gekommen. Der Präsident hatte geäußert, sollte er wiederum gerügt werden, käme es zu einer "Rebellion", sollte er sogar zum Rücktritt gezwungen werden, würden mehrere Provinzen ihre Unabhängigkeit erklären (dies wäre das Ende Indonesiens).

Etwa 400.000 seiner Anhänger seien vor allem aus seiner politischen Hochburg in Ostjava mit 5000 Bussen und zahllosen Zügen auf dem Weg in die Hauptstadt, um ihn zu verteidigen. Etwa 50.000 von ihnen hatten sich schriftlich bereit erklärt, für ihn zu sterben, hieß es. Sie bereiteten sich in Lagern in geheimen Künsten (u.a. glauben sie, sich unsichtbar und unverwundbar machen zu können) auf die Erstürmung des Parlamentes vor. Im Fernsehen wurde ihre "Unverwundbarkeit" dadurch illustriert, dass sie sich offenbar ohne Schaden zu nehmen von Kleinlastwagen überfahren ließen.

Einige Theologen sahen die Verteidigung des Präsidenten als "heiligen Krieg" und stellten den Gefallenen die unmittelbare Einkehr ins Paradies in Aussicht. "Djihad" und "Bughot" sind die Kriterien, die den Freiwilligen die sofortige Aufnahme in den Himmel verbürgen sollten. Die Frage, die (ernsthaft!) diskutiert wurde, lautet etwa: "Darf man die politischen Gegner des Präsidenten - einschließlich gewählter Parlamentarier - ermorden? Die Antwort hängt davon ab, ob man in dem Bemühen, den Präsidenten aus dem Amt zu entfernen, eine rechtswidrige (gemäß islamischem Recht, nicht gemäß der indonesischen Verfassung) Rebellion sieht.

Handelt es sich bei der Opposition gegen ihn um eine Rebellion - "Bughot" genannt - so sei ein heiliger Krieg - "Jihad" - gegen seine Gegner gerechtfertigt, wurde argumentiert. ("Heilige Krieger" sind keineswegs Schreckgespenster in Indonesien, zu Tausenden haben sie sich Anfang letzten Jahres ganz real in der Umgebung von Jakarta versammelt, haben exerziert und sind dann in die Molukken aufgebrochen, wo ein Bürgerkrieg zwischen Christen und Moslems tobte. Die Zahl der Toten in den Molukken wird auf bis zu zehntausend geschätzt. Die Ordnungskräfte sahen all dem mehr oder weniger hilf- und tatenlos zu.)

Diesen Unruhestiftern wollten etwa 15.000 Kampfsportler (indonesisches Kung Fu) und bis zu 40.000 Polizisten und Soldaten, die Schießbefehl hatten, entgegentreten. Der Sicherheitsminister Susilo Bambang Yudhoyono, ein General, hatte überzeugend ein entschlossenes Vorgehen angekündigt und sich damit praktisch in Gegensatz zu seinem Präsidenten gebracht. Gepanzerte Fahrzeuge standen bereit, um notfalls die Mitglieder des Parlamentes zu "evakuieren".

Parlamentarier - besonders die prominenten Gegner des Präsidenten - äußerten kurz vor der kritischen Abstimmung Angst vor unmittelbarer persönlicher Bedrohung. Ein neuer unkalkulierbarer Ausbruch von politischer Gewalt und opportunistischer Trittbrettfahrerkriminalität (Plünderungen, private Racheakte, Vergewaltigungen) musste befürchtet werden. "Stadt am Abgrund" schrieb TEMPO, das angesehene Magazin, und verwies auf die Unruhen von 1998, die mindestens tausend Tote in einer teilweise verwüsteten Stadt zurückließen.

Glücklicherweise kam es diesmal nicht zum äußersten. Indonesien hat eine Atempause bekommen. Die Vernunft hat - vorübergehend? - gesiegt. Wichtige Religionsführer mahnten gerade noch rechtzeitig zur Besonnenheit.

Auch der Präsident ermahnte in einer Fernsehansprache alle Seiten, keine Gewalt anzuwenden. So blieb Jakarta glücklicherweise und unerwartet ruhig. Physisch unbehelligt rügte das Parlament den Präsidenten zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten mit großer Mehrheit wegen Korruption und Inkompetenz. In parlamentarischen Demokratien wäre dies mit einem Misstrauensvotum zu vergleichen, Indonesien ist aber eine Präsidialdemokratie mit einer sehr starken Stellung des Präsidenten und einer vergleichsweise skizzenhaften Verfassung.

In der politischen Diskussion gehen Argumentationen, die auf dem Modell einer Präsidialdemokratie beruhen mit solchen, die aus einer parlamentarischen Demokratie stammen, in der Verfassungsdiskussion Argumentationsfiguren der "Common-law-Tradition" mit solchen des "statute law" völlig durcheinander. Daher ist auch umstritten, welche der folgenden, gegenwärtig am meisten diskutierten Szenarien verfassungskonform wären:

  1. Ein freiwilliger Rücktritt des Präsidenten wäre zweifellos die sauberste Lösung. Vizepräsidentin Megawati Soekarnoputri würde automatisch Präsidentin, das Amt des Vizepräsidenten könnte vakant bleiben (dies war der Fall, als Vizepräsident Habibie Präsident Soeharto ersetzte), oder ein Vizepräsident könnte von der Beratenden Volksversammlung neu gewählt werden.

    In einer Telefonumfrage eines Fernsehsenders sprachen sich kürzlich etwa dreiviertel der knapp 30.000 Anrufer für einen Rücktritt des Präsidenten aus. Dieser hat aber immer wieder erklärt, er sei dazu nicht bereit, daher ist dieses Szenario gegenwärtig weniger wahrscheinlich. Andererseits ist der Präsident aber immer wieder auch für Überraschungen und Sinnesänderungen gut.

  2. Es wird ein Kompromiss zwischen den wichtigsten politischen Akteuren (Präsident, Vizepräsidentin sowie die Präsidenten beider Häuser des Parlamentes) gefunden, der vor allem vom Präsidenten erhebliche Zugeständnisse - insbesondere wohl die Übertragung der Regierungsverantwortung an die Vizepräsidentin - verlangen und ihn selbst auf die überwiegend zeremoniellen Aufgaben eines Staatsoberhauptes beschränken würde. Megawati muss sich wohl fragen, warum sie ausgerechnet den schwierigsten und undankbarsten Part in einer solchen Rollenverteilung spielen, warum sie die Verantwortung übernehmen soll ohne letztlich die dafür erforderliche Gesamtkompetenz zu bekommen.

    Dieses Szenario, an dem zur Zeit von einem Team von sieben Ministern intensiv gearbeitet wird, wäre wohl verfassungskonform, scheint aber wenig attraktiv und wäre nur eine Notlösung, die dem Land vermutlich eine fortgesetzte Periode der Ungewissheit beschere n würde.

  3. Ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten wird erfolgreich durchgeführt. Zuständig dafür ist die Beratende Volksversammlung mit ihrem Präsidenten Amien Rais, einem der schärfsten Gegner des Präsidenten. Allerdings gilt er gleichzeitig als derjenige, der 1998 Abdurrahman überhaupt erst gegen die Wahlsiegerin Megawati ins Amt gebracht hat und somit zu den derzeitigen Problemen Indonesiens - wenn auch nur indirekt - erheblich beigetragen hat.

    Dieses Szenario ist wegen der starken Stellung des Präsidenten verfassungsrechtlich zumindest nicht unproblematisch, die Expertenmeinungen divergieren hier. Politisch hat es den Nachteil, einen Präzedenzfall zu schaffen, der sich eines Tages auch gegen Megawati selbst wenden könnte. Zwar gilt sie selbst als unbestechlich, aber ihrem Ehemann werden immer wieder geschäftliche und politische Ambitionen nachgesagt, die bei entsprechendem politischen Willen auch dazu benutzt werden könnten, ihr das Leben schwer zu machen. Trotz dieser Aspekte halten viele Beobachter dieses Szenario für relativ wahrscheinlich.

  4. Der Präsident löst das Parlament auf, verhängt vorübergehend das Kriegsrecht und Neuwahlen finden statt. Diese Alternative hat der Präsident vor einiger Zeit öffentlich und nach Berichten vor wenigen Tagen wieder im vertraulichen Gespräch mit Militärs selbst ins Spiel gebracht. Die Führung der Streitkräfte hat dem Präsidenten von diesem Schritt aber nachdrücklich abgeraten, er würde eine schwierige Situation nur verschlimmern. Das Parlament will ihn unverzüglich wegen Verfassungsbruchs anklagen, sollte er ein entsprechendes Dekret erlassen.
  5. Abdurrahman bleibt im Amt, Megawati tritt als Vizepräsidentin zurück. Die historische Parallele ist hier der Rücktritt Mohammed Hattas, der als Vizepräsident Soekarnos zurücktrat, weil seine Differenzen zu ihm zu groß waren und er dem Land Zwistigkeiten an der Spitze ersparen wollte. Die Schwester Megawatis, Rachmawati Soekarnoputri, auch sie Tochter des ersten Staatspräsidenten, hat den Vorschlag ins Spiel gebracht.

    Die resultierende endgültige Klarheit über die politischen Verantwortlichkeiten wäre wohl mit einer Phase der Stagnation für das Land und erheblicher Ungewissheit für die politische Zukunft Megawatis verbunden, deren Entschluss auch als "kneifen" in einer wichtigen Entscheidungssituation verstanden werden und ihre Führungsfähigkeit in Frage stellen könnte. Das Szenario erscheint weniger wahrscheinlich.

  6. Alles bleibt wie es ist, Abdurrahman bleibt im Amt, Megawati Vizepräsidentin. Gelingt es diesem Führungsduo, eine weitere Verschärfung der Probleme des Landes zu vermeiden - insbesondere eine Sezession von Aceh oder Irian Jaya, weitere bürgerkriegsähnliche Unruhen in den Molukken oder Kalimantan sowie den Staatsbankrott - kann das Land auf die nächsten Wahlen im Jahr 2004 hoffen. Gelingt dies nicht und verschlechtert sich insbesondere die Sicherheitslage dramatisch, könnte es zu einem - harten oder weichen - Militärputsch kommen. Nicht wenige Indonesier halten dies bereits jetzt für die beste Lösung ihrer Probleme: Führende Journalisten sollen den Streitkräften die Machtübernahme empfohlen haben, die dazu aber - noch nicht? - bereit waren.
Es ist dem Land zu wünschen, dass ihm das fortgesetzte Chaos ebenso wie eine Neuauflage des Autoritarismus erspart bleibt. Es braucht Stabilität und politische Führung, aber in einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Gesamtordnung. Dass es die nicht hat, ist am geringsten wohl die Schuld der vor allem leidtragenden breiten Bevölkerung. Sie wurde Jahrhunderte lang von den Holländern ausgebeutet, die anders als etwa die Briten in ihren Kolonien nicht groß in brauchbare politische, rechtliche und administrative Strukturen oder in Bildung investiert haben.

Dies ist es aber, was das Land jetzt vor allen Schuldenmoratorien und makroökonomischen Stabilisierungsversuchen am dringendsten braucht: Eine stabile, tragfähige, gerechte und effiziente politische Neuordnung. Die wirtschaftliche Erholung wird dann folgen, nicht sofort, aber mit Sicherheit. Auf deutsche Nachkriegsverhältnisse übertragen: Indonesien braucht ein Grundgesetz und einen Konrad Adenauer.

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