Asset-Herausgeber

Einzeltitel

Spione oder Agenten der Zivilgesellschaft?

Die Situation der politischen Stiftungen in Russland

Als Wladimir Putin und Angela Merkel im April gemeinsam die Hannover Messe eröffneten, war die Atmosphäre sichtlich angespannt. Dabei entwickeln sich die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen exzellent.

Asset-Herausgeber

Allein im vergangenen Jahr belief sich das gemeinsame Handelsvolumen auf knapp 80 Milliarden Euro. Für Aufsehen sorgte jedoch die deutliche Kritik der Bundeskanzlerin an den jüngsten Ereignissen in der russischen Innenpolitik und insbesondere an den Durchsuchungen der Büros von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Russland, von denen auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung und die der SPD nahestehende Friedrich-Ebert-Stiftung betroffen waren.

Ende März war ein offizielles Schreiben der russischen Staatsanwaltschaft mit einem Katalog von 23 Fragen bei der Filiale des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in St. Petersburg eingegangen. Die erbetenen Informationen reichten von der Büroausstattung bis hin zu konkreten Fragen über die Projekte und die Partnerorganisationen der Stiftung in Russland. Trotz der Beantwortung des Schreibens kam es zur Überprüfung des Büros durch zwei russische Staatsbeamte. Sämtliche Computer wurden konfisziert – „zur Überprüfung der Softwarelizenzen“ – wie es offiziell hieß. Nach Intervention des deutschen Außenministers wurde der Russische Gesandte zu einem Gespräch ins Auswärtigen Amt gebeten. Einen Tag später wurden der Konrad-Adenauer-Stiftung ihre Computer wieder zurückgegeben und das Verfahren eingestellt. Bei dem Vorgehen handelte es sich keineswegs um einen Einzelfall: Angaben russischer Medien zufolge wurden zwischen Anfang März und Ende April 2013 mindestens 256 NGOs in 55 der 83 Regionen Russlands durch staatliche Behörden überprüft. Hierzu zählten auch zahlreiche Partner der deutschen Stiftungen, wie die Moskauer Helsinki Gruppe, die sich seit 1976 für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzt, und die Organisation Memorial, die sich insbesondere mit der Aufarbeitung von Gewaltverbrechen während der Sowjetzeit befasst.

Bereits kurz nach dem erneuten Amtsantritt Wladimir Putins vor einem Jahr erfuhren NGOs zunehmend Druck von Seiten des Kremls. Zuvor deuteten viele Indizien auf eine Öffnung des politischen Systems hin: So wurden etwa die Wiedereinführung von Regionalwahlen beschlossen und die Neugründung von Parteien erheblich erleichtert. Es folgten jedoch eine Reihe von Gesetzesänderungen, die in eine andere Richtung weisen: Der Strafbestand der Verleumdung wurde wieder eingeführt und das Strafmaß für Landesverrat und Spionage wurde verschärft. Nach zwanzigjähriger Tätigkeit wurde USAID, eine amerikanische Behörde der Entwicklungszusammenarbeit, im September 2012 aus Russland verwiesen. Im vergangenen Juni war bereits ein Gesetz vom russischen Parlament verabschiedet worden, wonach sich politisch aktive NGOs als „ausländische Agenten“ registrieren lassen müssen – ein Begriff, der im Russischen mit Spionage gleichzusetzen ist. Das Gesetz richtet sich insbesondere gegen russische NGOs, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erfahren und deren Unabhängigkeit deshalb von Seiten des Kremls angezweifelt wird. In der Folgezeit war keine seriöse Organisation bereit, sich im Sinne des Gesetzes als „Agent“ einstufen zu lassen. Nachdem Putin vor Vertretern der russischen Staatsbehörden auf eine strikte Umsetzung des Gesetzes pochte, folgten Untersuchungen bei zahlreichen NGOs. Hierunter fielen dann auch die Überprüfungen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Neben der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung sind in Russland auch die Stiftungen der anderen im Bundestag vertretenen Parteien aktiv – dies sind die Hanns-Seidel-Stiftung (CSU), die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP), die Heinrich- Böll-Stiftung (Grüne) und die Rosa-Luxemburg- Stiftung (Linke). Da die Stiftungen politisch nicht neutral agieren müssen, ermöglicht ihr Wertebezug enge Kontakte zu russischen Politikern, staatlichen Organisationen und NGOs. Die Stiftungen organisieren Dialogprogramme deutscher Politiker mit russischen Entscheidungsträgern und führen Seminare sowie Konferenzen zu Themen der politischen Bildung durch. Und nicht nur die deutsche Politik nutzt politische Stiftungen zur Ergänzung der außen- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Mit dem „Zentrum für sozial- konservative Politik“ verfügt auch die russische Regierungspartei „Einiges Russland“ über eine ihr nahestehende Stiftung, die im Inund Ausland aktiv ist. Neben dem Hauptsitz in Moskau verfügt das Zentrum nach eigenen Angaben über zwanzig regionale Büros und Konferenzzentren in Russland. Das Europabüro der Stiftung hat seinen Sitz in Berlin; ein Büro in Singapur ist für den asiatischen Raum zuständig. Gerade da politische Stiftungen und NGOs seit Jahrzehnten einen festen Bestandteil der bi- und multilateralen Politik darstellen, stießen die Razzien auf heftige internationale Kritik. Das Vorgehen gegen die NGOs hat in der russischen Zivilgesellschaft Verunsicherung erzeugt. Organisationen können nun keine finanzielle Unterstützung aus dem Ausland mehr annehmen, ohne sich als Agenten registrieren zu lassen. Aufgrund der chronischen Unterfinanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen wird die Ablehnung ausländischer Hilfen vielen NGOs nicht möglich seien. Putin hat zwar Finanzmittel zur Unterstützung von NGOs in Aussicht gestellt, aber es wird befürchtet, dass das Geld ausschließlich kremlnahen Organisationen zugutekommen wird. Inwiefern das Stigma der staatlichen Kampagne gegen NGOs die Kooperation der deutschen Stiftungen mit ihren russischen Partnern langfristig beeinträchtigen wird, bleibt abzuwarten.

Der Kreml tut sich offenbar schwer im Umgang mit der veränderten politischen Stimmung in Russland, die sich erstmals in dem wachsenden Protest der urbanen Mittelschicht rund um die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen manifestierte. Dass sich ein großer Teil der neuen russischen Mittelschicht, die erst in der Putin-Ära zu Wohlstand gekommen ist, gegen seine Politik wendet, hat Putin offenbar nicht erwartet. Die staatlichen Fernsehsender machen den Westen, insbesondere die USA, als Drahtzieher für die politischen Proteste verantwortlich. Ziel des Agentengesetzes ist es, NGOs, die Geldmittel aus dem Ausland erhalten, zu diskreditieren und als Vertreter westlicher Interessen darzustellen, die den Anliegen Russlands widersprechen. Bei der Rechtfertigung des Vorgehens berufen sich offizielle russische Stellen auf den „Foreign Agents Registration Act“, ein US-amerikanisches Gesetz aus dem Jahre 1938, welches den russischen Bestimmungen als Vorlage gedient habe. Das amerikanische Gesetz war in der Vorkriegszeit verabschiedet worden und gegen NS-Propagandisten in den USA gerichtet. Es hat nie zu vergleichbaren Massenuntersuchungen von NGOs geführt, wie diese von den russischen Behörden seit März vorgenommen werden.

Auch innerhalb der russischen Regierungspartei werden mittlerweile Stimmen laut, die die Entwicklungen der vergangenen Monate kritisieren. Mit dem Vorgehen schadet der Kreml nicht nur der eigenen Zivilgesellschaft und der demokratischen Entwicklung des Landes, sondern er irritiert zunehmend auch seine ausländischen Partner. Mittelfristig droht der wachsende Imageverlust Russlands Investoren aus dem Ausland abzuschrecken und somit auch die von Präsident Putin in Hannover angepriesenen deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen zu gefährden.

Der Text erschien im Original im Diplomatischen Magazin, Juni 2013.

Asset-Herausgeber

comment-portlet

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Bestellinformationen

erscheinungsort

Berlin Deutschland