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„Win-Win“-Abkommen mit Tunesien

Die erste Reise eines deutschen Regierungschefs nach Tunesien wurde dort beinahe schon euphorisch begrüßt. Die Kanzlerin traf während ihres kurzen Besuchs in Tunis Staatspräsidenten Essebsi, sprach im Parlament, besuchte ein Start-Up-Projekt und brachte die mitreisende Wirtschaftsdelegation mit tunesischen Unternehmern zusammen. Zeitgleich befand sich auch Entwicklungsminister Müller im Land, unter anderem, um dort ein Beratungszentrum für Migranten zu eröffnen.

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Die Reise führte die Kanzlerin in ein Land, das sich inmitten einer politischen und sozialen Transition befindet, die mit der Revolution des Jahres 2011 begonnen hat. Tunesiens junge Demokratie ist weiterhin fragil, die Implementierung der Verfassung erfolgt noch stockend und die demokratische Praxis ist längst noch nicht eingeübt. So besteht weiterhin Unklarheit über die Prärogativen von Staatspräsident und Premierminister, das in der Verfassung vorgesehene Verfassungsgericht ist noch immer nicht installiert, die überfälligen Kommunalwahlen werden immer wieder verschoben.


In Tunesien begann 2011 der Arabische Frühling – und das Land gilt als Leuchtturm in der Arabischen Welt, scheint es doch als einziges den Übergang zur Demokratie zu meistern. Ein umfassender Dialog und eine starke Zivilgesellschaft sind die Grundlage für den friedlichen Prozess. Aber es bedarf auch eines wirtschaftlichen Aufschwungs, sagt Friedensnobelpreisträgerin Ouided Bouchamaoui vom tunesischen Arbeitgeberverband UTICA im kas.de-Interview.

Das Vertrauen in die Politik und die politischen Akteure liegt am Boden. Die im Sommer 2016 formierte Regierung der Nationalen Einheit unter Beteiligung von fünf Parteien, dem Gewerkschaftsverband UGTT und zahlreichen unabhängigen Ministern ist bereits die neunte Regierung seit 2011. Konsenswillen und Entscheidungsfähigkeit stoßen sich im Kabinett von Premierminister Chahed immer wieder hart im Raum.

In der Gesellschaft dauert das Tauziehen um eine eher westlich-moderne oder eher islamistisch-konservative Ausrichtung der Gesellschaft mit noch ungewissem Ausgang an. Tunesien ist einerseits ein Land, in dem viele Menschen sich für einen säkularen Staat einsetzten und extremistische Formen des Islam ablehnen. Tunesien ist andererseits das Land, in dem viele junge Menschen dem sogenannten Islamischen Staat verfallen und als Terroristen im Nachbarland Libyen, in Syrien und dem Irak, aber auch in den lokalen, Al-Qaida-zugewandten Organisationen wie Ansar Al-Sharia Tunisie und Al-Qaida im Maghreb kämpfen. Tunesien führt die unrühmliche Statistik von ausländischen Kämpfern in den Reihen des IS an. Gründe sind nicht selten die persönliche Perspektivlosigkeit in den schlecht entwickelten ländlichen Regionen oder Vororten der Großstädte, die durch Landflucht ständig wachsen.

Die wirtschaftliche Entwicklung Tunesiens war zuletzt ernüchternd. Der Einbruch des Tourismus infolge der terroristischen Anschläge im Jahr 2015 hat das Land schwer getroffen. Die Wiederbelebung der tunesischen Wirtschaft, die Neuformulierung eines neuen Sozialvertra-ges zwischen der Gewerkschaft (UGTT) und dem Arbeitgeberverband (UTICA) sowie in der kurzfristigen wie vor allem mittel- bis langfristig Schaffung neuer Arbeitsplätze ein entscheidender Schlüssel zur Überwindung der aktuellen Krise zu bestehen. Die Dringlichkeit der Situation findet auch Ausdruck in der Haltung der Tunesier, die mit 67,1 Prozent der Meinung sind, dass sich das Land in keine gute Richtung entwickelt.

Einigung in der Rückführungsfrage

Eine entspannte Bundeskanzlerin und ein zufriedener Staatspräsidenten Essebsi präsentierten sich nach ihrem Gespräch am 3. März in Karthago den Journalisten. Essebsi hatte schon lange vor dem Besuch des tunesischen Premierministers im Februar in Berlin und des jetzigen Besuch der Kanzlerin in Tunis seiner Gewissheit Ausdruck verschafft, dass man eine Lösung in der Frage der Rückführung von Flüchtlingen finden werde. Jetzt konnte er nicht nur zum ersten Mal überhaupt die Kanzlerin des Landes begrüßen, das in Tunesien in Umfragen regelmäßig zu den beliebtesten Ländern gekürt wird, sondern er konnte gleich auch eine Lösung für den Umgang mit den in Deutschland ansässigen ca. 1500 ausreisepflichtigen Tunesiern verkünden.

Nach dieser Vereinbarung wird Tunesien künftig innerhalb von 30 Tagen die Identität von Personen klären und anschließend in weniger als einer Woche die Ausreisepapiere erstellen, damit die tunesischen Staatsbürger aus Deutschland abgeschoben werden können. Die Regierung will den tunesischen Konsulaten in Deutschland Mitarbeiter des Innenministeriums zur Verfügung stellen, um die Identifikation zu beschleunigen. Der Staatspräsident legte besonderen Wert auf die Feststellung, dass diese Vereinbarung im Interesse beider Länder liege und nicht die Souveränität seines Landes in Frage stelle. Und er warnte die anwesenden Journalisten auch gleich davor, dieses anders darstellen zu wollen. Im Gegenzug zu den Verpflichtungen der tunesischen Seite unterstützt die Bundesregierung die Einrichtung eines Beratungszentrums für Migranten und stockt die Entwicklungszusammenarbeit um 250 Millionen Euro auf. Der von der Kanzlerin benutzte Begriff einer „Win-Win“-Lösung fand dann auch Eingang in die lokale Berichterstattung und prägte die Bewertung der Vereinbarung.

Merkels Rede vor dem Parlament betont gemeinsame Interessen

In ihrer Rede vor dem tunesischen Parlament unterstrich die Kanzlerin die gemeinsamen Interessen beider Länder. Man stünde vor ähnlichen Herausforderungen, denn offene, der Welt zugewandte Länder, seien verletzlich. Terrorismus sei für Deutschland und Tunesien ein Problem, beide Länder seien in der Verabscheuung der Anschläge geeint, und die humanitäre Tragödie auf dem Mittelmeer betreffe uns alle. Merkel würdigte die politische Entwicklung Tunesiens in den vergangenen fünf Jahren und bekam für ihre Aussagen, Tunesien sei heute in der Region ein Leuchtturm der Hoffnung, regen Applaus. Auch wenn man bereits viele Fortschritte erreicht habe, so benötige man weiterhin einen langen Atem. Mit dem politischen Wandel seien viele Erwartungen verbunden gewesen, vielleicht auch zu hohe Erwartungen.

Die Bundeskanzlerin betonte, dass die deutsche Unterstützung bei der Wirtschaftsentwicklung Tunesiens besonders jungen Menschen und besonders den benachteiligten Regionen des Landes helfen soll. Denn gute wirtschaftliche Perspektiven entzögen Fundamentalisten den Boden für ihre Saat des Hasses und der Gewalt.

Tunesische Medien bewerten das Abkommen positiv

Die tunesische Presse berichtete überwiegend positiv über den Besuch der Kanzlerin und den erzielten Verhandlungserfolg. Dieses vor dem Hintergrund, dass in den tunesischen Medien immer mal wieder die Sorge vor europäischem Imperialismus mitschwingt, der Tunesien dazu zwingen könnte Entscheidungen zu treffen, die gegen die eigenen Interessen sind. Dieses hatte noch vor kurzem zu Demonstrationen in Tunis geführt, die sich gegen eine Rückkehr tunesischer Terroristen richteten und die Bundeskanzlerin beschuldigten, Tunesien als Müllhalde für Terroristen nutzen zu wollen. Die damalige Verwechslung von rückkehrpflichtigen Flüchtlingen aus Deutschland mit rückkehrenden tunesischen Terroristen aus Kriegsgebieten erfolge jetzt nicht mehr. Des Weiteren verstummten kritische und provokante Stimmen aus Tunesien, die Angela Merkel im Vorfeld des Besuchs lediglich Lippenbekenntnisse, Wahlkampf und „diktatorische Realpolitik“ vorwarfen, sowie utopische Forderungen wie einen Beitritt Tunesiens zur Europäischen Union und sofortige Visafreiheit für Tunesier stellten.

Ebenso spielte die Diskussion um die Einrichtung von Flüchtlingscamps in Tunesien kaum mehr eine Rolle, nachdem der tunesische Premierminister dieses Thema schon während seines Besuchs in Deutschland im Februar vom Tisch geräumt hatte. Dieses Reizwort der letzten Wochen wurde lediglich vereinzelt in die Debatte gebracht. Im Anschluss an Merkels Rede im Parlament hörte man zwar Stimmen von Abgeordneten der Opposition, wonach man künftig auch das Thema Einrichtung von Flüchtlingscamps besprechen könne. Solche Aussagen dürften zum jetzigen Zeitpunkt aber einzig dem Zweck dienen, die Büchse der Pandora wieder zu öffnen und Unruhe zu stiften.

Umsetzung des Abkommens ist zu beobachten

Die Mission der Bundeskanzlerin nach Tunesien war ein Erfolg für beide Seiten. Die Erwartungen Deutschlands an Tunesien im Umgang mit ausreisepflichtigen tunesischen Staatsbürgern wurden unmissverständlich vorgetragen. Die noch junge Regierung des noch jungen Regierungschefs Youssef Chahed dürfte gestärkt aus diesen Vereinbarungen hervorgehen. Diese Stärkung einer an sich wackeligen Regierung musste das Ziel der deutschen Verhandlungsführung sein, denn die Alternativen zur jetzigen Regierung wären für Tunesien und seine Beziehungen zu Europa ein größeres Wagnis.

Die Fähigkeiten der tunesischen Behörden zur Umsetzung der Vereinbarung müssen nun getestet werden. An mangelndem politischem Willen wird eine Rückführung ausreisepflichtiger Tunesier allerdings nicht scheitern, denn Staatspräsident Essebsi hat das Anliegen der Bundesregierung öffentlichkeitswirksam zur Chefsache gemacht.

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Dr. Holger Dix

Dr. Holger Dix

Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Subsahara-Afrika, Interimsleiter des Auslandsbüros Südafrika

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