Am 7. Juni nahm der konservative Senator und Präsidentschaftskandidat Manuel Uribe Turbay an einer Wahlkampfveranstaltung in der Hauptstadt Bogotá teil, als ein 14jähriger Jugendlicher auf ihn zuging und dreimal mit einer Glock-Pistole (Kaliber 9 Millimeter) auf ihn schoss. Zwei der Schüsse trafen ihn am Kopf und einer am Bein. Trotz Notoperation bleibt der Senator in Lebensgefahr. Nach seiner Festnahme gab der junge Täter an, gegen Bezahlung gehandelt zu haben. Angeblich soll man ihm 20 Millionen kolumbianische Pesos versprochen haben – etwa 4.200 Euro. Der minderjährige Täter konnte gestellt werden, über die Auftraggeber weiß man noch nichts Genaues.
Kritik entzündete sich schnell an einer ersten Reaktion des linkspopulistischen Präsidenten Gustavo Petro. Dieser erklärte in einer Nachricht auf ´X´, Ziel des Anschlags sei es gewesen, „den Sohn einer Araberin zu töten“. Der Nachnahme der Mutter des Tatopfers stammt aus dem Arabischen. Weder nannte Petro zunächst den Namen des Opfers noch den seiner Partei, des „Centro Democrático“ von Ex-Präsident Álvaro Uribe Velez. Später legte Petro nach. Ebenfalls auf „X“ gab er indirekt der Opposition eine Mitschuld am Attentat. Dieses sei Ausdruck der „polarisierten Situation“, die durch das Zurückweisen einer von Petro vorgeschlagenen Arbeitsmarktreform durch die Opposition im kolumbianischen Senat im März 2025 ihren Ausgang genommen habe.
Führende Oppositionspolitiker hingegen widersprachen Petro und beschuldigten ihn, durch seinen konfrontativen Regierungsstil die Atmosphäre zu vergiften. Derartige Vorwürfe kommen nicht nur von der konservativen Opposition, sondern auch von Politikern der erweiterten politische Mitte. So erklärte die Mitte-Links-Politikerin Claudia López, ehemalige Bürgermeisterin von Bogotá und Präsidentschaftskandidatin: „Die Ausdrucksweise von Präsident Petro ist nicht nur provokativ, sondern auch gewalttätig und von einer Kriminalisierung all derer geprägt, die wir politisch nicht mit ihm übereinstimmen“.1 Wie einige weitere Präsidentschaftskandidaten ließ López vorerst jede Wahlkampfaktivität ruhen. Entbrannt ist jedenfalls eine Debatte über die Sicherheit der Kandidaten und wie viele Personenschützer Präsidentschaftskandidaten haben sollten. Zudem stellten Kommentatoren die Frage, ob die Regierung Oppositionspolitiker ausreichend schütze.
Erinnerung an dunkle Zeiten
Der erst 39 Jahre junge Politiker ist einer der aussichtsreichen Kandidaten auf das höchste Staatsamt für die 2026 anstehenden Präsidentschaftswahlen in Kolumbien. Im Jahr 2022 wurde er in den kolumbianischen Senat gewählt. Miguel Uribe Turbay ist zwar nicht mit dem bekannten kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe Velez verwandt, dennoch stammt auch Uribe Turbay aus einer einflussreichen kolumbianischen Familie. Sein Großvater, Julio César Turbay Ayala, war von 1978 bis 1982 kolumbianischer Staatspräsident. Miguel Uribes Vater war von 1988 bis 1990 Stadtrat von Bogotá für die politisch gewichtige Konservative Partei (Partido Conservador) und von 1990 bis 1991 Mitglied des kolumbianischen Senats. Auch die Mutter des nun schwerverletzten Miguel Uribe hat auf traurige Weise Berühmtheit erlangt: Diana Turbay war eine renommierte Journalistin und in Kolumbien durch ihre Nachrichtensendung „Cripton“ bekannt. Am 30. August 1990 ließ der Drogenbaron Pablo Escobar sie entführen. Bei einem Befreiungsversuch Anfang 1991 kam Diana Turbay ums Leben, wodurch Miguel Uribe Turbay schon als 4-jähriger zum Halbwaisen wurde.
Ein Präsidentschaftskandidat, der im Wahlkampf von einem minderjährigen Auftragskiller niedergeschossen wird, dessen Mutter auch noch von Pablo Escobar mit Todesfolge entführt wurde – diese Reihung von Ereignissen erinnert viele Kolumbianer an eine nicht allzu ferne Vergangenheit, als die Ermordung von Politiker durch Drogenbanden insbesondere Ende der 80er Jahre praktisch zum Alltag gehörte. Trauriger Höhepunkt war die Ermordung von gleich drei Präsidentschaftskandidaten 1990 - Luis Carlos Galán, Bernardo Jaramillo Ossa y Carlos Pizarro Leongómez. Auch zu anderen Zeiten der modernen kolumbianischen Geschichte gehörten politische Morde fest zur kolumbianischen Politik – eine Situation, die sich im letzten Jahrzehnt im Gegensatz etwa zum Nachbarland Ecuador deutlich entspannt hatte.
Auch wenn die Präsidentschafts – und Parlamentswahlen in Kolumbien erst am 31. Mai 2026 geplant sind, hat sich der Themenkomplex Gewalt/ Öffentliche Sicherheit fest als das beherrschende Thema installiert. Allgemein hat sich die Sicherheitslage in Kolumbien in den vergangenen knapp drei Jahren der Präsidentschaft Petros verschlechtert. Erheblich dazu beigetragen hat seine Politik des „paz total“ (totaler bzw. umfassender Frieden), also der Versuch mit allen bewaffneten Akteuren, neben Rebellengruppen wie den FARC-Dissidenten oder der ELN auch mafiösen Strukturen wie dem mächtigen „Clan del Golfo“ zu verhandeln, wobei ihnen u.a. Straffreiheit in Aussicht gestellt wurde. Dass diese Politik fehlgeschlagen ist, hatten nicht zuletzt blutige Kämpfe zwischen verschiedenen Rebellengruppen Anfang 2025 in der Grenzregion zu Venezuela gezeigt, die Tausende Binnenvertriebene zur Folge hatten. Alleine in der Hauptstadt Bogotá wurden im Jahre 2024 nach offiziellen Angaben 724 Menschen erschossen – ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vorjahren.
Flucht nach vorn
Als Reaktion auf die prekäre Situation geht Präsident Petro in die Offensive und hält an seiner Lesart der Dinge fest: Die Opposition ist mit ihrer Blockadetaktik gegen seine Reformagenda für die aktuelle Krise und die Unzufriedenheit der Menschen verantwortlich. Mit Aufrufen zu Protesten versucht er, die Bevölkerung gegen das Parlament aufzubringen. Einem nach dem Scheitern der Arbeitsmarktreform ergangenen Aufruf zu Massenprotesten leisteten nur wenige Kolumbianer Folge. Auch und gerade nach dem Attentat auf Uribe Turbay tritt Petro die Flucht nach vorn an und setzt weiter auf Konfrontation. So unterzeichnete er vier Tage nach dem Anschlag ein Dekret, in dem er ein Referendum über ein Paket an Reformen im Sozial-, Gesundheits-, und arbeitsrechtlichen Bereich ansetzt. Was scheinbar nach Basisdemokratie und Volksbeteiligung klingt, ist im konkreten Fall jedoch höchst zweifelhaft: Denn nur Tage zuvor hatte schon der kolumbianische Senat über die Durchführung dieser Volksbefragung abgestimmt und sie mit einer (knappen) Mehrheit abgelehnt. Dass der Staatspräsident sich nun darüber per hinwegsetzen will und sein Ansinnen per Dekret durchsetzt, ist ein Novum in der kolumbianischen Politik.
Oppositionspolitiker sowie zahlreiche Experten sind der Meinung, dass Petro damit seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen überschreiten und die Gewaltenteilung verletzen würde. So erklärte die Vorsitzende der christdemokratisch orientierten Konservativen Partei, Senatorin Nadia Blel, Petro zeige seine „autoritäre Ader“ und ignoriere nicht nur das Parlament, sondern auch die Gerichtsbarkeit.2 Zwar bleibt der Rechtsweg gegen das Handeln des Präsidenten erhalten und es erscheint möglich, dass die Entscheidung des Präsidenten gerichtlich noch aufgehoben wird, aber auch namhafte Juristen sprechen von einem „autoritären Konstitutionalismus.“3
Nur wenige Stunden nach der Unterzeichnung des Dekretes durch Petro meldete sich ausgerechnet der angeschossene Miguel Uribe Turbay zu Wort. Allerdings tat er dies nicht vom Krankenbett, sondern in Form eines Instagram-Videos, welches er nur eine Stunde vor den Schüssen aufgenommen hatte und welches sein Team jetzt veröffentlichte. In ihm beschuldigt Uribe Präsident Petro eines „Selbstputsches“ gegen die demokratischen Institutionen.
Ob Uribe Torquay so stark genesen wird, um wieder selbst in den Wahlkampf einzusteigen, ist derzeit äußerst fraglich. Wer von diesem Gewaltakt politisch profitieren wird ist ebenso ungewiss. Vom inneren Frieden ist Kolumbien jedenfalls weit entfernt. Ein Jahr vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen herrscht bei unklarem Kandidatentableau ein stark aufgeheiztes politisches Klima. Eine Mäßigung des Tons im Wahlkampf ist ebenso wenig in Sicht wie eine Besserung der Sicherheitslage im Land. Zu befürchten ist eine weitere Verhärtung der politischen Fronten und damit weiterer Schaden für die kolumbianische Demokratie.
1 Claudia López advierte una “radicalización política”
2 Senadora Blel critica “talante autoritario” de Petro tras decreto de consulta popular - LARAZÓN.CO
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