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Polen bekommt einen neuen Staatspräsidenten

von Dr. Christian Schmitz, Michael Quaas

Der Sieg von Andrzey Duda über Bronislaw Komorowski kann die Weichen der polnischen Politik neu stellen

Am 24. Mai waren alle polnischen Staatsbürger aufgefordert, den neuen Staatspräsidenten zu wählen. Mit 51,55 Prozent der Stimmen setzte sich der Herausforderer Andrzej Duda gegen den amtierenden Präsidenten Bronislaw Komorowski durch, auf den 48,45 Prozent der Stimmen entfielen.

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Die Wahlbeteiligung lag bei 55,34 Prozent. Dass der Herausforderer den Präsidenten in die Stichwahl zwingen konnte und im ersten Durchgang der Wahl die meisten Stimmen erhielt, war bereits eine große Überraschung im polnischen Superwahljahr 2015 gewesen. Dass es der politisch weniger erfahrene Kandidat der oppositionellen PiS zudem schaffte, gegen den in Polen wie auch international angesehenen Amtsinhaber Komorowski die Stichwahl zu gewinnen, kann eine nachhaltige Änderung in der politischen Landschaft Polens nach sich ziehen.

Geprägt waren die Präsidentschaftswahlen von einer diffusen Proteststimmung. So konnten Kandidaten mit einer europakritischen Agenda oder mit einem Protestprogramm gegen die bestehende Regierung große Zahlen von Wählern hinter sich vereinen. Insbesondere Jungwähler zwischen 18 und 29 Jahren ohne Perspektive entschieden sich zu 55 Prozent für diese Kandidaten. Dies entspricht einer zunehmenden Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Situation im Lande, obwohl die Wirtschaftsprognose der EU für Polen dauerhaft positiv ist. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Stimmung auf die wichtigeren Parlamentswahlen im Herbst auswirkt.

Der Sieger

Andrzej Duda, Europaabgeordneter, ehemaliger Berater des Präsidenten Lech Kaczynski und Kandidat der PiS, wurden aufgrund seiner geringeren Erfahrungen in der Politik im Vorfeld nur wenige Chancen gegen den Amtsinhaber eingeräumt. Erklärtes Ziel Dudas war es zunächst gewesen, im ersten Wahlgang ein so gutes Ergebnis zu erzielen, dass er den Amtsinhaber in den zweiten Wahlgang zwingen konnte. Dieses Ziel übertraf er sogar, konnte mit 34,7 Prozent die Mehrheit der Stimmen gewinnen und Komorowski auf Platz zwei verweisen.

Von Beginn an hatte Duda eine schwungvolle Kampagne geführt und sich als junger, dynamischer Kandidat präsentiert. Er vermittelte ein scharfes Profil und ein ausgearbeitetes Programm, das er „Mein Vertrag mit den Polen“ nannte. Er kündigte an, das Erbe Lech Kaczynskis anzutreten, dessen Politik sozialer Gerechtigkeit fortsetzen zu wollen und Polen neu aufzubauen. In seiner Kampagne widmete Duda sich daher vornehmlich sozialen Themen, forderte eine soziale Wirtschaft und stellte sein Programm auf die vier Pfeiler „Familie, Arbeit, Sicherheit und Dialog“. Bei seiner Stammwählerschaft und unzufriedenen Wählern konnte Duda auch mit einer stark akzentuierten euroskeptischen Linie punkten (Ablehnung des Euro, Ablehnung der europäischen Klimapolitik, keine Beschränkungen bei der Kohleverwertung). Insgesamt fuhr Duda während der ganzen Kampagne die traditionelle Strategie der PiS: er präsentierte sich als Anwalt der kleinen Leute, als Sprecher der tatsächlich und vermeintlich zu kurz Gekommenen, als echter Wahrer traditioneller Werte und als Analytiker von Missständen. Zu dieser Strategie gehörte und gehört auch, Festlegungen zu vermeiden, wie genau die beschriebenen Missstände zu beheben und Abhilfe zu schaffen ist. Seine wenigen Reformvorschläge, wie der Plan, das erst jüngst erhöhte Rentenalter wieder zu senken, sind bei genauerem Hinsehen nicht finanzierbar.

Im Verlaufe seines Wahlkampfes hatte Duda dabei durchaus versucht, sich vom radikalen Flügel der PiS zu distanzieren und war sogar der offiziellen Feier anlässlich des fünften Jahrestages des Flugzeugabsturzes von Smolensk ferngeblieben, um ein moderat-konservatives Profil zu schärfen. Eine Lösung aus dem Schatten Jaroslaw Kaczynskis erreichte er dennoch nicht, was seinem Ergebnis in der Stichwahl aber keinen Schaden zufügte.

Der Unterlegene

Als großer Favorit war der amtierende Präsident Bronislaw Komorowski ins Rennen gegangen. Trotz mäßiger Umfragewerte für die Regierungspartei PO, von der er im Wahlkampf unterstützt wurde, konnte sich Komorowski am Anfang der Präsidentschaftkampagne sogar bis zu 70 Prozent Zustimmung innerhalb der Bevölkerung sicher sein. Er galt Jahre hindurch als beliebtester Politiker Polens und hatte sich während seiner Amtszeit ein staatsmännisches, überparteiliches Profil aufgebaut. Als “Präsident aller Polen“ versuchte er, dem Dualismus zwischen der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) und der national-konservativen Recht und Gerechtigkeit (PiS) zu entkommen. Seine Wiederwahl galt vielen Beobachtern deshalb sogar im ersten Wahlgang als möglich.

Komorowski selbst hatte die Wahl zu einer Entscheidung zwischen „einem radikalen Polen an Europas Peripherie“ und einem „rationalen Polen im Herzen Europas“ erklärt. Der erfahrenere Kandidat war aber erst spät in den Wahlkampf gestartet und hatte es unterlassen, diesem seinerseits klares Profil zu geben. Der stete Hinweis auf die eigenen Meriten wirkte bräsig, selbstgefällig und abgehoben, während die außenpolitischen Erfahrungen und das internationale Ansehen Präsident Komorowskis wider Erwarten nicht im Wahlkampf bedient wurden. Für Beobachter ist dieser Mangel der ausschlaggebende Grund für seine spektakuläre Niederlage im ersten Wahlgang am 10. Mai gewesen. Komorowski startete dann zwar mit einer Reihe von hastig formulierten Reformvorschlägen nochmals durch, doch konnte er seinen Ansehensverlust durch die Niederlage im ersten Wahldurchgang nicht mehr aufholen.

Auswirkungen für die PO

Offenbar hat die PiS für viele polnische Wähler ihren Schrecken verloren. Der bisherige Antagonismus, der in der Vergangenheit die Stammwähler der PO mobilisiert und europaorientierte Jungwähler gegen die PiS aktiviert hatte, ist keine sichere Bank mehr für Wahlsiege. Die Regierungspartei hat nun ein halbes Jahr Zeit, um die Lehren aus der verlorenen Präsidentschaftswahl zu ziehen. Ihr mangelndes inhaltliches Profil und ihre organisatorischen Defizite werden der Partei auch bei den Parlamentswahlen im Herbst Probleme bereiten, die Wähler für sich zu motivieren und die Stammwählerschaft zu aktivieren. Angesichts zahlreicher Jungwähler, nachlassender Erinnerung an die Zeiten der radikalen Kaczynski-Regierung und tatsächlicher Probleme in Polen selbst und darüber hinaus in Europa reicht es der PO auf Dauer nicht mehr, sich auf den Dualismus mit einer die Wählermehrheit verschreckenden PiS zu verlassen. Die Menschen in Polen dürfen von der PO mehr erwarten, als dass sie bloß die PiS verhindert. Ein klares inhaltliches Profil, eine professionelle Organisation und ein konkretes, realistisches, an den Problemen der Zeit orientiertes Programm benötigt die PO, um sich gegen die Konkurrenz in der bevorstehenden Parlamentswahl zu behaupten. Mit anderen Worten: die Partei muss sich ein Stück weit neu erfinden, was auch Hand in Hand geht mit einer personellen Neuaufstellung. Donald Tusk hatte vor seinem Wechsel auf die europäische Bühne die PO nach innen dominiert und ihr äußeres Bild bestimmt. Heute, knapp ein Jahr später, steht die vorläufige Parteichefin und Premierministerin Ewa Kopacz mit dem Rücken zur Wand. Unter dem Eindruck der verloren gegangenen Präsidentschaftswahl muss sie die PO revitalisieren, sie muss ihr ein neues Bild geben, sie muss die Parlamentswahlen gewinnen und in der Partei ihre eigene, durchaus nicht unumstrittene Position konsolidieren. Diese Herausforderungen sind eine enorme Bewährungsprobe, und der Ausgang der Operation ist durchaus ungewiss.

Verdrossene Wähler

Obwohl die Wirtschaftsprognosen für Polen dauerhaft positiv sind, öffneten die polnischen Präsidentschaftswahlen den Blick auf eine wachsende Unzufriedenheit der Wählerschaft und eine diffuse Wechselstimmung. Tatsächlich ist die Reformpolitik der PO/PSL-Regierung in den letzten Jahren nur wenig vorangekommen und dauerhaft umstritten, besonders im Bereich der sozialen Sicherungssysteme. Die Einkommen der polnischen Haushalte sind vergleichsweise niedrig, Preise und Steuern relativ hoch. Die Jugendarbeitslosigkeit ist ebenfalls hoch und droht, eine verlorene Generation hervorzubringen. Viele junge Menschen wandern inzwischen aus Polen aus. Auch die Modernisierung der lange vernachlässigten Infrastruktur kommt langsamer voran, als erhofft.

Vor diesem Hintergrund bestimmte der Antagonismus der beiden Parteien PO und PiS das Leben der polnischen Demokratie in den vergangenen Jahren. Seit zehn Jahren ist die Existenz der einen Partei die Lebensversicherung für die Existenz der anderen. Sie bilden Regierung oder Opposition, wechseln sich an der Spitze der Umfragen ab, und die Zeit der ständigen Regierungswechsel scheint dauerhaft überwunden. Selbst Krisen und Abstürze in den Umfragen, wie sie die PO im vergangenen Jahr im Rahmen einer Abhöraffäre erlebte, können die Parteien inzwischen verkraften. Die Stabilität von PO und PiS steht einerseits für eine positive Entwicklung der politischen Kultur in Polen. Andererseits stoßen dieser das politische Leben bestimmende Antagonismus und der Stil, den manche Akteure in der politischen Auseinandersetzung pflegen, viele Menschen ab. Dadurch wurde es möglich, dass sich eigentlich nicht erst zu nehmende Alternativkandidaten positionieren konnten wie der Monarchist und Europagegner Janusz Korwin-Mikke oder der parteilose „Systemgegner“ Pawel Kukiz. Sie versprachen einen Wechsel und einen Ausbruch aus der parteipolitischen Bipolarität. Die Leidtragenden waren vor allem die kleinen etablierten Parteien. So zeichnete sich bereits im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen ab, dass Parteien wie die postkommunistische und sozialdemokratisch gewandelte SLD oder der aktuelle Koalitionspartner der PO, die Bauernpartei PSL, mit ihren Kandidaten im gesamten Wahlkampf stets unterhalb der 5-Prozent-Marke blieben. Sollte es beiden Parteien nicht gelingen, im Herbst einen dynamische-ren Wahlkampf zu führen und die Wählerschaft für ihre Themen zu gewinnen, stehen sie vor einem Neubeginn oder sie verschwinden in der Bedeutungslosigkeit. Das würde nicht nur für die betroffenen Parteien Konsequenzen haben, sondern auch die PO potenzieller Koalitionspartner berauben, während der PiS mit dem Protestkandidaten Kukiz möglicherweise ein Koalitionspartner zuwächst.

Innen- und außenpolitische Konsequenzen

Der polnische Staatspräsident hat innenpolitisch Veto- und Initiativrechte im Rahmen von Gesetzesvorhaben. Er ist nominell Oberbefehlshaber der Streitkräfte und kann sich, weil er Polen nach außen vertritt, in der Außenpolitik in vielfacher Hinsicht einmischen, wobei die Möglichkeiten und Grenzen seines Handelns verfassungsrechtlich nicht genau definiert sind. Noch ist unklar, wie Andrzej Duda sich letztlich positionieren wird, wenn seine Amtszeit begonnen hat. Gewiss hat er kritische Töne gegenüber den Brüsseler Institutionen angeschlagen, aber er hat sich zu keiner Zeit als EU-Gegner profiliert. Auch antideutsche Töne hätten Beobachter vielleicht vermuten können, sie waren aber nicht zu hören. Der neue Präsident gilt zwar als die Erfindung des PiS-Chefs Jaroslaw Kaczynski, aber niemand weiß, ob er auch dessen Radikalismus teilt und nicht als „Präsident aller Polen“, der Andrzej Duda dezidiert werden möchte, um einen eher ausgleichenden Kurs bemüht sein wird. Vor diesem Hintergrund, und weil die entscheidende politische Machtposition in Polen bei der Regierung liegt, ist derzeit keine klare Aussage darüber zu treffen, welche innen-, außen- und europapolitischen Konsequenzen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl letztlich haben wird.

Fazit

Die polnischen Präsidentschaftswahlen haben einem Amtsinhaber mit großen Erfahrungen und Verdiensten die Niederlage beschert. Dieses Debakel in erster Linie Bronislaw Komorowski anzulasten wäre jedoch zu kurz gegriffen. Vielmehr offenbarte die Kampagne des Amtsinhabers eine trügerische Selbstsicherheit und Verletzlichkeit der regierenden Bürgerplattform und zeigte einmal mehr ihre inhaltlichen und organisatorischen Schwächen. Die PiS hat ihren Kandidaten durchbringen können, weil offenbar viele Bürger ihre Angst vor einer „Wiederkehr der Radikalen“ verloren haben. Hinzu kam, dass Andrzej Duda eine professionelle Kampagne geführt hat und auch mit einem smarten und natürlichen Auftreten die Mehrheit der Wähler von sich überzeugen konnte. Mit Blick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen kann die Opposition nun Hoffnung schöpfen, während die Regierung und vor allem die sie tragende PO einen Weckruf erhalten haben. Vor dem Hintergrund einer wachsenden Unzufriedenheit in der polnischen Wählerschaft ist es die große Frage mit Blick auf die Wahlen im November, ob die oppositionelle PiS diese Unzufriedenheit zu einer Wechselstimmung hochtreiben kann, die ihr am Ende wieder die politische Macht in Polen verschafft. Über die sich aus dieser Perspektive ergebenden Konsequenzen bereits zu spekulieren, ist noch verfrüht. Die nächsten Tage und Wochen werden jedenfalls Aufschluss darüber geben, wie das politische Leben in Polen sich nach der Präsidentschaftswahl neu sortiert.

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11. Mai 2015
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