Die Hauptstadt wird lila
Die Regierungspartei La Libertad Avanza (LLA) konnte die Zwischenwahlen in der Stadt Buenos Aires mit 30,13% vor den Peronisten mit 27,35% und der PRO mit abgeschlagenen 15,93% klar für sich entscheiden und somit die Wahlkarte im libertären lila einfärben. Noch 2023 hatte die PRO mit ihrem Wahlbündnis in 14 der 15 Stadtbezirke gesiegt; nun kam sie in keinem einzigen Bezirk auf den ersten Platz. An vierter Stelle landete die Liste des ehemaligen Regierungschefs der Hauptstadt Horacio Rodríguez Larreta. Dieser kehrte der von ihm mitgegründeten PRO nach den Präsidentschaftswahlen 2023 den Rücken, bei denen er in den Vorwahlen um die Präsidentschaftskandidatur der damaligen Parteivorsitzenden Patricia Bullrich unterlegen war.
Die Wahlbeteiligung erreichte mit nur 53% trotz Wahlpflicht einen historischen Tiefpunkt. Die Peronisten bleiben stärkste Kraft im Stadtparlament mit 20 Sitzen, gefolgt von LLA mit 13 Sitzen. Die die Stadt regierende PRO wird nur 10 Abgeordnete stellen. Somit wird Jorge Macri sich ab der Formierung des neuen Stadtparlaments am 10. Dezember mit einer fragmentierten Legislative konfrontiert sehen und auf Absprachen mit wechselnden Partnern angewiesen sein, was seine Position deutlich schwächen dürfte.
Ein aufsehenerregender Wahlkampf
Die Rechnung des Regierungschefs Jorge Macri ist nicht aufgegangen: Er hatte entschieden, die lokalen Zwischenwahlen von den anstehenden nationalen Wahlen im Oktober zu entkoppeln, um ein Abfärben der Popularität des Staatspräsidenten Milei auf dessen lokale Kandidaten zu verhindern. Die PRO regiert die Hauptstadt ununterbrochen seit 2007; damals wurde Mauricio Macri zum Regierungschef gewählt, der dadurch seine Popularität auf- und ausbauen konnte und es 2015 bis zum Staatspräsidenten brachte. Allerdings macht das Ergebnis vom vergangenen Sonntag klar, dass die seit 18 Jahren bis dato ungebrochene Zustimmung zur PRO in der Hauptstadt kein Automatismus ist. Die Umfragewerte für den seit Dezember 2023 regierenden Jorge Macri sind deutlich niedriger als die seiner Vorgänger. Zudem hat sich das Wahlangebot stark aufgefächert. Noch 2023 war die PRO auf lokaler Ebene in einer Wahlallianz mit der Union Cívica Radical (UCR) und der Coalición Cívica (CC) angetreten. Bei dieser Wahl präsentierten nicht nur diese beiden vorherigen Bündnispartner eigene Listen, sondern auch der bis 2023 für die PRO die Hauptstadt regierende Horacio Rodríguez Larreta kandidierte als Spitzenkandidat für seine Bewegung Volvamos Buenos Aires. Zusammengerechnet kommen diese vier Parteien auf ca. 29% der Stimmen und liegen somit zwar hinter LLA, aber noch vor den Peronisten. Insgesamt konnten die Wahlberechtigten zwischen 17 Parteien entscheiden.
Kurz nach der Bekanntgabe des Wahltermins wurde klar, dass die Milei-Partei dieser Wahl eine ganz besondere Bedeutung beimessen würde. Als Spitzenkandidat fürs Stadtparlament nominierte sie den prominenten Regierungssprecher Manuel Adorni, eine wichtige Figur in der derzeitigen Regierung mit einer deutlich bedeutenderen Position als der eines Stadtabgeordneten. Die PRO zog nach und ließ ihre Liste von der nationalen Abgeordneten Silvia Lospennato anführen, deren Mandat im Nationalkongress noch bis 2027 läuft. Der ehemalige Regierungschef der Stadt Rodríguez Larreta reihte sich in die Riege der prominenten Kandidaten für das Stadtparlament ein. Dementsprechend hoch war die mediale Aufmerksamkeit für eine Wahl, bei der es weder um Posten nationaler Tragweite noch um die Exekutive der Stadt ging.
Obwohl LLA angab, über den Peronismus siegen zu wollen, fand der eigentliche Schlagabtausch zwischen der Nationalregierung und dem Parteivorsitzenden der PRO Mauricio Macri statt. Das ist vor allem daher bemerkenswert, da die PRO bisher der wichtigste Verbündete der Milei-Regierung war: Am Tag, nachdem die PRO in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2023 gescheitert war, sprachen sowohl Mauricio Macri als auch die PRO-Präsidentschaftskandidatin Patricia Bullrich Milei ihre Unterstützung in der Stichwahl aus. Die PRO war zudem für die legislativ schwachbrüstige LLA bisher der wichtigste Mehrheitsbeschaffer im Nationalkongress. Mauricio Macri, der überzeugt gewesen war, durch die Unterstützung seiner Partei Einfluss in der Regierung Milei ausüben zu können, hat sich verrechnet. Die Regierungspartei hat die PRO dort getroffen, wo es sie am meisten schmerzt: in der Bastion ihrer Macht in der Hauptstadt.
Zu diesem Zweck hatte die Regierung schwere Geschütze aufgefahren. In der gesamten Hauptstadt wurden Fotos des Spitzenkandidaten mit dem Staatspräsidenten plakatiert, auf denen „Adorni ist Milei“ zu lesen stand. In den zwei Wochen vor der Wahl durfte der noch amtierende Regierungssprecher zudem mehrere wahlwirksame Ankündigungen machen, darunter Steuer- und Zollsenkungen und eine Einwanderungsreform. Zudem gab die Präsidentschaftskandidatin der PRO von 2023 und populäre Sicherheitsministerin im Kabinett Milei, Patricia Bullrich, knappe zwei Wochen vor der Wahl in Buenos Aires ihren Parteiwechsel zu LLA bekannt.
Der Ton im Wahlkampf wurde zunehmend schärfer, nachdem das von der PRO-Spitzenkandidatin Silvia Lospennato initiierte Gesetzesprojekt zum „sauberen Wahlzettel“ im Senat gescheitert war, welches wegen Korruption Verurteilten verbieten sollte, zu Wahlen anzutreten. Dem Projekt fehlte im Senat lediglich eine Stimme. Zwei Senatoren einer auf nationaler Ebene Milei unterstützenden Regionalpartei aus der Provinz Misiones stimmten überraschend gegen das Vorhaben. Die PRO beschuldigte Milei daraufhin eines Paktes mit der ehemaligen peronistischen Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner, deren politische Karriere durch das Inkrafttreten des Gesetzes beendet worden wäre. Milei bestritt einen solchen Pakt vehement und bezeichnete den PRO-Vorsitzenden Mauricio Macri als Lügner.
Am Tag vor der Wahl verbreiteten Anhänger Mileis ein inzwischen als falsch entlarvtes und mit künstlicher Intelligenz erstelltes Video, in dem Mauricio Macri die Kandidatur von Silvia Lospennato zurückzieht und Manuel Adorni die Unterstützung der PRO ausspricht. Statt diese Verbreitung von Fake News vehement zu verurteilen, bezeichnete Milei Macri als „Jammerlappen“ und „fragil“. Obwohl das Video nicht über offizielle Regierungskanäle verbreitet wurde, bezweifelt die PRO, dass der die libertären sozialen Netzwerke kontrollierende Kommunikationsberater Mileis, Santiago Caputo, an dem Vorfall völlig unbeteiligt war.
Nationale Bedeutung der lokalen Wahlen
LLA verfügt im Nationalkongress lediglich über 15% der Sitze im Abgeordnetenhaus und 11% der Sitze im Senat. Oberstes Ziel für die Zwischenwahlen im Oktober, bei denen die Hälfte der Abgeordneten- und ein Drittel der Senatsmandate erneuert werden, ist daher eine deutliche Stärkung der Fraktionen in beiden Kammern. Während die Popularität Mileis bei den allgemeinen Wahlen im Oktober 2023 noch nicht auf die Kandidaten seiner Partei übertragen wurde, konnte LLA ihre Position bei den dieses Jahr bisher stattgefunden Wahlen in Salta, Jujuy, Chaco, San Luis und Buenos Aires ausbauen, nur in Santa Fé blieb die Partei hinter den eigenen Erwartungen zurück.
Sowohl die Peronisten als auch die PRO gehen geschwächt aus den Wahlen in Buenos Aires hervor. Den beiden wichtigsten parlamentarischen Kräften auf nationaler Ebene ist es bisher nicht gelungen, eine klare Linie im Umgang mit der Regierung Milei zu finden.
Der Peronismus setzt im Nationalkongress auf Fundamentalopposition, jedoch zählen zahlreiche peronistische Gouverneure zu den Verbündeten Mileis. Der interne Machtkampf zwischen der Parteivorsitzenden Cristina Fernández de Kirchner und dem Gouverneur der bevölkerungsreichsten Provinz Buenos Aires tragen nicht zu einem einheitlichen Auftreten bei, weder inhaltlich noch personell.
Noch schwerer tut sich die PRO mit einer klaren Haltung. Eigenen Angaben zufolge unterstützt sie den Wirtschaftskurs der Regierung, unterscheidet sich jedoch im Demokratie- und Staatsverständnis klar von Milei, ohne dies genauer auszuführen. Die unklare Position hat sich nun an den Wahlurnen gerächt. Zudem ist die Partei intern tief gespalten und ehemalige Spitzenpolitiker kehren ihr den Rücken zu. Nach der Niederlage in der Stadt Buenos Aires ist damit zu rechnen, dass noch mehr PRO Funktionäre vor den Wahlen im Oktober zu LLA überlaufen werden.
Die PRO hat mit diesen Wahlen die Vormachtstellung als repräsentative Kraft des Mitte-Rechts-Spektrums klar an LLA verloren. Früher oder später muss die Partei sich entscheiden, ob sie im Oktober zum Juniorpartner der Regierung mit gemeinsamen Listen werden will, oder klar in die Opposition geht. Ersteres ist nach dem harten Wahlkampf um die Stadt Buenos Aires nur schwer vorstellbar. Letzteres könnte aufgrund der Popularität Mileis mit einem massiven Bedeutungsverlust enden.
Das Wahlergebnis zeigt, dass die Wähler immer noch in erster Linie auf die Wirtschaftsdaten blicken und auch gemäßigte Wähler dafür Entgleisungen und Grenzüberschreitungen der Regierung in Kauf nehmen. Allerdings muss ein genaues Augenmerk auf die geringe Wahlbeteiligung gelegt werden, da Umfragen zufolge an den Rändern weit besser mobilisiert werden konnte als in der politischen Mitte.
Zwischenbilanz der Regierung Milei
Bisher lag die oberste Priorität der Regierung in der Senkung der Inflation und der Staatsausgaben. In beiden Bereichen hat sie Erfolge vorzuweisen. Nach 211,4% Inflation im Jahr 2023 lag die Inflation im ersten Regierungsjahr 2024 bei 117,8%. Nach den aktuellen Daten des nationalen Statistikamtes vom April 2025 konnte sie im Jahresvergleich sogar auf 47,3% gesenkt werden.
Durch die Halbierung der Anzahl der Ministerien, die Kürzung staatlicher Subventionen vor allem in den Bereichen Energie und ÖPNV, und einen gezielten Bürokratieabbau durch das Deregulierungsministerium wurden die Staatsausgaben deutlich gesenkt und ein ausgeglichener Staatshaushalt erreicht.
Die Kehrseite war eine tiefe Rezession im Jahr 2024 mit dem Verlust zahlreicher Arbeitsplätze, vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen und dem Investitionsstopp im öffentlichen Sektor.
Seit dem letzten Quartal 2024 hat die argentinische Wirtschaft wieder moderate Wachstumsraten zu verzeichnen. Zudem ist die Armut leicht zurückgegangen. Nichtsdestotrotz ist die wirtschaftliche Erholung noch fragil. Im März 2025 war die monatliche Inflation wieder deutlich angestiegen und auch der Parallelkurs des US-Dollars nach langer Stabilität wieder in Bewegung geraten. Allerdings ist es der Regierung gelungen, beide Entwicklungen nach dem Abschluss des neuen Abkommens mit dem Internationalen Währungsfonds und der Freigabe des Wechselkurses wieder einzufangen.
Außenpolitisch fällt die Bilanz durchwachsen aus. Nach einem starken Auftakt in der Außenpolitik mit einem klaren Nein zum Beitritt zum Staatenbündnis BRICS, dafür einem Antrag der OECD-Mitgliedschaft und einem Bekenntnis zu den liberalen Demokratien des Westens, zur Ukraine und zu Israel gewann der so genannte Kulturkampf gegen eine, laut Regierung, linksideologische Woke-Kultur im Diskurs immer mehr an Bedeutung. Der Schulterschluss mit der Trump-Regierung führte zu einer Enthaltung Argentiniens bei einer VN-Resolution zum russischen Truppenabzug aus der Ukraine.
Innenpolitisch wird der Ton gegen Politiker anderer Parteien und Medienvertreter immer schärfer. Zudem haben der Skandal um die Kryptowährung LIBRA sowie die Abstimmung zum „sauberen Stimmzettel“ im Senat am höchsten Gut des Präsidenten gekratzt: seiner Glaubwürdigkeit.
Die Regierung Milei war mit dem Versprechen angetreten, mit der überholten politischen Praxis der politischen Elite zu brechen und beherzt gegen Korruption und Vetternwirtschaft vorzugehen. Am 14. Februar 2025 bewarb der Staatspräsident auf seinem privaten X-Account die neue Kryptowährung LIBRA, die in den darauffolgenden Stunden einen kometenhaften Aufstieg, gefolgt von dem totalen Zusammenbruch absolvierte. Zahlreiche Anleger vor allem in den USA wurden massiv geschädigt. Bis heute ist nicht klar, wer genau finanziell von der Blase profitiert hat. Die Schöpfer der Kryptowährung hatten im Vorfeld der Einführung mehrere persönliche Treffen mit der Präsidialamtsministerin und Schwester des Staatspräsidenten Karina Milei abgehalten. Es stellt sich die Frage, ob der Staatspräsident lediglich naiv und unwissend gehandelt hat, oder ob sich Menschen aus seinem näheren Umfeld an dem Vorgang bereichert haben. Auch die erste Lesart ist für den selbst ernannten Wirtschaftsexperten nicht schmeichelhaft.
Zudem wurden Meinungsverschiedenheiten zwischen Karina Milei und dem mächtigen Kommunikationsberater Santiago Caputo öffentlich, die gemeinsam mit Milei das selbsternannte „eiserne Dreieck der Macht“ bilden. In La Libertad Avanza scheint es somit an mehreren Stellen zu brodeln, was u.a. im Konflikt zwischen Milei und seiner Vizepräsidentin Victoria Villaruel, aber auch an den ständigen Personalwechseln in der Regierung selbst sichtbar wird.
Ausblick
Der Ausgang der Wahlen in der Stadt Buenos Aires macht deutlich, dass sich das argentinische Parteiensystem in einem tiefgreifenden Transformationsprozess befindet. Die traditionellen Parteien finden keine überzeugenden Antworten auf das Phänomen Milei. Obwohl durchaus Kritik am einseitig makroökonomisch orientierten Programm der Regierung geäußert wird, scheint das Thema Wirtschaft weiterhin wahlentscheidend zu sein.
Auch die diskursiven Grenzüberschreitungen im Wahlkampf, der Einsatz von Fake News von Sympathisanten der Regierung und die Glaubwürdigkeitseinbußen Mileis haben den Fragmentierungsprozess der traditionellen politischen Kräfte nicht gestoppt. Sollten sich die Tendenzen der ersten lokalen Wahlen dieses Jahres bestätigen, ist ein deutlicher Erfolg der Regierungspartei LLA im Oktober denkbar.
Jedoch ist die junge wirtschaftspolitische Stabilität fragil und auch die unterschwelligen Konflikte und Ungereimtheiten im Regierungslager erinnern daran, dass der Wind sich in der argentinischen Politik sehr schnell drehen kann.
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