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KAS Peru

Country Reports

Machtkampf ohne Volk

Während sich die Institutionen Perus in einem Konflikt um vorgezogene Neuwahlen aufreiben,
herrscht auf der Straße Ruhe

Seit Monaten wird die politische Szene Perus durch einen Abnutzungskampf zwischen Präsident Martín Vizcarra und der Mehrheit des peruanischen Parlaments bestimmt. Jüngster Zankapfel ist die Ankündigung der Regierung, eine vorzeitige Neuwahl herbeiführen zu wollen. Doch die Hürden hierfür sind hoch. In Ermangelung der notwendigen Mehrheiten im Parlament versucht Vizcarra, die Straße zu mobilisieren. Bisher ohne durchschlagenden Erfolg.

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„Peru - (…) Mehr als 32 Millionen Menschen. Erben antiker Zivilisationen (…). Aber heute läuft etwas verkehrt. Die Korruption (…) hat dazu geführt, dass wir das Vertrauen in unsere Repräsentanten verloren haben. Das Land ist ermüdet und fordert einen sofortigen Wandel.“

Mit diesen Worten beginnt ein professionell produzierter Videoclip, welcher derzeit im Netz weitergereicht wird. Produziert wurde er von der peruanischen Regierung. Die Intention des Clips ist klar. Er soll das Volk hinter dem jüngsten Manöver von Präsident Martín Vizcarra versammeln – der Ankündigung, die eigene Amtszeit bereits ein Jahr früher beenden und sowohl das Staatsoberhaupt als auch das Parlament komplett neu wählen lassen zu wollen. Das Problem dabei: Die peruanische Verfassung lässt dies nicht zu. Einzige Ausnahme – der Präsident sowie seine Vizepräsidentin, Mercedes Aráoz, treten gleichzeitig zurück. Aráoz jedoch will weder zurücktreten, noch unterstützt sie vorgezogene Neuwahlen.

Institutioneller Dauerkonflikt

Obwohl die seit 2016 laufende Legislaturperiode erst gut drei von fünf Jahren währt, zeigt die derzeitige Machtkonstellation terminale Erschöpfungsanzeichen. Grund ist ein institutioneller Dauerkonflikt zwischen Präsident und Kongress, dessen Grundsteinlegung auf die Wahlen 2016 zurückgeht. Aus diesen ging der rechtsliberale Pedro Pablo Kuczynski siegreich hervor, nur gut 40.000 Stimmen vor seiner Kontrahentin Keiko Fujimori. Aufgrund des kuriosen peruanischen Wahlsystems konnte ihre Partei, die national-populistische „Fuerza Popular“ (FP), jedoch eine absolute Mehrheit von 73 der 130 Sitze im peruanischen Kongress gewinnen. Frau Fujimori, die ihre eigene Niederlage bestenfalls halbherzig akzeptierte, setzte auf eine konfrontative und teilweise destruktive Oppositionstaktik, statt eine gemeinsame Agenda zu suchen. Peru verspielte somit die Möglichkeit, die beachtlichen inhaltlichen Überschneidungen zwischen Regierung und Opposition zur Lösung des wirtschaftlichen und politischen Reformstaus zu nutzen.

Auch nach dem erzwungenen Rücktritt Präsident Kuczynskis im März 2018 ging der institutionelle Konflikt unvermindert weiter. Im Gegensatz zu Kuczynski, der zwischen Konfrontation und Dialog gegenüber Frau Fujimori und dem Kongress geschwankt hatte, legte sich Vizcarra unter dem Eindruck von Ermittlungsergebnissen bezüglich korrupter Netzwerke zwischen Justiz und Politik schnell auf eine konfrontative Linie fest. Diese verfolgt er seither unbeirrt.

Zunächst kündigte Vizcarra ein Verfassungsreferendum u.a. zum Verbot der Wiederwahl von Kongressabgeordneten an, welches er im Dezember 2018 deutlich gewann. Anschließend peitschte er eine Vertrauensfrage durch das Parlament, um für ein Paket an politischen Reformen Zustimmung zu bekommen. Während der Kongress einige Reformen verabschiedete, lehnte er die vom Präsidenten vorgeschlagene Abschaffung der strafrechtlichen Immunität der Parlamentsabgeordneten jedoch ab. Daraufhin zog Vizcarra öffentlich den Schluss, dass ein Regieren mit diesem Kongress unmöglich sei. Bei der alljährlichen Rede am peruanischen Nationalfeiertag forderte er am 26. Juli 2019 Neuwahlen: „Peru schreit nach einem Neuanfang (…). Diese Neuwahl wird die Grundlagen unserer Republik stärken, auch wenn sie bedeutet, dass wir alle gehen müssen.“

In Ermangelung einer eigenen parlamentarischen Basis versucht Vizcarra seit seinem Amtsantritt, sich selbst an die Spitze der allgemeinen Enttäuschung über die Politik zu setzen. So präsentiert sich der Staatschef besonders dann gerne als Erfüller des „Willen des Volkes“1, wenn er zu einem verbalen oder institutionellen Schlag gegen den unbeliebten Kongress ansetzt. Der ultimative Schritt auf diesem Weg ist in dieser Logik die Bereitschaft, durch Neuwahlen auch das eigene Mandat dem Volkswillen zu opfern. Kritik an seiner Amtsführung, etwa in Zusammenhang mit der Rücknahme der Genehmigung eines Bergbauprojektes bei Arequipa nach gewaltsamen Protesten lässt er mit dem Argument an sich abprallen, seine Kritiker wollten nur von den Neuwahlen (und damit dem Volkswillen) ablenken.2 Derartige Argumente bringen Vizcarra immer wieder den Vorwurf des Populismus ein.

Allein nach Umfragewerten zu urteilen, ist seine Taktik durchaus erfolgreich. Nach einer jüngsten Umfrage des Institutes DATUM verfügt Vizcarra über im lateinamerikanischen Vergleich beachtliche 52 Prozent Zustimmung, während die Zustimmungswerte zur Arbeit des Kongresses im einstelligen Bereich liegen. Manch ein Beobachter stellt jedoch die Frage, wie viel dem Präsidenten gute Umfragewerte nutzen, da ihm eine direkte Wiederwahl untersagt ist.

Unbeliebtes Parlament

Die weiter maßgeblich von FP dominierte Mehrheit im Kongress tut unterdessen viel, um sich die öffentliche Abneigung redlich zu verdienen. Besonders kritisiert wurde etwa der im Parlament verabschiedete und schließlich vom Verfassungsgericht kassierte Versuch, öffentliche Werbeaufträge an private Medien zu verbieten. Als Reaktion auf die guten Umfragwerte des Präsidenten setzte der Kongress eine Kommission ein, um die Arbeit der Umfrageinstitute zu überwachen. Die Kongressmehrheit fiel auch immer wieder dadurch auf, dass sie präsidentielle Gestzesinitiativen fast provokant halbherzig behandelte und schwer unter Korruptionsverdacht stehende Personen wie etwa den Staatsanwalt Pedro Chávarry durch ihre Mehrheiten vor Strafverfolgung schützte.

Begleitet wird diese Situation von einem mit harten Bandagen ausgefochtenen Kampf der Meinungsmacher, darunter mehr oder weniger ernst zu nehmende Pressekommentatoren, Experten und Online-Aktivisten. Aus dem Umfeld des harten Kerns der Fujimori-Unterstützer wird suggeriert, dass in Peru keine rechtsstaatlichen Grundsätze gelten und die Justiz politisch agiere. Insbesondere die Verhängung einer 36- monatigen Untersuchungshaft gegen Keiko Fujimori aufgrund des Verdachtes illegaler Wahlkampffinanzierung im Dezember 2018 wird von ihrer Partei als „politische Verfolgung“3 interpretiert. In Zeitungskolumnen werden Verschwörungstheorien verbreitet, darunter etwa, dass Präsident Vizcarra das Land, unterstützt von linken NGOs und dem US-Finanzinvestor George Soros, in einen autoritären Staat steuern wolle4 – eine These, die einige Kongressabgeordnete befeuern, wenn sie, wie Carlos Tubino oder Mauricio Mulder, öffentlich darüber spekulieren, ob Präsident Vizcarra ein „Diktator“ sei.

Auf der anderen Seite sehen linke Aktivisten und Kommentatoren in der jetzigen Krise die Möglichkeit, die Empörung im Volk zu nutzen, um nicht nur die Fujimori-Anhänger politisch zu zerstören sondern auch das marktwirtschaftliche Entwicklungsmodell des Landes aufzubrechen. Insbesondere herrscht die Hoffnung, die während des Fujimori-Regimes erlassene Verfassung von 1993, die den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft stark begrenzt, via verfassungsgebende Versammlung durch eine neue Magna Charta ersetzen zu können. Eine der prominentesten Fürsprecherinnen dieser Linie ist Verónica Mendoza, unterlegene Kandidatin bei der Präsidentschaftswahl 2016. Neuwahlen sind für Mendoza der erste wichtige Schritt in Richtung einer neuen Verfassung. Die Aussicht auf eine solche ist jedoch nicht nur für die fujimoristas sondern auch für weite Teile des politischen Establishments ein Anathema. Viele Experten führen das beeindruckende wirtschaftliche Wachstum im Land während der letzten zwei Dekaden auch immer wieder maßgeblich auf die geltende Verfassung zurück.

Offener Machtpoker

Die möglichen weiteren Wendungen des herrschenden Machtkampfes bleiben unübersichtlich und unvorhersehbar. In einem Szenarium sich auflösender und neu gruppierender Parlamentsfraktionen ist etwa nicht klar, wie viele Abgeordnete dem harten, zu fast allem bereiten Oppositionskern gegen den Präsidenten angehören. Bereits eine einfache Mehrheit von 66 Stimmen würde theoretisch reichen, um Neuwahlen zu verhindern. Das Parlament hat die Abstimmung aber bisher in gewohnter Manier durch prozedurale Tricks verzögert und so Zeit gewonnen. Manche Abgeordneten sprechen sich auch für ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Staatschef aus. Damit ein solches Erfolg hat, braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, also 87 Stimmen.

Auch der Präsident hat jedoch ein As im Ärmel. Wenn die zweite Vertrauensfrage innerhalb einer Legislaturperiode abgelehnt wird (die erste wurde bereits 2017 abgelehnt), darf er das Parlament auflösen. Viele Beobachter sehen den Selbsterhaltungstrieb der Abgeordneten bisher als wesentlichen Faktor dafür, dass Vizcarra letztlich die notwendigen Mehrheiten mit Zähneknirschen erhalten hat. Im letzten Jahr der Legislaturperiode, also ab Juli 2020, verliert Vizcarra laut Verfassung die Möglichkeit zur Auflösung des Parlamentes und damit eines seiner wichtigsten Machtmittel. Es ist durchaus möglich, dass Vizcarra auch deshalb Neuwahlen fordert, um sich dieses eine Jahr als „lame duck“ zu ersparen.

Der Präsident hat bereits offen über die Möglichkeit spekuliert, vom Mittel der Vertrauensfrage erneut Gebrauch zu machen, um das Parlament zu zwingen, die angestrebte Neuwahl herbeizuführen. Allerdings ist es unter Verfassungsrechtlern umstritten, ob eine Vertrauensfrage an eine Verfassungsänderung geknüpft werden darf. Eine rechtliche Klärung dieser Frage könnte wieder zusätzliche Zeit kosten und die vorzeitige Ausrufung von Wahlen so faktisch unmöglich machen.

Egal wie der Machtkampf letztlich ausgeht – es ist derzeit kaum vorstellbar, wie in einem solchen Klima lösungsorientierte Sachpolitik noch möglich sein soll. Der Ruf Vieler nach Neuwahlen ist deshalb durchaus verständlich und logisch. Er wird jenseits aller politischen Passionen auch von vielen Peruanern der politischen Mitte geteilt, die die Schuld an der Politikblockade nicht allein auf einer der beiden Seiten sehen.

Das grundlegende Problem ist jedoch, dass Präsident Vizcarra die Forderung nach Neuwahlen vor allem als Konfrontationsargument gegenüber dem Kongress zu nutzen scheint. Aus der Reibungskraft dieser Konfrontation sucht er Zustimmung zu gewinnen. Was in diesem Spiel weder die Parlamentsmehrheit noch der Präsident genuin anzustreben scheinen, ist ein politischer Kompromiss. Genau dieser wäre aber notwendig, um entweder eine minimale Reformagenda in den knapp zwei Jahren der verbleibenden Legislaturperiode zu konstruieren oder aber vorzeitige Neuwahlen, wie vom Präsidenten gewünscht, im April 2020 durchzuführen.

Der Versuch der Regierung, die Straße hinter dem eigenen Vorschlag zu versammeln und so den Kongress unter Druck zu setzen ist bisher nicht erfolgreich. Auch wenn eine deutliche Mehrheit im Volk allen Umfragen zufolge Neuwahlen bevorzugt, fanden sich am 5. September nur wenige Tausend Peruaner zu einer Großkundgebung für den Regierungsvorschlag zusammen. Dies ist eine aus Sicht der Veranstalter sehr enttäuschende Zahl. Insbesondere gilt dies, da die Regierung selbst einen Tag vor der Demonstration das weiter oben erwähnte Video veröffentlichte, der Präsident am Tag des Protestmarsches diesen noch als „vollkommen berechtigt“ gewürdigt hatte und Gerüchte lanciert wurden, Vizcarra selbst würde an der Demonstration teilnehmen. Zudem mobilisierten wichtige Organisationen der Zivilgesellschaft sowie mit Veronica Mendoza und Julio Guzmán zwei der prominentesten Präsidentschaftskandidaten.

Der Konfrontation überdrüssig

Die geringe Bereitschaft der Menschen, durch Demonstrationen eine aktivere Rolle in diesem Machtkampf einzunehmen deutet darauf hin, dass die peruanische Bevölkerung der ständigen politischen Konfrontation der letzten Jahre zunehmend überdrüssig wird. Ein Präsident, der indirekt dazu aufruft, unter anderem für die Verkürzung des eigenen Mandates auf die Straße zu gehen, ist nur eine weitere Absurdität in diesem Spiel voller merkwürdiger Wendungen.

Weitab von einer revolutionären Stimmung geht der Alltag im Land mit stoischer Ruhe seinen Gang. Aller Voraussicht nach werden die Peruaner egal ob 2020 oder 2021 wieder relativ ungerührt zur Wahlurne schreiten. Wie bei den letzten Urnengängen üblich, spricht vieles dafür, dass sich die Wahl auch wieder erst in den letzten Tagen vor dem Wahltermin entscheiden wird. Es ist auch zu erwarten, dass Peru dann wieder von einem schwachen Staatsoberhaupt ohne starke parteipolitische Anbindung und mit einer fragilen Parlamentsfraktion regiert werden wird. Wie so oft wird dann bedauert werden, dass man die Möglichkeit zur Verabschiedung von politischen und wirtschaftlichen Reformen hat verstreichen lassen. Solche wären jedoch dringend notwendig, um die politischen Institutionen zu stärken, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und die Infrastruktur im Land zu verbessern.

Diese Situation ist zwar durchaus bedauerlich, allerdings alles andere als neu. Wären nicht die reißerischen Titelseiten der Zeitungen im Straßenbild, die beständig ein politisches Armageddon ankündigen - von der politischen Dauerkrise würde man im Alltag kaum etwas merken.

 

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Sebastian Grundberger

Sebastian Grundberger

Head of the Regional Programme Party Support and Democracy in Latin America and the Uruguay Office

sebastian.grundberger@kas.de +51 1 41 66 100

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