Macky Sall hatte am Samstagnachmittag, den 03.02.2024, kurz vor dem offiziellen Kampagnenbeginn das Dekret[1] zur Einberufung der Präsidentschaftswahlen mit einem weiteren Dekret[2] aufgehoben. Diese Entscheidung war aus Sicht Salls notwendig – aber entspricht diese Einschätzung den Tatsachen? Und wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Der Auslöser, der die Prozesse in Gang setzte, die letztendlich zur Verschiebung der Wahlen führte, war die Ausmusterung des Spitzenkandidaten der Partei PDS, Karim Wade, wegen einer zu spät annullierten doppelten Staatsbürgerschaft (senegalesisch und französisch). Wade zweifelte daraufhin die Kompetenz und Unvoreingenommenheit des Verfassungsrates an, der diese an sich legale Entscheidung getroffen hatte - die doppelte Staatsbürgerschaft ist laut Gesetz ein Ausschlusskriterium für eine Präsidentschaftskandidatur. Wade beschuldigte daraufhin zwei Richter der Korruption und Befangenheit, seine Fraktion reichte einen Antrag auf Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission ein. Einen weiteren Antrag zur Änderung des Wahlgesetzes, der u.a. die Verschiebung der Wahl vorsah, legte die PDS parallel vor. Dieser Antrag konnte vom Parlament aber so kurz vor dem geplantem Kampagnenbeginn weder angenommen noch debattiert, geschweige denn beschlossen oder abgelehnt werden. Als kurz danach auch noch bekannt wurde, dass auch die Kandidatin Rose Wardini ihre doppelte Staatsbürgerschaft schlichtweg verschwiegen hatte, berief sich Macky Sall auf diese beiden Fälle und führte an, dass die gegenwärtige Gemengelage und Unsicherheiten rund um die Kandidaten mit der sehr realen Gefahr einer Nichtakzeptanz der Wahlergebnisse einhergehen und das Land somit in eine politische Schieflage geraten könne. Er lud zu einem nationalen Dialog ein, um die Bedingungen einer transparenten, demokratischen und friedlichen Wahl neu zu verhandeln. Anders als in der Berichterstattung dargestellt, stand die Verschiebung der Wahlen zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest.
Verschiebung der Wahlen – rechtmäßig oder nicht?
Nach dieser Ankündigung brach ein mediales Gewitter los. Die Oppositionskandidaten, untereinander normalerweise keineswegs einig, traten gemeinsam vor die Presse. Communiqués wurden im Minutentakt veröffentlicht. Die Amerikaner gehörten mit zu den ersten internationalen Partnern, die ihre Besorgnis kundtaten. Sogar der Erzbischof und die Liga der Imame äußerten sich besorgt öffentlich. Einen Tag später wurde schließlich eine Sondersitzung des Parlaments einberufen, um den Antrag der PDS genau zu prüfen. Er wurde zur Debatte und Abstimmung für den folgenden Tag angenommen. Am Sonntagnachmittag fanden in einigen Außenbezirken der Hauptstadt erste Kundgebungen statt, initiiert von enttäuschten Kandidaten, die ihre Kampagnen eröffnen wollten. Es gab temporäre Festnahmen von Politikern und Journalisten, alle wurden aber sehr schnell wieder frei gelassen. Kleinere Menschenmengen wurden von der Gendarmerie mittels Tränengases aufgelöst. Als problematisch zu bewerten sind in diesem Zusammenhang die Festnahmen von Aktivisten, denen verbale Angriffe auf die Regierung und Aufrufe zum Aufstand über die sozialen Medien vorgeworfen wurden. Am Sonntagabend wurde zusätzlich das mobile Internet sowie das Signal des Senders Walfadjiri abgeschaltet.
Am Montag, dem 05.02.2024, debattierte das Parlament in einer weiteren Sondersitzung mit starker Sicherheitspräsenz weiter. Verschiedene Gruppierungen hatten im Vorfeld eine Großdemonstration vor dem Parlament angekündigt, letztendlich waren aber nur einige wenige Demonstranten diesem Aufruf gefolgt. Spät am Abend kam es dann zur Abstimmung und zur Annahme des Antrags, allerdings mit Stimmen, die zum größten Teil von Seiten der Regierungskoalition kamen. Die Opposition konnte an der Abstimmung nicht teilnehmen: Sie war vorher von den Sicherheitskräften aus dem Saal geführt worden, weil sie die Abstimmung blockierte. Sie hatte eine Verlängerung der Debatte gefordert; diesem Antrag wurde aber nicht stattgegeben. In diesem Zusammenhang erscheint es vielen Analysten als bemerkenswert, dass ein durch die Opposition gestellter Antrag letztendlich allein durch die Stimmen der Regierungskoalition im Parlament genehmigt wurde. In diesem Vorgehen liegt in der Tat ein Widerspruch und ein Abweichen vom regulären politischen Abstimmungsverhalten, was Fragen aufwirft. So gibt es mittlerweile Stimmen, die hier eine Absprache zwischen der Oppositionspartei PDS und Macky Sall sehen, mit dem Ziel, Macky Sall ein Instrument zur Verschiebung der Wahlen an die Hand zu geben. Diese Vorwürfe lassen sich aber weder bestätigen noch widerlegen.
Es ist wichtig, klarzustellen, dass die Durchführung der oben genannten Verfahren nach der Interpretation verschiedener senegalischer Experten legal und verfassungskonform war. So hat der Präsident sehr wohl die Berechtigung, im Ausnahme- bzw. Notfall eine Wahl zu verschieben. Unklar – und damit problematisch - ist allerdings, was eine solche Ausnahme genau konstituiert und unter welchen Bedingungen diese Regeln tatsächlich greifen. Es gibt in der senegalesischen Geschichte kein vergleichbares Ereignis, so dass Präsident Macky Sall mit seinem Vorgehen einen Präzedenzfall geschaffen hat. Klar ist allerdings, dass im Senegal gerade ein Kampf um die Hoheit verschiedener staatlicher Institutionen und die Gewaltenteilung im Staat stattfindet, dessen Ausgang noch ungewiss ist. Macky Sall hat in der Vergangenheit versichert, kein drittes Mandat ausüben zu wollen, die Prinzipien der Demokratie zu respektieren und sich nicht in die Arbeit der Institutionen einzumischen. Das kauft ihm die Bevölkerung aber nicht mehr ab, denn genau das hat er mit seinem Handeln nun getan. Er hat auf Grundlage seiner präsidialen Allmacht eine Wahl verschoben – diese soll jetzt am 15.12.2024 stattfinden - und damit sein Mandat um fast ein Jahr verlängert. Die große Frage, die sich nun alle stellen, ist, ob es dabeibleiben wird oder ob dieser Aufschub noch ganz andere Möglichkeiten bietet. Ist die Verschiebung der Wahl also tatsächlich so zu verstehen, dass sich hier ein Präsident über seine eigene Amtszeit hinaus an der Macht halten möchte? Es heißt, dass die Regierungskoalition unter Macky Sall im Vorfeld der Wahlen zu der internen Einschätzung kam, dass der vom Präsidenten designierte Kandidat Amadou Ba, amtierender Premierminister, nicht den erhofften Wahlsieg erringen würde. Er war schon bei seiner Nominierung umstritten, mehrere andere Parteigrößen hegen Hoffnung auf eine Kandidatur. Manche Beobachter sehen die Verschiebung der Wahl also vor allem darin begründet, dass die Regierung eine absehbare Wahlniederlage abwenden wollte. Die Bevölkerung Senegals ist argwöhnisch. Sie erlebt zu viel Allmacht des Staates und eine politische Elite, die vor allem ihre eigenen Interessen voranstellt. Da keimt schnell der Verdacht auf Machterhaltung durch „diktatorische Maßnahmen“ auf – auch wenn sich dieser nicht nachweisen lässt.
Staatsstreich: nein – Imageverlust: ja
Klar ist aber: Macky Sall und Senegal haben schon jetzt deutlich an Ansehen verloren. Mit einer einzigen Entscheidung hat der Präsident sich selbst und den westafrikanischen Vorzeigestaat, der auch für viele europäische und internationale Akteure ein wichtiger Partner ist, in Misskredit gebracht. Die Reaktion dieser fällt zum Teil heftig aus: Man spricht von Staatsstreich und stellt die Ereignisse in Senegal undifferenziert in eine Reihe mit den undemokratischen Machtwechseln in den Sahelstaaten. Das ist nicht nur faktisch inkorrekt, sondern geht auch mit einem großen Imageschaden für Senegal einher.
Ein Staatstreich[3] ist laut Definition ein illegales Absetzen einer Regierung durch andere etablierte Träger staatlicher Funktionen, ggf. auch unter Anwendung von Gewalt. In Senegal wurde aber eine Wahl verschoben, keine amtierende Regierung gestürzt. Natürlich muss beleuchten werden, ob dieses Phänomen verfassungs- und regelkonform ist. Die Gleichstellung mit den Krisenländern des Sahel ist aber falsch, denn der Kontext ist ein gänzlich anderer. Die Nachbarstaaten befinden sich schon länger in einer sicherheitsrelevanten Ausnahmesituation. Sie bekämpfen nicht nur den wachsenden Einfluss externer Akteure wie z.B. dem IS, sondern leiden auch unter weitreichenden internen Konflikten um Ressourcen und Landnutzung entlang ethnischer Linien. Die staatlichen Institutionen der Sahelstaaten waren schon lange vor den Putschen sehr schwach und nicht in der Lage, ihre Bevölkerungen auch nur mit grundlegenden Dienstleistungen zu versorgen. Das führte zu einer starken Ablehnung des Staates und der politischen Eliten mit ihren engen Verbindung zu Frankreich. Als die Unzufriedenheit auf Grund der immer schlechter werdenden Sicherheitslage immer mehr zunahm, riss das Militär schließlich die Macht an sich - im Übrigen mit zeitweise großer Zustimmung der Bevölkerung. Seitdem werden Wahlen immer wieder verschoben, die Kooperation mit Partnern wie Russland wird ausgebaut und bisherige Bündnisse wie das mit der ECOWAS werden aufgekündigt - mit Auswirkungen insbesondere für die Bevölkerung: Visafragen, Handelsabkommen, Versorgungskorridore, internationale Abkommen und Förderprogramme etc. stehen zur Debatte. Dieses Vorgehen trägt zu einer weiteren Destabilisierung bei, der westliche Partner ratlos gegenüberstehen.
Die politische Krise im Senegal ist sehr komplex, findet im Vergleich zur oben geschilderten Situation aber dennoch in einem an sich stabilen demokratischen Umfeld mit funktionierenden Institutionen statt. Senegals Armee gilt als republikanisch, sie mischt sich nicht in innere politische Krisen ein. Ihr Auftrag ist die Sicherung der Integrität des senegalesischen Territoriums und die Sicherheit der Bevölkerung. Zwar haben in Senegal manche Institutionen an Ansehen und Vertrauen verloren, weil sie in interne Machtkämpfe verwickelt sind, aber sie funktionieren nach wie vor und bemühen sich, verfassungskonform zu agieren. Die Nachbarländer sind im direkten Vergleich sehr viel fragiler.
Wie kann Senegal aus der Krise finden?
Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass sich Senegal aktuell in einer innenpolitischen Ausnahmesituation befindet, welche die Stabilität des Landes auf die Probe stellt. Sowohl innerhalb der Institutionen als auch in der Bevölkerung wird aktuell intensiv darüber diskutiert, wie sich diese Krise am besten lösen lässt. Zumindest die nächsten Schritte sind klar: Zuerst einmal muss die eingesetzte Untersuchungskommission ihre Arbeit machen, die verschiedenen Gegenklagen der Beschuldigten müssen behandelt werden. Dies kann wiederrum dazu führen, dass die Kommission ihre Arbeit unterbrechen muss. Der juristische Rahmen der Entscheidungen bzgl. deren Legitimität wird Gegenstand von Analysen und Diskussionen sein. Die Institutionen müssen sich stabilisieren und ihre Funktionalität beweisen, um das Vertrauen der Bevölkerung wiederzuerlangen. Auch müssen die internationalen Bündnisse und Partner befriedet werden. Forderungen zu einer Rückkehr zum ursprünglichen Wahltermin stehen von deren Seiten aus im Raum, der Ton wird schärfer. Es geht um die Verlässlichkeit eines Staates, der bislang in der ECOWAS, der Afrikanischen Union, der EU und der UN als verlässlicher und demokratischer Partner sehr geschätzt war.
Unruhe droht aktuell vor allem von Seiten bestimmter zivilgesellschaftlicher Akteure wie z.B. F24 (einer Plattform aus Aktivisten) und den Gewerkschaften, die scharfe Kritik ausgesprochen haben und sich mobilisieren, sowie von manchen der Präsidentschafts-Kandidaten, die der Wahlverschiebung zum Trotz ihre Kampagnen durchführen wollen. Von letzteren geht derzeit das größte Unruhepotential aus, denn sie haben viele Ressourcen in ihren geplatzten Wahlkampf investiert und wurden nun ausgehebelt. Mit Kundgebungen ist zu rechnen. All diese Akteure rufen die Bevölkerung zur Unterstützung auf. Bislang sind diese Aufrufe jedoch verpufft. Die Menschen scheinen müde und mit ihrem dem Alltag beschäftigt zu sein: Kinder müssen während Schulschließungen betreut werden. Transportwege sind neu zu organisieren. Viele haben keine Einkünfte, wenn es auf Grund von Demonstrationen und Gewalt zu Stillstand kommt. Die Bevölkerung ist aber auch wachsam. Sie ist gereift und wird nicht mehr jedem Wahlversprechen glauben. Sie werden auf die Straße gehen, wenn es notwendig wird. Wachsam sind allerdings auch die senegalesischen Sicherheitskräfte, die mittlerweile sehr gut ausgerüstet sind und die wichtigen Verkehrsadern und öffentliche Einrichtungen sichern.
Der von Macky Sall angekündigte nationale Dialog könnte tatsächlich eine Chance sein, endlich offen und frei die Bedingungen einer Demokratie auf den Prüfstand zu stellen. Einen nationalen Dialog gab es bereits im letzten Jahr, unmittelbar nach den Aufständen. Die Teilnahme an diesem hatte die Opposition allerdings verweigert. Angesichts dieser Erfahrungswerte stellt sich die Frage, ob es Präsident Macky Sall dieses Mal gelingen wird, alle relevanten Akteure an einen Tisch zu bringen. Derzeit ist ein Vorschlag Macky Salls für ein Amnestie-Gesetz in der Diskussion, dass zwischen 2021 und 2023 inhaftierten politischen Akteuren die Wiedererlangung der Freiheit, aber auch die Teilnahme an besagtem Dialog ermöglichen würde. U.a. würde auch der bekannte Oppositionspolitiker Ousmane Sonko freikommen.
Trotz aller Herausforderungen und der gegenwärtigen Krisenstimmung gibt es aber dennoch Anlass zur Hoffnung, dass sich Senegal politisch wieder stabilisiert und die Krise auf gütliche und demokratische Art und Weise gelöst werden kann. Dafür spricht eine Reihe von Faktoren, welche die Resilienz der senegalesischen Demokratie und Bevölkerung hervorhebt: 1.) Eine lange demokratische Tradition in Land und Gesellschaft, die bisherige Krisen gut abfedern und meistern konnte. 2.) Eine republikanische, gut ausgebildete und verantwortungsbewusste Armee, die bislang felsenfest zu ihren Werten steht und sich nicht manipulieren lässt. 3.) Ein friedliches Zusammenleben aller Ethnien und Religionen mit Unterstützung aller religiösen Gemeinschaften, und 4.) Eine wache Zivilgesellschaft, die den Staat in die Verantwortung nimmt. Senegal verfügt also über alle Instrumente, um diese Krise zu meistern. Jetzt ist es wichtig, wieder in ein demokratisches Handeln zu finden, in der auch die Stimmen der Bevölkerung ihren Platz finden und diese sich angemessen vertreten fühlen.
[2] aps.sn/le-projet-de-decret-abrogeant-la-convocation-du-college-electoral-rendu-public/
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Auslandsbüro Senegal und Gambia
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