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Veranstaltungsberichte

„Wir sind alle in einem Raster erfasst“

von Jan Middelberg

„DDR-Stasi – Spitzel von nebenan“

Am 5. Februar 2018 eröffnete die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Bremen die Ausstellung „DDR-Stasi – Spitzel von nebenan“ am Gymnasium Horn. Udo Scheer, Schriftsteller und Gründungsmitglied des oppositionellen Arbeitskreises Literatur und Lyrik Jena, berichtete den insgesamt 300 Schülerinnen und Schülern im Rahmen von zwei Veranstaltungen vom Leben in der DDR sowie von der Verfolgung durch die Stasi.

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Anna Ohlenmacher, Schülerin des Geschichtsleistungskurses am Gymnasium Horn, übernahm die Moderation und stellte ihren Mitschülern Udo Scheer und Boris Lettau vor. Nach dieser Einleitung begrüßte Boris Lettau die zahlreich erschienenen Schülerinnen und Schüler im Namen der Konrad-Adenauer-Stiftung und leitete thematisch in die Veranstaltung ein.

Udo Scheer begann mit einem Vergleich der Geheimdienste. Hierbei betonte er, dass Geheimdienste seines Erachtens nach zwar notwendig seien, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS oder Stasi) jedoch in allen Belangen „über die Stränge geschlagen hat“. So kamen 1989 in der DDR auf etwa 16 Millionen Einwohner 91.000 hauptamtliche Stasimitarbeiter und 189.000 Spitzel, auch Inoffizielle Mitarbeiter (IMs) genannt. Im Gegensatz dazu hatten alle bundesdeutschen Geheimdienste gemeinsam gerade einmal 6.000 Mitarbeiter – bei über 63 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Diese Zahl reichte für ihre Aufgaben allerdings auch aus. Welche Aufgaben dies denn seien, wollte Scheer von den Schülerinnen und Schülern wissen. „Spionage“ und „innere Sicherheit“ kamen als Antworten aus dem Publikum. Dies seien die wichtigsten Aufgaben von Geheimdiensten in einer Demokratie, bekräftigte Scheer. Die Stasi habe jedoch zum Überwachen der eigenen Bevölkerung sowie dem Ausfindigmachen und Zersetzen von oppositionellen Meinungen existiert. Typisch für eine Diktatur. Im Übrigen besaß das MfS – im Gegensatz zu den bundesdeutschen Geheimdiensten – exekutive Befugnisse, konnte also Personen festnehmen.

Ein weiteres Mittel der Stasi war die Planung des Lebens der Menschen von oben herab, „von jedem Kaninchenzüchter- bis Briefmarkensammlerverein“ war alles durchstrukturiert. Besonders auffällig war dies im Leistungssport. Durch dieses „Rastersystem“ wurden sämtliche Auffälligkeiten registriert und ausgewertet. „Wir sind alle in einem Raster erfasst“, meinte Scheer und wollte vom Publikum wissen, wie diese Aussage gemeint ist. Dass er auf die sozialen Medien und das Internet im Allgemeinen anspielte, war den Schülerinnen und Schülern sofort bewusst. Auch dass Geheimdienste und Algorithmen diese Daten nutzen, um Wahlen, wie jüngst in den Vereinigten Staaten oder beim sogenannten „Brexit“, zu beeinflussen, war ihnen bekannt.

Die Rekrutierung neuer IMs war ebenfalls Aufgabe der Stasi. Sie hatte hierfür verschiedene Methoden, die Sie auch bei Jugendlichen an Schulen anwendeten. So hatte jeder Lehrer die Pflicht, ab einer bestimmten Klassenstufe zwei männliche Schüler auszuwählen, die in die Armee eingezogen werden sollten. Diese Listen bekam auch die Stasi, die die Jugendlichen, wenn keine Bedenken bestanden, mit Versprechungen und guten Aussichten auf einen Studienplatz anzuwerben versuchte, fuhr Scheer fort. Eine andere Methode sei es gewesen, Schülerinnen und Schülern, die negativ auffielen, mit Drohungen gegen die eigene Person, Familie und Freunde dazu zu zwingen, für die Stasi zu arbeiten. Es gab auch Prämien für IMs, „man konnte ein Auto schon nach zwei bis drei Jahren bekommen“, anstatt etwa zehn Jahre auf dieses warten zu müssen. IMs konnten zusätzlich auf finanzielle Förderungen und andere Vorzüge hoffen.

Umweltschutzbewegungen und die Kirche seien sehr interessant für die Stasi gewesen, da Umweltaktivisten aufgrund der katastrophalen Umweltverschmutzung in der DDR oft oppositionelle Ansichten hatten. Die Kirche war der einzige Raum, auf den der Staat nie vollen Zugriff hatte und hier wurde relativ frei und oft gegen den Staat gesprochen. Nicht nur hier, sondern vermehrt auch in der Bundesrepublik nutzte die Stasi so genannte „Romeo-IMs“. Ihr Auftrag sei es gewesen, sich beispielsweise bei den Sekretärinnen der Bundesregierung in Bonn durch Charme und vorgetäuschte Beziehungen Vertrauen zu erschleichen und vertrauliche Dokumente an die DDR weiterzugeben.

Ein Schüler fragte nach der Finanzierung dieses gewaltigen Sicherheitsapparats und der Gefängnisse, die über 250.000 politische Gefangene unterbringen mussten. Scheer erläuterte, dass die DDR sowie viele weitere Ostblockstaaten auch mitunter an der hierdurch mitverursachten finanziellen Notlage zerbrachen. Das gesamte System der „Planwirtschaft“ sei allerdings ineffizient und zum Untergehen verdammt gewesen.

Es kamen zudem Fragen bezüglich des direkten Umfelds von Udo Scheer auf. Dieser berichtete, dass auch einige Freunde inhaftiert wurden, einer von ihnen – Matthias Domaschk – starb unter bis heute ungeklärten Verhältnissen in Gefangenschaft. Die Stasi versuchte darüber hinaus, andere Mitglieder seines Arbeitskreises als IMs anzuwerben. Die einzige Möglichkeit, die man laut Scheer hatte, um aus den Fängen der Stasi zu entkommen, war das Vertrauen seiner Freunde zu verlieren und somit als möglicher Spitzel uninteressant zu werden. Nach der Veröffentlichung der Stasi-Akten erfuhr er zudem, dass auch einige seiner engen Bekannten Stasi-Spitzel waren.

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Dr. Ralf Altenhof

Dr

Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Bremen

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