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Länderberichte

Die Römer und ihr Bischof

von Katja Christina Plate, Silke Schmitt

Die ersten 100 Tage von Papst Franziskus

Am 21. Juni 2013 ist Papst Franziskus 100 Tage im Petrusamt. Er versteht sich zu allererst als Bischof von Rom. Wie also kommt Franziskus bei den Römern an? Und wie reagiert die römische Kurie auf den neuen Papst „fast vom Ende der Welt“?

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„Wer? Wer? Wer ist das? Wo ist er her?“ Kaum hatte Kardinalprotodiakon Jean-Louis Tauran am Abend des 13. März 2013 vom Balkon des Petersdoms den Namen des neuen Oberhauptes der Katholischen Kirche verkündet, wisperte und tuschelte es über den ganzen Petersplatz. Kaum einer, der mit dem Namen „Bergoglio“ auf Anhieb etwas hatte anfangen können. Die Ratlosigkeit schlug dann aber schon mit den ersten Worten von Papst Franziskus in Begeisterung um: „Buona sera!“, also „Guten Abend!“, grüßte dieser freundlich, gutgelaunt und volksnah.

Bei seinem allerersten Auftritt direkt nach seiner Wahl zum Papst, machte Franziskus deutlich, dass er sich zunächst als Bischof von Rom versteht. Was innerkirchlich als stärkere Betonung des Kollegialitätsprinzips unter den Bischöfen interpretiert wird, hat aber auch bei den Römern eine gute Resonanz gefunden. Sie empfinden Papst Franziskus tatsächlich als „ihren“ Bischof und verfolgten seine ersten Schritte: Als er am Tag nach seiner Wahl seinen Koffer aus der Unterkunft in der Altstadt abholte und den Zimmerpreis beglich; als er anschließend die Kirche Santa Maria Maggiore besuchte, um die dortige Marienikone zu verehren, die der Stadt Rom gewidmet ist; als er den Blindenhund eines Journalisten bei seiner ersten Pressekonferenz segnete; als er auf dem Gips eines kleinen Mädchens seine Unterschrift hinterließ – die Römer sind begeistert.

Nach Angaben einer im April veröffentlichten Studie von IPR Marketing , bewerten 92 Prozent der Italiener die Wahl von Papst Franziskus als positiv - auch 77 Prozent der Nichtkatholiken. 98 Prozent aller Italiener bewerten ihn als „sehr nah bei den Gläubigen“. Die Begeisterung der Italiener lässt sich aber nicht nur in Prozenten messen, sondern auch am immer noch ungebrochenen Zustrom zum Angelusgebet am Sonntagmittag ablesen sowie an den Teilnehmerzahlen an den Papstgottesdiensten auf dem Petersplatz oder den Generalaudienzen. „Hier ist an einem gewöhnlichen Mittwoch so viel los, dass wir nicht nur die Via della Conciliazione sondern auch die Seitenstraßen sperren müssen“, sagt ein römischer Polizist – und freut sich sichtlich darüber.

Scharen von italienischen Reisegruppen strömen meist mittwochs und sonntags in Richtung Petersplatz. Viele haben farbige Halstücher umgebunden und Mützen aufgesetzt, um sich in der Menschenmenge nicht zu verlieren. „Ich finde den Papst toll. Na, und als die Gemeinde eine Fahrt nach Rom organisierte, habe ich mich angemeldet. Ich will ihn doch auch einmal selber sehen!“, sagt Sergio aus den Abruzzen. Und dann sind da auch immer wieder die Argentinier. Mit argentinischen Fahnen und den Mützen von Franziskus’ bevorzugtem Fußballclub grüßen sie den Papst. Nach hundert Tagen kann man festhalten: Bei den Gläubigen – allen voran bei seinen Römern – ist Papst Franziskus höchst beliebt.

Der Papst und seine Angestellten: „Er hält uns auf Trab“

Papst Franziskus hat eine eigene Kommunikationsstrategie: Seine Botschaften vermittelt er oft schon beim Morgengottesdienst im Gästehaus des Vatikans, dem Domus Sanctae Marthae. Von den Mitarbeitern des Vatikans werden sie dann über die verschiedensten Kommunikationskanäle verbreitet. In der vatikaneigenen Zeitung, dem „Osservatore Romano“, können Interessierte jeden Tag eine kurze Zusammenfassung lesen. Wenn einmal etwas schief geht, wie aktuell, als ein privates Gespräch des Papstes mit chilenischen Ordensleuten mitprotokolliert und anschließend veröffentlicht wurde, bleiben Papst und kuriale Kommunikationsbeauftragte ruhig. Kein Kommentar zum privaten Gespräch. Aber eben auch kein Drama.

„Mich begeistert dieser Papst immer noch, auch noch nach den ersten 100 Tagen“, schreibt Pater Bernd Hagenkord, Leiter der deutschsprachigen Abteilung bei Radio Vatikann auf seinem Blog . „Er hält uns auf Trab und nicht nur uns, er macht und organisiert die Dinge ganz nach seiner eigenen Weise und wir müssen sehen, wie wir hinterher kommen. Aber das empfinde ich als wohltuend, rüttelt das unser System – auch beim Radio – doch heilsam durcheinander".

Ebenso wie die Neigung von Papst Franziskus, aus dem Protokoll auszubrechen und spontan auf die Menschen zuzugehen, treibt auch seine Entscheidung, nicht in den Apostolischen Palast zu ziehen, sondern im Gästehaus Domus Santae Martae zu bleiben, dem Sicherheitspersonal im Vatikan den Schweiß auf die Stirn. Er wisse, dass seine Präsenz im Gästehaus mitunter schwierig sei, entschuldigte sich Papst Franziskus, als er innerhalb des Gästehauses in ein kleines Appartement zog. „Aber wir leben hier wie Brüder“, so der Papst. Während einer Generalaudienz vor Schülern ergänzte Papst Franziskus, er müsse einfach unter Menschen leben. Alleine zu leben würde ihm nicht gut tun. Also bleibt er im Gästehaus, das er meist als „Convitto“, also Wohnheim bezeichnet. Dort empfing Papst Franziskus am 19. März übrigens auch die argentinische Präsidentin, Cristina Fernández de Kirchner, die mit ihm und seinen Mitbewohnern gemeinsam in der Mensa aß. Den Apostolischen Palast nutzt Papst Franziskus gegenwärtig lediglich für das sonntägliche Angelusgebet und für wichtige offizielle Staatsbesuche – etwa das Treffen mit dem italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano.

Staatspräsident Napolitano betonte bei seinem Antrittsbesuch im Vatikan die Nähe zwischen dem römischen Quirinals-Hügel – dem Amtssitz des italienischen Staatspräsidenten - und dem Vatikan. Dass der Papst den Namen Franziskus wählte, unterstreiche die „Liebe zu unserem Land“, so Napolitano. Der Heilige Franziskus von Assisi ist seit 1939 offizieller Schutzpatron Italiens. In Italien beschränke sich die Beziehung zwischen Staat und Katholischer Kirche keineswegs auf eine „institutionelle kalte“ Ebene, sondern sei „zutiefst gelebt“, so Napolitano, der dem Papst zum Abschied ein Gemälde mit einer Stadtansicht von Rom schenkte.

Wandel im Gefüge der Institutionen

Nachdem er zunächst einmal beobachtete, zuhörte und genau hinsah, beginnt Papst Franziskus nun auch in das Gefüge der vatikanischen Institutionen einzugreifen. Auch hier scheint das Gästehaus Domus Santae Martae zunehmend als Schaltzentrale eine wichtige Rolle einzunehmen: Mitte Juni ernannte Papst Franziskus Monsignore Battista Mario Salvatore Ricca zum Prälat der „Vatikanbank“ (IOR). Ricca ist nun das Verbindungsglied zwischen der Kardinalskommission und dem Aufsichtsrat des IOR, erläuterte Pater Federico Lombardi, Pressesprecher des Vatikans kürzlich. Nachdem das IOR seit Jahren wegen seiner Intransparenz im Brennpunkt der Kritik steht und erst im März wieder wegen angeblicher Geldwäsche Schlagzeilen machte, ist entscheidend, dass Ricca das vollste Vertrauen des Papstes genießt. Ricca ist als Direktor der vatikanischen Gästehäuser unter anderem auch für das Domus Santae Marthae zuständig. „Die zahlreichen Unterhaltungen mit Papst Franziskus, bisweilen beim Abendessen, haben ein aufrichtiges Vertrauensverhältnis geschaffen“, schreibt der Journalist Paolo Conti in der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera . Auch der neue Präsident des Aufsichtsrates des IOR, Ernst von Freyberg, der noch von Papst Benedikt XVI. ernannt wurde, lebt während seiner Aufenthalte in Rom mit dem Papst unter einem Dach.

Papst Franziskus spricht für vatikanische Verhältnisse ungewohnten Klartext und greift durch: Bereits wenige Wochen nach seiner Wahl kündigte Franziskus eine umfassende Kurienreform an und berief ein Beratungsgremium ein, das sich aus acht Kardinälen von fünf Kontinenten zusammensetzt. Ab Oktober sollen die Kardinäle diskutieren, wie der Verwaltungsapparat der Kirche effizienter zu gestalten ist. Das erscheint auch dringend nötig – immer wieder ist von Intrigen und Zwietracht bis hin zu offenem Hass zwischen kurialen Würdenträgern gesprochen worden. Der Papst selbst sprach von „sporcizia“ in der Kirche – „Schmutz“ also. Im Internet wird seit längerem gemutmaßt, dass der Papst die Vatikanverwaltung von einem Dreiergremium führen lassen will – offiziell bestätigt ist dies aber noch nicht. Anzunehmen ist jedoch, dass sich Franziskus, der sich selbst in erster Linie als Bischof von Rom versteht und damit als Bischof unter Bischöfen sieht, eine kollegiale Struktur der Ämter im Vatikan vorstellt und eine weniger eurozentristisch geprägte Verwaltung anstrebt.

Mit seinem Beratungsgremium soll Papst Franziskus bereits in engem Kontakt stehen. Zudem senden ihm Kardinäle aus aller Welt ebenfalls weitere Vorschläge zu, heißt es aus vatikanischen Kreisen. Franziskus setzt also auch bei der Kurienreform, die wahrscheinlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird, auf direkte Kommunikationswege. Dass der Papst gerne selbst zum Telefonhörer greift, berichten die Medien in regelmäßigen Abständen. So soll er nach der Wahl von Freyberg auch bei der Vatikanbank mit dem dringenden Wunsch angerufen haben, die Bank solle sich nun schnellstens den internationalen Standards anpassen.

Zwei Päpste im Vatikan

Nur knapp 200 Meter entfernt von Papst Franziskus lebt Papst Benedikt XVI. in dem ehemaligen Kloster Mater Ecclesiae. Wie oft sich die beiden Päpste ohne indiskrete Blicke der Öffentlichkeit sehen, weiß niemand. Es soll jedoch einen regen Austausch zwischen beiden geben. Zeichen dieser Verbundenheit ist die Nachricht, dass Papst Franziskus die von Benedikt XVI. begonnene Enzyklika zum Thema „Glauben“ veröffentlichen möchte. Zum ersten Mal in der Geschichte erscheint somit ein päpstliches Rundschreiben, das – wie es Papst Franziskus ausdrückte – „von vier Händen geschrieben wurde“. Es sei ein „starkes Dokument“ das sein Vorgänger begonnen habe und er nun fertig stelle. Benedikt habe große Arbeit geleistet, so Papst Franziskus.

Die gemeinsame Enzyklika macht die theologische Nähe der beiden Päpste deutlich. In den Medien wurden die beiden in den vergangenen 100 Tagen dabei oft als gar so unterschiedlich dargestellt: Franziskus als Anwalt der Armen, der auf Prunk verzichtet: Die Mozzetta, die roten Schuhe, das goldene Kreuz, den päpstlichen Thron bei der Ostermesse und sogar seine Papstwohnung im Apostolischen Palast. Papst Benedikt XVI. hingegen wurde damit unterschwellig seine päpstliche Traditionspflege quasi als „Luxus“ angekreidet. Dabei kann man die Lebensweise des emeritierten Papstes tatsächlich wohl kaum als übertrieben aufwändig bezeichnen. Die italienische Bloggerin Raffael-la sammelte Bilder der Papstwohnung im Apostolischen Palast, um zu zeigen, dass es dort, neben alten Möbeln und einem antiquarischen Telefonmodell eigentlich nur Bücher gab. Sie habe einfach genug von der Geschichte der angeblich luxuriösen Papstwohnung im Apostolischen Palast gehabt, so die Bloggerin.

Der Verdienst von Papst Franziskus „Symbolwandel im Kleinen“ – von Schuhen bis zur Wohnung – liegt also eher weniger in einem Beitrag zur Bescheidenheitsdebatte. Aber Papst Franziskus zeigt, dass institutionelle oder traditionelle Zwänge und Gegebenheiten nicht unüberwindbar sind. Auch nicht im Vatikan. Das gefällt den Römern und auch vielen im Vatikan.

Bewegung im Vatikan

Papst Franziskus wirkt im Kontakt mit den Gläubigen, im Gegensatz zu Benedikt XVI., sehr spontan und gelassen. Wenn sein Daumen herzlich nach oben zeigt, dann verzeihen ihm die Gläubigen, dass er die Ostergrüße nicht in 65 Sprachen aufgesagt hat. Der Spiegel bezeichnete ihn noch bei seiner Ernennung als medienscheuen Kardinal , was sich jedoch nach seiner Wahl keineswegs bestätigt hat. Papst Franziskus ist offen gegenüber neuen Medien und teilt Millionen von Gläubigen regelmäßig per Twitter Glaubensnachrichten mit. Wenn tausende Rocker in Lederjacken die Hände jubelnd nach oben reißen, um Papst Franziskus zu applaudieren, der sie und ihre Harley-Davidsons mit strahlenden Augen segnet, dann lebt er das, was er seinen Mitarbeitern im Mai in einem Morgengottesdienst mit auf den Weg gegeben hat: „Christen sind Menschen der Freude“.

Auch im Kontakt mit Kindern und Jugendlichen zeigt Papst Franziskus viel Fingerspitzengefühl: Bei der Begegnung mit 9000 Schülern italienischer und albanischer Jesuitenschulen legte der Papst seine Predigt mit den Worten zur Seite, sie sei mit fünf Seiten zu lang und auch etwas langweilig. Er gebe sie seinem Pressesprecher, damit man sie später nachlesen könne. Papst Franziskus schlug den Schülern hingegen kurzerhand vor, nach ein paar einführenden Worten seinerseits einfach ihre Fragen zu stellen: Dem lateinischen Wort Audienz gibt Franziskus damit seine ursprüngliche Bedeutung zurück: Audire – hören!

Es gibt viel zu hören und zu sehen von Papst Franziskus. Und die Römer hören und sehen gerne hin, wenn ihr Bischof spricht! In den ersten 100 Tagen des Pontifikats von Papst Franziskus hat sich weder in Rom noch im Vatikan alles verändert. Aber einiges ist in Bewegung geraten. Ein guter Anfang für den neuen Papst „fast vom Ende der Welt“!

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