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Kremlin.ru / Wikimedia Commons / CC BY 4.0

Länderberichte

Gipfeltreffen Putin-Biden

von Dr. Thomas Kunze, Leonardo Salvador
Zwischen Risiko-Minimierung und Geopolitik

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Vorfeld des Gipfeltreffens

Die Beziehungen zwischen Washington und Moskau hatten sich in den vergangenen Monaten kontinuierlich verschlechtert. Es wurden Sanktionen verhängt, Diplomaten ausgewiesen und Botschafter aus „Konsultationsgründen“ zurückbeordert. Joe Biden brüskierte die russische Seite, indem er Putin als „Killer“ bezeichnete. In den USA sorgte die russische Listung als „unfreundlicher Staat“ für Irritation.

Joe Biden hatte bereits im Vorfeld seiner Europareise in der Washington Post einen Artikel veröffentlicht, der einem Fahrplan gleichkam. Ziel sei es, „den schädlichen Aktivitäten der Regierungen Chinas und Russlands entgegenzutreten, die Vereinigten Staaten müssen die Welt aus einer Position der Stärke führen.“  Wiederholt betonte Biden, dass dies in enger Abstimmung mit den Verbündeten erfolgen müsse. Vor seinem Treffen mit Putin nahm er am G7- und am NATO-Gipfeltreffen teil. Die Botschaft war klar: Der Westen steht geschlossen da und vor allem – im Gegensatz zur Trumpschen Politik – stehen die USA an der Seite ihrer Verbündeten. Auch in Russland nimmt man dies zur Kenntnis, doch hier ist die Lesart eine andere. Die USA, so die Überzeugung, wollen einzelnen EU-Staaten keine russlandfreundliche Politik gestatten. In Moskau nimmt man aber auch wahr, dass Biden, trotz aller gegen den Kreml erhobener Vorwürfe, einen vergleichsweise schärferen Ton gegenüber Peking anschlägt und versteht dies als Botschaft: Mit Russland ist es möglich, stabile und berechenbare Beziehungen aufzubauen; gegen China werden jetzt jedoch alle Register gezogen.

Weder die russische noch US-amerikanische Seite rechneten im Vorfeld mit schicksalshaften Entscheidungen infolge des Gipfeltreffens in Genf. Trotzdem gab es in Moskau und Washington Hoffnungen, Bewegung bei einzelnen Punkten zu erzielen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow nannte explizit Syrien, Afghanistan und Nordkorea, übersetzt heißt dies, dass Themen wie der Kampf gegen islamistischen Terror und Proliferation auf der Agenda ganz oben stehen. Die stellvertretende US-Außenministerin Wendy Sherman erklärte, dass es Bereiche gebe, in denen „wir zusammenarbeiten müssen. Die Rüstungskontrolle war in der Vergangenheit einer von ihnen. Kurz vor dem Treffen, auf dem G7-Gipfel in Großbritannien, äußerte sich Joe Biden fast wortgleich, so wolle er Putin bei ihrer gemeinsamen Begegnung „klarmachen, dass es Bereiche gibt, in denen wir zusammenarbeiten können, wenn er das will“.

 

Ergebnisse

Nach dem Treffen am 16. Juni 2021 bestätigten beide Präsidenten unabhängig voneinander die sachliche und konstruktive Atmosphäre des Treffens. Es gäbe „nichts Besseres als ein vier-Augen Gespräch“ versicherte Biden. Putin fand lobende Worte für den US-Präsidenten und versicherte, dass keinerlei Feindseligkeiten bestanden hätten.

Ein klares Ergebnis des Gesprächs ist die Rückkehr der jeweiligen Botschafter und damit die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen. In weiteren Punkten habe man eine Zusammenarbeit zum Versuch der Lösungsfindung vereinbart. Dies betrifft unter anderem einen Austausch inhaftierter Staatsbürger des jeweils anderen Landes. Auch im Bereich von Cyberkriminalität wolle man kooperieren. Eine Zusammenarbeit ist auch im Bereich der strategischen Stabilität geplant, dies dürfte vor allem in Form von Abrüstungsabkommen stattfinden. Putin lobte dabei, dass Biden gleich nach seinem Amtsantritt einer Verlängerung des START-Abkommen zugestimmt hat. Einig sind sich Moskau und Washington darüber, dass in die gegenseitigen Beziehungen wieder ein gewisser Grad an Berechenbarkeit und Stabilität einkehren muss. Um das zu erreichen, verkündeten beide Präsidenten die Etablierung von Verhaltensregeln. Details darüber, wie diese Verhaltensregeln aussehen sollten, bzw. wie man diese etablieren wolle, nannten sie jedoch nicht.

Auch außenpolitische Fragen wurden thematisiert. In Syrien und Afghanistan wolle man kooperieren. Während es im Falle Syriens vor allem um humanitäre Fragen gehe, sei man sich einig, dass Afghanistan kein Rückzugsort des Terrorismus werden dürfte. Biden betonte gegenüber Journalisten, dass man dabei auch auf russische Unterstützung angewiesen sei. Interessant sind Bidens Äußerungen zum Iran. Demnach habe Putin ihm zugestimmt, dass es im Interesse beider Staaten liege, dass Teheran keine Atommacht werde.

Beim Themenfeld Arktis stimmten Putin und Biden darin überein, dass niemand an einem Konflikt in der Arktis interessiert sei. Beide Staaten sind Mitglieder des Arktischen Rates. Putin erläuterte gegenüber Journalisten ausführlich den juristischen Status der arktischen Gewässer. Im Mittelpunkt steht dabei der Nördliche Seeweg. Putin verstehe das Interesse an der Nutzung der Schiffbarwerdung, verwies aber auf die Tatsache, dass er teilweise durch russische Hoheitsgewässer verläuft. Biden seinerseits brachte die Idee einer demilitarisierten Arktis ins Spiel.

Auch über die Ukraine habe man gesprochen. Bei allen Unterschieden in der Lagebewertung, stimmten beide Seiten überein, dass ein Frieden im Rahmen des Minsker Abkommens gefunden werden müsste. Dies dürfte vor allem Kiew enttäuschen, dass immer wieder auf eine Neuverhandlung drängte und auch die USA mit in den Prozess einbeziehen wollte. Mit seinem Bekenntnis zu den Vereinbarungen von Minsk machte Biden aber klar, dass der Minsk-Prozess nicht verlassen werden soll.

Insgesamt bewerten sowohl die USA wie auch Russland die Ergebnisse des Gipfeltreffens vorsichtig als positiv. Für Biden ist das wichtig, schließlich ging die Initiative von ihm aus. Dennoch betont der amerikanische Präsident, dass man erst in einigen Monaten sehen wird, ob das Treffen wirklich Früchte tragen und es zu Veränderungen im beiderseitigen Verhältnis kommen wird. Für Putin bedeutet das Treffen außenpolitisch schon jetzt einen Erfolg, dementsprechend stellen es auch viele russische Medien dar. Doch auch in Moskau ist man sich nicht sicher, dass die Talsohle in den russisch-amerikanischen Beziehungen bereits endgültig durchschritten ist. Konstantin Kossatschow, Vizepräsident des Föderationsrates und einer der führenden Außenpolitiker des Landes, betont im Nachgang des Gipfeltreffens, dass Russland ein pragmatischer und ergebnisorientierter Weltakteuer sei. Aus seiner Sicht befinde es sich jedoch paradoxerweise in der Rolle, die der Westen im Kalten Krieg gehabt habe als er mit der ideologisch aufgeladenen sowjetischen Führung verhandelten. Seitens der USA, so Kossatschow, gebe es heute eine „ideologisierte

Außenpolitik“. Doch beide Seiten, die USA und Russland, sind nach dem 16. Juni 2021 mehr als zuvor daran interessiert, dass es zu konkreten Schritten der Implementierung einzelner vertrauensbildender Maßnahmen sowie zu einer Zusammenarbeit in bestimmten Themenbereichen kommt.

 

Die Bedeutung des Gipfeltreffens für Russland

Das Treffen erlangte bereits im Vorfeld eine mediale Bedeutung, die an Gipfeltreffen US-amerikanischer Präsidenten mit sowjetischen KPdSU-Generalsekretären zur Zeit des Kalten Krieges erinnerte. Für Russland stellt der Gipfel an sich schon einen Erfolg dar, es wird wieder auf Augenhöhe mit den USA verhandelt. US-Präsident Biden, sprach während der Pressekonferenz dann auch von Russland als einer „Großmacht“, ein rhetorisches Zugeständnis, bezeichnete doch Barack Obama die Russische Föderation einst als „Regionalmacht“.

In der Tat hat das Gewicht Russlands in der internationalen Arena in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Zum einen geschah dies durch das russische Engagement im Nahen Osten. Die russische Waffenhilfe im Syrischen Bürgerkrieg war ausschlaggebend für die weitgehende Rückeroberung des Landes durch die Assad-treuen Truppen. Da Moskau darüber hinaus zu fast allen Staaten der Region einen Modus der Verständigung gefunden hat, befindet es sich in einer privilegierten Situation und ist auch als Partner bei nicht-militärischen Schlichtungspraktiken unumgänglich.

Zum zweiten konnte der Kreml seine geopolitische Rolle durch seine handels- und militärpolitische Annährungspolitik an China aufwerten. Russland und China profitierten militärpolitisch nicht bloß von einem gegenseitigen Flankenschutz; die Zusammenarbeit schließt Technologietransfer, den gegenseitigen Austausch mit Wehrmaterial und eine Modernisierung der jeweiligen Streitkräfte ein. Auch in den Bereichen Geheimdienste und Digitalisierung arbeiten beide Staaten bereits eng zusammen.

Die Partnerschaft mit Peking eröffnet zudem einen alternativen Absatzmarkt für russische Rohstoffe und somit einen Ausgleich zum europäischen Markt. Seit 2019 fließt durch die Erdgas-Pipeline Sila Sibiri (Kraft Sibiriens) russisches Erdgas auf den Landweg nach China.  Dadurch wird China nach Deutschland zum zweitgrößten Abnehmer russischen Erdgases.  Das Projekt der Neuen Seidenstraße bietet für Russland zudem die Möglichkeit, Teil eines gigantischen eurasischen Warentransportraumes zu werden. Die Integration in den ostasiatischen Wirtschaftsraum, die derzeit stärkste und dynamischste Region der Welt, ist für Moskau zudem ein attraktives strategisches Ziel.

Zum dritten hat der Kreml in den letzten Jahren eigenen, wankelmütigen Verbündeten verdeutlicht, dass jegliche Form von Illoyalität bestraft wird. Den weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, aufgrund seiner Alternativlosigkeit mehr gelittenen als geliebt, stützt man erst in allerletzter Minute. Mit dem Rücken zur Wand hat Lukaschenko sich nun fast vollständig in die Hand Putins begeben, der staatliche Informationsraum ist den Russen überlassen worden, und die finanzielle Abhängigkeit von Moskau ist durch das Versiegen westlicher Finanzierungsquellen deutlich gestiegen. Auch im Südkaukasus handelte der Kreml kalkulierend. Im Zweiten Karabachkrieg 2020 schritt man erst ein, als Armenien, welches unter Premierminister Nikol Paschinjan versucht hatte, sich vom großen Nachbarn Russland zu emanzipieren, die totale Niederlage drohte. Im Endeffekt ging dabei die Kontrolle über Restkarabach de facto an Russland über.

 

Die Bedeutung des Gipfeltreffens für die USA

Laut Joe Biden gilt es, auf dem europäischen Kontinent zwar zusammen zu stehen, „um Russlands Herausforderungen für die europäische Sicherheit zu begegnen“, doch sind die USA bestrebt, in Bereichen der strategischen Stabilität und Rüstungskontrolle mit Russland zusammenzuarbeiten. Im Hinblick auf China sind die Herausforderungen um ein Vielfaches größer. Das Reich der Mitte hat das Ziel, 2049 die Weltmacht Nummer Eins zu sein. So sehnt es zumindest der „chinesische Traum“ zum 100. Gründungsjubiläum herbei: Die Entwicklung der Volksrepublik verlaufe dahin, ein „wohlhabender und starker, kulturell hochentwickelter, harmonischer, sozialistischer, modernisierter Staat“ zu sein.

Der Schwerpunkt US-amerikanischer Außen-, Sicherheits- und Handelspolitik dürfte deshalb in den kommenden Jahren auf der Eindämmung chinesischer Ambitionen liegen. Biden äußerte dahingehend: „Wir werden uns darauf konzentrieren, sicherzustellen, dass die Marktdemokratien und nicht China oder irgendjemand anderes die Regeln des 21. Jahrhunderts für Handel und Technologie aufstellen.“

Dazu müssen die USA alles tun, um entweder einen engen Schulterschluss zwischen Moskau und Peking zu verhindern oder zumindest russische Störmanöver zu vermeiden. Ein US-amerikanisches Strategiepapier aus dem Jahr 2019 charakterisiert das sino-russische Bündnis wie folgt:

„China und Russland werden die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten vor eine Vielzahl von wirtschaftlichen, politischen, nachrichtendienstlichen, militärischen und diplomatischen Herausforderungen stellen. Wir gehen davon aus, dass sie zusammenarbeiten werden, um den Zielen der USA entgegenzuwirken, wobei sie sich die an einigen Stellen aufkommenden Zweifel am liberal-demokratischen Modell zunutze machen werden. […] China und Russland bauen ihre Zusammenarbeit untereinander und in internationalen Gremien aus, um globale Regeln und Standards zu ihrem Vorteil zu gestalten und ein Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern zu bilden.“

US-Experten konstatieren, dass bereits heute Großteile des eurasischen Herzlandes von China und Russland kontrolliert werden. Einige US-amerikanische Geostrategen fordern gar eine Einbindung Russlands. Renommierter Befürworter dieser Strategie ist der Politikwissenschaftler und Theoretiker des Neorealismus John Mearsheimer. Er plädierte schon 2016 für eine Zusammenarbeit mit Russland:

„Die Amerikaner drängten die Russen in die Arme der Chinesen. Ich glaube, wenn Washington eine positivere Haltung gegenüber Moskau einnähme, dann wäre das Endergebnis, dass wir gute Beziehungen zwischen den USA und Russland hätten und die Russen schließlich Teil der ausgleichenden Koalition gegen China wären. Es ist wichtig zu verstehen, dass sich die USA im Laufe der Zeit, wenn China weiter aufsteigt, zutiefst dafür einsetzen werden, China einzudämmen. Sie werden alle Hilfe brauchen, die sie bekommen können, und sie werden die Russen brauchen. […] Und nochmal, in diesem speziellen Fall drängen die USA Russland den Chinesen entgegen, was meiner Meinung nach nicht im nationalen Interesse der Amerikaner liegt.“

Mearsheimer ist mit dieser Position nicht allein: Auch Richard Weitz vom konservativem Hudson Institut und weitere Experten teilen diese Ansicht. Demnach widerspricht ein sino-russisches Zusammengehen den nationalen Interessen der USA. Selbst innerhalb der Reihen des US-amerikanischen Militärs, wie etwa von Konteradmiral Jeffrey Czerewko, wird vor einem Abgleiten Russlands in eine chinesische Einflusssphäre eindringlich gewarnt.

Biden dürfte realisiert haben, dass Handlungsbedarf besteht. Das Gipfeltreffen könnte daher der Beginn einer Neuauflage des Prozesses der Triangulären Diplomatie Henry Kissingers werden – bloß unter umgekehrten Vorzeichen., Im Kalten Krieg gelang es dem Westen, unter Führung der USA, eine Eindämmungspolitik gegen die Sowjetunion zu betreiben. Notwendig war es, das Entstehen eines Eurasien beherrschenden kommunistischen Kontinentalblockes zu verhindern. Dies war jedoch nur durch die Einbindung Chinas und die damit einhergehende Spaltung des kommunistischen Lagers möglich. Den USA gelang es damals unter Präsident Nixon erfolgreich, China gegen Russland auszuspielen. Diesmal geht es nicht um die Ausbalancierung der Macht der Sowjetunion respektive Russlands, sondern um einen Ausgleich der Machtposition Chinas. Die Herausforderung ist es dabei, bessere Beziehungen zu Peking und Moskau zu unterhalten als diese untereinander.

Wie auch aus amerikanischen Sicherheitskreisen zu vernehmen ist, besteht auf russischer Seite trotz der engen Beziehungen zu China weiterhin ein ernsthaftes Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem Westen. In einem Bericht des Director of National Intelligence aus dem Jahr 2019 wird davon ausgegangen, „dass Putin und andere Eliten eine Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten dort wünschen, wo sich die Interessen der USA und Russlands überschneiden.“

Dies ist der Punkt, an dem Bidens Politik ansetzen dürfte. In der Pressekonferenz betonte er, dass er davon ausgehe, dass Putin keinen neuen Kalten Krieg wolle.

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Dr. Thomas Kunze

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Regionalbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für Zentralasien (komm.) und Beauftragter für die Russische Föderation

sekretariat.russland@kas.de

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