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Länderberichte

Regierungswechsel in Chile

von Holger Haibach

Erwartungen an Präsidentin Bachelet sehr hoch

Am 11. März 2014 hat Präsidentin Michelle Bachelet vor dem Senat und dem Abgeordnetenhaus in Valparaíso ihren Amtseid abgelegt. Damit ist nicht nur ihr neues Kabinett im Amt. Mit Frau Bachelet kehrt auch erstmals seit der Rückkehr zur Demokratie ein Amtsinhaber wieder in das Präsidentenamt zurück. Überschattet wurden die Feierlichkeiten von der Besetzung der Zentrale der Christdemokraten (PDC) sowie dem diplomatischen Ringen um eine Beilegung des Konfliktes in Venezuela.

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Chile hat eine neue Regierung und eine neue Präsidentin. Mit der Amtseinführung von Präsidentin Michelle Bachelet endet die vierjährige Amtszeit von Präsident Sebastian Piñera. Damit kehrt das Land wieder zu einer Regierung in einem Bündnis zurück, das im Wesentlichen von Christ- und Sozialdemokraten getragen wird (früher Concertación, heute Nueva Mayoría). Diese Bündnisse haben seit der Wiedererlangung der Demokratie 1990 stets den Präsidenten gestellt – mit Ausnahme der Amtszeit Piñeras, der von dem Bündnis Alianza por Chile unterstützt wurde, bestehend aus der Renovación Nacional (RN) und der Unión Demócrata Independiente (UDI), in der auch viele Anhänger des ehemaligen Machthabers Augusto Pinochet organisiert sind.

Der Amtswechsel fand in Anwesenheit vieler internationaler Gäste statt, unter anderem US-Vizepräsident Joe Biden und der spanische Thronfolger Prinz Felipe. Deutschland war durch die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Prof. Dr. Maria Böhmer, vertreten.

Versöhnliche Töne aus der Region zum Amtsantritt - Bekenntnis zur regionalen Kooperation

Viele der aus der Region angereisten Staatschefs nutzten die Gelegenheit, Signale der Versöhnung und Annäherung zu verbreiten. So zeigte sich Perus Staatschef Ollanta Humala überzeugt, dass Chile und Peru bei der Beilegung des Grenzstreits zwischen beiden Ländern durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ihre jeweiligen Zusagen eingehalten hätten. Dies sei ein gutes Vorbild für die gesamte internationale Gemeinschaft.

Boliviens Präsident Evo Morales zeigte sich bereit, den im Jahr 2006 zwischen beiden Ländern vereinbarten 13-Punkte Plan zur Normalisierung der Beziehungen und zur Beilegung der Grenzstreitigkeiten gemeinsam mit der neuen Regierung zu implementieren. Allerdings werde Bolivien die in dieser Frage eingereichte Klage beim Internationalen Gerichtshof nicht zurücknehmen.

Der Präsident Ecuadors, Rafael Correa, betonte, dass er mit Präsidentin Bachelet den „Geist der Demokratie, der Integration und der sozialen Gerechtigkeit“ teile. Dies sei es, was beide zutiefst eine.

Ebenso machte die neue Regierung gleich mehrfach klar, dass sie bereit sei, die Ansätze regionaler Kooperation voranzutreiben. So schlug der neue Außenminister Heraldo Muñoz in einem Meinungsartikel in der Zeitung „El Mercurio“ vor, die Möglichkeit einer „Konvergenz“ zwischen der Alianza del Pazífico und dem Mercosur zu diskutieren, ohne dabei allerdings die Möglichkeit außer Auge zu lassen, nach dem Vorbild der EU (eine Entwicklung und Vertiefung der regionalen Integration) mit „verschiedenen Geschwindigkeiten“ voranzutreiben. Bei einem nach der Amtseinführung vom Innenminister für internationale Delegationen gegebenen Mittagessen fasst er die Haltung der neuen Regierung dahingehend zusammen, dass Chile in die regionale Politik Lateinamerikas zurückgekehrt sei.

Unklarheit über die Teilnahme Maduros bis zuletzt

Neben sehr vielen anderen lateinamerikanischen Regierungschefs (unter anderem aus Argentinien, Bolivien, Peru und Ecuador) war auch die Teilnahme von Staatspräsident Nicolás Maduro aus Venezuela angekündigt und erwartet worden. Bis zuletzt war unklar, ob er aufgrund der innenpolitischen Auseinandersetzungen in Venezuela teilnehmen würde. Letztlich sagte Maduro seine Teilnahme sehr kurzfristig ab und begründete dies damit, dass man ein Klima für eine „Show der rechten Mumie“ („la derecha momia“; gemeint ist damit die politische Rechte, die mit ihren Konzepten und Ideen aus dem (vor-)letzten Jahrhundert stamme) gegen ihn geschaffen habe. Viele Beobachter gehen davon aus, dass er zum einem vermeiden wollte, dem US-Vizepräsidenten zu begegnen. Maduro wirft den USA bekanntlich vor, durch bewusste Einmischung den innenpolitischen Konflikt in Venezuela zu verstärken. Des Weiteren wird vermutet, dass es dem venezolanischen Präsidenten momentan schlichtweg zu gefährlich erscheint, das Land zu verlassen und eventuell dadurch einer Eskalierung der Lage oder einem Putsch Vorschub zu leisten.

Piñera kündigt weiteres Engagement an – Bachelet bezeichnet Ungleichheit als „den großen Feind“

Ex-Präsident Sebastian Piñera zählte bei seiner letzten Rede vor der Moneda, dem Präsidentenpalast, die Erfolge seiner Amtszeit, besonders in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber auch im Bereich der innenpolitischen Reformen auf. Seine Regierung habe ein „wesentlich besseres Land hinterlassen als sie es vorgefunden“ habe. Gleichzeitig machte er deutlich, dass er sich weiter im öffentlichen Leben des Landes engagieren werde. „Unser Engagement für Chile ist so stark wie noch nie.“

Gleichzeitig rief er das ihn tragende Bündnis Alianza por Chile zur Geschlossenheit auf und warnte vor verfrühten Kandidaturen für die nächsten Wahlen im Jahr 2017. Die Alianza müsse neuen Führungskräften die Chance geben, sich zu entwickeln. Wie Presseberichten zu entnehmen ist, wurde er bei einer privaten Feier im Anschluss in dieser Hinsicht noch deutlicher. Er machte dabei klar, dass die in der vergangenen Wahlkampagne gemachten Fehler nicht wiederholt werden dürften. Der Kandidatur von Alianza-Kandidatin Evelyn Matthei waren öffentliche Auseinadersetzungen voraus gegangen, die in der Öffentlichkeit ein Bild der Zerrissenheit des damaligen Regierungsbündnisses zurückließen.

Am Abend nach ihrer Vereidigung wandte sich die neue Präsidentin Bachelet an ihre Anhänger. Sie fasste dabei kurz Philosophie und Programm ihrer Regierung zusammen: Es sei an der Zeit, sich gemeinsam auf den Weg hin zu einer Nation zu machen, die sich entwickle und dabei gerecht, modern, tolerant, prosperierend sei und niemanden ausschließe. Als einer der wichtigsten Prioritäten für ihr eigenes Engagement nannte sie die im Wahlkampf versprochene Reform der Verfassung. Bei der Umsetzung des Regierungsprogramms werde man den Dialog und die Zusammenarbeit mit allen politischen Kräften und gesellschaftlichen Kräften suchen, aber: „Dieser Dialog (ist) einer, der ein klares Ziel verfolgt, nämlich das Vorantreiben und die Umsetzung des (Regierungs-)Programms.“

Als weitere Schwerpunkte ihres Programms nannte sie die bereits aus dem Wahlkampf bekannten Themen Bildungs- und Steuerreform. Als wichtigstes Ziel benannte sie die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit: „Chile hat einen großen gemeinsamen Feind, und dieser heißt Ungleichheit. Und nur gemeinsam können wir ihm die Stirn bieten!“

„50 Maßnahmen für die ersten 100 Tage“

In der Konsequenz dieser Aussage lag dann auch die erste Amtshandlung der neuen Präsidentin: Am Tag nach ihrer Amtseinführung brachte sie eine Gesetzesnovelle zur Armutsbekämpfung ein, die zum einen Zahlungen an arme Rentner, zum anderen die Verstetigung des „Bono Marzo“ zum Gegenstand hat. Der „Bono Marzo“ ist eine Einmalzahlung von umgerechnet ca. 50 Euro pro Familienmitglied in bedürftigen Familien im Monat März vor (im März beginnt das neue Schuljahr, was aufgrund der hohen Kosten des chilenischen Bildungssystems in vielen Familien zu besonderen Belastungen führt). Diese Zahlung, die bisher nur als Ausnahme gezahlt wurde, soll nach der Novelle regelmäßig und dauerhaft gezahlt werden. Nach offiziellen Angaben werden damit ca. 1,6 Millionen Menschen erreicht. Die Novelle wurde bereits am 13. März von beiden Häusern des Parlaments beschlossen und fand Kritik bei der Opposition und seitens der Wirtschaft.

Präsidentin Bachelet setzte auch im Hinblick auf den Umgang mit der indigenen Bevölkerung ein erstes Zeichen. Der von ihr entsandte neue Gouverneur Francisco Huenchumilla bat am Donnerstag, den 13. März, die Mapuche in der Region Araucanía im Namen des Staates um Entschuldigung für die "Ausplünderung ihres Landes". Huenchumilla, der selbst dem indigenen Volk Chiles angehört, erklärte, nach 130 Jahren sei es an Zeit, die Region aus der Armut zu holen. Die Mapuche erhoffen sich nun von der neuen Regierung Unterstützung bei ihrem Kampf um Wasser- und Landrechte.

Diese Maßnahmen sind Teil eines 50-Punkte-Programms, das die neue Präsidentin im Wahlkampf vorgestellt hatte . Es sieht umfangreiche Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, soziale Sicherung, Innere Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei, Umweltschutz, Renten, Arbeitsmarkt, Dezentralisierung, Generationengerechtigkeit, Indigene Bevölkerung sowie Kultur und Sport vor. Neben großen Gesetzesvorhaben finden sich hier vor allem konkrete Einzelmaßnahmen wie etwa der Ausbau von Schulen, die Einrichtung von Zentren zur beruflichen Bildung oder auch der verstärkte Aufbau von Einrichtungen zur Gesundheitsvorsorge im ländlichen Raum.

Besetzung der PDC-Zentrale

Am Morgen der Amtseinführung besetzten Vertreter der Sekundarschülervereinigung ACES die Parteizentrale der Christdemokraten (PDC). Dabei wurden auch mindestens zwei Mitarbeiter der PDC durch Faustschläge der Besetzer verletzt.

Ziel der Besetzer war es offensichtlich zum einen zu verdeutlichen, dass die Politik der Christdemokraten und der neuen Regierung nicht zu einem Ende der Proteste von Studenten und Schülern führen werde. So heißt es in einer von der Gruppe veröffentlichten Erklärung: „Wir haben den Autoritäten von gestern nicht getraut und trauen auch denen von heute nicht.“ Zum anderen erklärten sich die Besetzer solidarisch mit der Regierung von Venezuela und beschuldigten die PDC, die „Putschisten“ dort zu unterstützen. Die Besetzung wurde später von der Polizei beendet.

An anderen Orten in Santiago und in anderen Städten des Landes kam es vereinzelt zu Protesten, die sich im Wesentlichen gegen die Probleme im Bildungssystem richteten.

Spannungen im Regierungsbündnis

An den Themen Bildung und Umgang mit der Krise in Venezuela zeigten sich auch die ersten Spannungen im Regierungsbündnis Nueva Mayoría, insbesondere zwischen der PDC und der Kommunistischen Partei.

Der Vorsitzende der PDC, Senator Ignacio Walker, machte in einer Reihe von Zeitungsinterviews deutlich, dass es bei diesen Themen große Diskrepanzen zwischen der Haltung seiner Partei und der der Kommunisten gebe. Im Bereich der Bildung geht es vor allem darum, in welcher Zeit Schüler und Studenten im Land Zugang zur kostenlosen Bildung haben sollen. Hier hat das Bündnis einen Kompromiss gefunden, nach dem die Schul- und Studiengebühren schrittweise abgebaut werden sollen. Die Gegenfinanzierung soll über eine Steuererhöhung (im Wesentlichen der Unternehmenssteuer) erfolgen. Dies geht den Kommunisten nicht weit genug. Sie fordern eine sofortige Abschaffung aller Schul- und Studiengebühren. Beim Thema Venezuela ist die Diskrepanz noch größer: Während die Kommunistische Partei sich mit der Regierung Maduro vollständig solidarisiert, unterstützt die PDC die Haltung der Regierung, die einen Dialog zwischen Regierung und Demonstranten sowie der Opposition sowie die Einhaltung der Menschenrechte fordert.

UNASUR-Tagung zur Krise in Venezuela

Am Tag nach der Amtseinführung von Präsidentin Bachelet trafen sich die zwölf Vertreter der südamerikanischen Staatengemeinschaft UNASUR in Santiago, um über die Lage in Venezuela zu beraten.

Hauptziel der Konsultationen waren die Analyse der Lage in Venezuela und die Abwägung von Handlungsoptionen für UNASUR. Da die lateinamerikanischen Staaten in der Frage der Beurteilung der Situation in Venezuela gespalten sind, war von vornherein nicht mit einem starken Signal der Unterstützung für das eine oder andere Lager zu rechnen.

Schlussendlich einigten sich die Vertreter der UNASUR-Mitgliedsstaaten auf die Bildung einer Kommission, die die Lage in Venezuela beobachten soll. Ziel sei es, so die brasilianische Präsidentin Rousseff, die UNASUR als Vermittler zwischen der Regierung Maduro und der Opposition auftreten zu lassen. Die Kommission soll Anfang April ihre Arbeit aufnehmen.

Hohe Erwartungen an die neue Präsidentin

Die ohnehin nicht einfache Aufgabe, die gesellschaftliche Ungleichheit in Chile zumindest zu lindern, wenn nicht zu beseitigen, wird durch sehr hohe Erwartungshaltung an die neue Präsidentin und ihre Regierung noch einmal erschwert.

Zwar geht Frau Bachelet mit dem Bonus des höchsten jemals bei einer Präsidentschaftswahl erzielten Wahlergebnisses (62,16%) in ihre zweite Amtszeit. Auf der anderen Seite hat sie selbst mit ihrem ausgesprochen ehrgeizigen Wahl- und Regierungsprogramm dazu beigetragen, dass die Erwartungen nun dermaßen hoch sind. Wahl- und Verfassungsreform, kostenlose Bildung, Steuerreform, Beseitigung der gesellschaftlichen Ungleichheit – dies alles sind politische Dauerbrenner in Chile, die bisher noch von keiner Regierung vollständig befriedigend angegangen wurden.

Erschwert werden dürfte die Umsetzung dieser ehrgeizigen Agenda durch die Tatsache, dass besonders bei der Wahlrechts- und Verfassungsreform auch die Zustimmung der Opposition notwendig sein wird. Diese hat zwar erklärt, sich konstruktiv verhalten zu wollen. Wie weit diese Aussage jedoch in einer konkreten Situation trägt ist, bleibt abzuwarten.

Frau Bachelet scheint, so sehen es viele Beobachter, die Strategie zu verfolgen, über die direkte Kommunikation mit der Bevölkerung den notwendigen Druck zur Umsetzung der von ihr postulierten Reformen aufzubauen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob diese Strategie erfolgreich sein wird.

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