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Tschechien: Reform der öffentlichen Haushalte

von Frank Spengler
Auf die insbesondere von der Europäischen Union und von dem Internationalen Währungsfonds oft angemahnte Reform der öffentlichen Finanzen und die Notwendigkeit einer Reduzierung der besorgniserregenden Staatsverschuldung reagierte Premierminister Špidla (ČSSD) am 23. Juni 2003 mit der Vorlage eines umfassenden Reformprogramms.

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Ziel der Regierung ist es, das Defizit der öffentlichen Haushalte von zurzeit 6,2% des BIP schrittweise bis zum Jahre 2006 auf max. 4% des BIP zu senken (2004 um 0,6% – 0,7%, 2005 um 0,7% – 0,8%, 2006 um 0,8% – 0,9%). Die Regierung will in den nächsten drei Jahren rund 200 Milliarden Kronen (ca. 6,2 Milliarden EUR) einsparen und mehr als 70 Milliarden Kronen (ca. 2,2 Milliarden EUR) zusätzlich einnehmen. Das Kabinett einigte sich bisher aber nur auf Einsparungen in Höhe von 120 Milliarden Kronen, dazu gehören u.a.: geringere Einkommenssteigerungen und Personalreduzierung für den öffentlichen Dienst, Kürzungen des Krankengelds, geringere Rentenerhöhung und eine verbesserte Kontrolle der Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe.

Höhere Staatseinnahmen sollen in erster Linie eine Reihe von Steuererhöhungen bringen. So soll die Mehrwertsteuer für einige Dienstleistungen von 5% auf den Regelsteuersatz von 22% erhöht werden. Auch die Verbrauchssteuern für Kraftstoff, Alkohol und Tabak sollen ansteigen. Ferner ist die Einführung einer Gewinn unabhängigen Mindesteinkommensteuer für Selbständige geplant. Schrittweise ermäßigt werden soll hingegen die Körperschaftssteuer von derzeit 31% auf 24% im Jahre 2006.

Während die angekündigten Reformen von internationalen Finanzinstitutionen und tschechischen Wirtschaftsexperten weitgehend als ein Schritt in die richtige Richtung begrüßt werden, lehnen die Gewerkschaften sie ab. Deren Proteste hielten sich aber in sehr engen Grenzen, so dass die Vorlage des Reformpakets zunächst die politische Stellung von Premierminister Špidla konsolidierte.

Die oppositionelle ODS veröffentlichte erst kurz vor der parlamentarischen Beratung des Gesetzespakets ihr eigenes Reformprogramm: „Blaue Chance“. Vom 22. bis 24. Juli 2003 wurden die Reformgesetze im Abgeordnetenhaus diskutiert. Die Gesetzesvorlagen wurden alle in erster Lesung angenommen, obwohl die Opposition die Vorlage eindeutig ablehnt und auch bei einigen Abgeordneten der Regierungskoalition diesbezüglich noch große Zweifel bestehen. Politische Beobachter gehen davon aus, dass der Zeitpunkt der Ablehnung des Reformpakets vor den Ferien sehr ungünstig gewesen wäre. Der Herbst eignet sich besser für ein Scheitern des Reformvorhabens und den möglichen Sturz der Regierung.

Wichtige Schritte in diese Richtung wurden schon eingeleitet. Zunächst weigerte sich Staatspräsident Klaus das Gesetz über die Erhöhung der Mehrwertsteuer für Dienstleistungen zu unterzeichnen, da er in diesem Zusammenhang einige besorgniserregende Briefe von Unternehmern und von Wirtschaftsverbänden erhalten hätte. Kritiker warfen ihm daraufhin vor, genau das zu tun, was er an seinem Vorgänger oft kritisierte: Einmischung in die politischen Angelegenheiten des Landes. Das Veto des Staatspräsidenten kann nun nur von einer absoluten Mehrheit der Abgeordneten überstimmt werden.

Die denkbar knappste Mehrheit von einer Stimme ging der Regierungskoalition Ende Juli 2003 durch den Austritt von Josef Hojdar aus der ČSSD-Fraktion verloren. Premierminister Špidla soll nun bereit sein, den Kritikern aus den eigenen Reihen entgegen zu kommen und die Gesetze in der zweiten und dritten Lesung teilweise zu ändern. Die zweite Lesung ist für Ende September 2003 geplant.

Die Zukunft des Kabinetts hängt von den Finanzreformen ab, denn ohne diese Gesetzesänderungen kann der Haushalt für das nächste Jahr nicht verabschiedet werden. Das Haushaltsdefizit für das Jahr 2004 wurde nach zähen Verhandlungen von den Regierungsparteien auf max. 118 Milliarden Kronen limitiert. Eine noch höhere Staatsverschuldung wird die US-DEU, der kleinerer Koalitionspartner in der Regierung, nicht mittragen.

Nicht wenige politische Beobachter gehen nun davon aus, dass die Verabschiedung des Staatshaushaltes mit einer Vertrauensfrage der Regierung verbunden werden könnte und dies das Scheitern der Regierung im Herbst zur Folge hätte. Bis zu möglichen Wahlen im Frühjahr 2004 - evtl. in Verbindung mit den Europawahlen - müsste dann eine „Regenbogen-Regierung“ oder ein Kabinett von Experten die notwendigen - aber wenig populären - Reformen umsetzen.

Laut aktuellen Meinungsumfragen (siehe Info-Mail) würde von Neuwahlen neben den Kommunisten vor allem die ODS profitieren. Ihr Vorsitzender Mirek Topolánek hat bereits angekündigt, im September 2003 einen Misstrauensantrag einzufordern. Die ODS hätte zwar dafür genug Mandate, zur Abwahl der Regierung benötigt die Opposition aber 101 der 200 Stimmen im Abgeordnetenhaus, d.h. es kommt wahrscheinlich auf eine Stimme an. Dies wird sicherlich unter den Abgeordneten nun Begehrlichkeiten wecken, Korrekturen hinsichtlich der Finanzreformen durchsetzen zu wollen.

Der Vorsitzende der KDU-ČSL, Cyril Svoboda, hat bereits erklärt auch mit der ODS eine Regierungskoalition bilden zu können. Sein persönliches Schicksal ist aber eng mit der aktuellen Regierungszusammensetzung verbunden. Sollte die Regierung scheitern, wird auch seine Wiederwahl zum Parteivorsitzenden im November 2003 gefährdet sein. Ein Gegenkandidat steht bereits fest: Miroslav Kalousek. Der stellv. Vorsitzende der KDU-ČSL gilt als größter innerparteilicher Gegner von Svoboda. Ihm werden gute Kontakte zur ODS nachgesagt.

Prag leidet zurzeit unter hohen sommerlichen Temperaturen. Aus politischer Sicht steht dem Land aber sehr wahrscheinlich ein noch heißerer Herbst bevor.

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